Der Dyatlov-Pass-Vorfall
06.04.2021 um 09:58Nemon schrieb:Charakteristisch ist beispielsweise ungebremster Aktionismus, gefolgt von tiefster Lethargie.Oh, das klingt für mich aber eher nach einer manisch-depressiven Erkrankung! Als gegeben kann man bei Hypothermie sicherlich die Lethargie/Apathie kurz vor Eintritt des Todes ansehen. Ob nun unbegrenzter Aktionismus bei allen oder zumindest bei der Mehrheit der Fälle ein zwangsläufiges Stadium ist, wäre hier eine Frage für Experten. Aus der mir bekannten Literatur, deren Umfang sich zugegebenermaßen in Grenzen hält, geht dies so nicht hervor.
Nemon schrieb:Die Minimalversion ist, dass nur 3 von 9 noch zielgerichtete Handlungen durchgeführt haben.Hierzu habe ich eine Frage, auch in Verbindung mit deiner Äußerung in der vorherigen Antwort, man dürfe "nicht die Gleichzeitigkeit der Handlungen voraussetzen". Dass das Initialereignis (Verlassen des Zelts) bei allen gleichzeitig eingetreten sein muss, da sind wir uns doch einig, oder? (mal abgesehen davon, ob evtl. gerade jemand draußen war) Zumindest 6 Wanderer müssen dann den Wald erreichen. Wie viel Zeit veranschlagen wir dafür unter den vorherrschenden Bedingungen? 45 Minuten? Anschließend müssen zumindest zwei Personen Holz gesammelt, ein Feuer in Gang gebracht, es eine Zeit lang in Gang gehalten, sich Gließmaßen verbrannt haben. Wie viel Zeit veranschlagen wir mit abgefrorenen Händen hierfür? 20 Minuten? Irgendwann waren die beiden offenbar nicht mehr in der Lage, weiterzumachen, während sie erfroren. Dabei hörte sicherlich nicht bei beiden auf die Minute gleichzeitig das Herz auf zu schlagen. Sind wir mal so makaber und veranschlagen auch hierfür einen Zeitrahmen. Nochmal 20 Minuten? Wir stehen also bereits bei mindestens anderthalb Stunden. Zu diesem Zeitpunkt muss mindestens ein anderer Wander noch am Leben, bei klarem Verstand und mit intakten motorischen Fähigkeiten ausgestattet gewesen sein, um Kleidung der beiden Toten an sich zu nehmen. Das könnte einer der besser gekleideten gewesen sein, okay. Aber es müssen auch noch weitere Mitglieder zumindest am Leben, wenn auch eventuell nicht mehr mobil gewesen sein, sonst hätten sie die zusätzliche Kleidung ja nicht mehr gebraucht. Bei mindestens 90 Minuten nach Zeitpunkt x muss also zumindest ein Teilnehmer den Tod der beiden am Feuer feststellen, diese entkleiden/Kleidung abschneiden, sie vom Feuer wegziehen, die Kleidung zu seinen eventuell bereits verletzten Kameraden bringen. Unterm Strich geben wir also mehreren Teilnehmern der Gruppe noch gute zwei Stunden. Und nun zurück zur Ausgangsfrage: Ist dies realistisch, wenn ich es mit Herrn Wolf halte und die 'Kälteflucht' aus dem Zelt annehme?
off-peak schrieb:Auch hier gilt das Gleiche wie bei Unterkühlung. Nicht jeder empfindet IS, und das auch nicht auf dieselbe Art. Wie ich schon öfters anführte, und noch immer meine, würden gerade die Vibrationen stürmischer Winde verhindern, dass man eine so niedrige Frequenz überhaupt spüren würde. Da nervt schon eher das Heulen des Sturms an sich.Nun, die Forschungsbasis zu Infraschall ist ja relativ dünn, wenn ich mich nicht irre, sodass sich das wohl schwer sagen lässt. Mich haut der Infraschall auch nicht in der Form vom Hocker, dass ich sagen müsste: 'Na klar, völlig logisch, so ist's gewesen'. Nichtsdestotrotz trägt die Theorie dem Erfordernis einer Zusatzannahme - einer Besonderheit - Rechnung. Einer Besonderheit, die diesen absolut beispiellosen Vorgang erklärt. Auch in Gruppen (Gruppendynamik, psychologische Effekte, usw.) wurden auf dieser Welt Millionen und Milliarden Nächte in Zelten verbracht. Und trotzdem gibt es niemanden, der sagen könnte: "Jo, genau sowas in der Art ist mir auch passiert. Da war dies und das und jenes. Deshalb bin ich/sind wir in Panik aus dem Zelt rausgerannt.
Und selbst dann kommen wir wieder auf den Punkt zurück, dass es eher unwahrscheinlich ist dass alle Neune gleich panisch reagieren und nicht etwa doch der Eine oder Andere noch zu vernünftigen Handlungen fähig wäre.
@PGR156
Du scheinst ein sehr erfahrener Outdoor-Schläfer zu sein. Ist dir irgendetwas Vergleichbares zu Ohren gekommen? Abgesehen von Zwischenfällen in Afrika mit wilden Tieren?
Und noch eine weitere Frage an dich, wenn du mir das verzeihst: Ich meine mich zu erinnern, dass du geschrieben hattest, im Wintercampen/wandern Erfahrung zu haben. Nehmen wir nun als Gegeben an, dass alle gleichzeitig (d.h. direkt nacheinander) das Zelt verließen. Nehmen wir weiterhin an, nicht jeder Einzelne sprintete sofort in Panik in die Dunkelheit hinein, sodass der nächste, der aus dem Zelt krabbelte, diesen schon gar nicht mehr sah - was die zumindest teilweise Grüppchenbildung ja nahelegt. Dann wäre es aus meiner Sicher ein Urinstinkt, unbedingt in der Gruppe zu bleiben. Nun kann (muss!) man bei einem solchen Abstieg in der Dunkelheit ausrutschen und stürzen. Für wie realistisch schätzt du es unter den Gegebenheiten (Dunkelheit, Sturm, schlechte Sicht) ein, dass man hierbei seine Gruppe verliert? Dass die also weder mich, noch ich sie wieder finde? Wenn dies nämlich nicht realistisch ist, dann muss man ja entweder davon ausgehen, dass die Aufspaltung bereits bei der Zeltflucht geschah, oder aber alle erstmal gemeinsam den Wald erreichten. Zumindest Dyatlov ist ja zweifelsfrei erfroren, was ich mir in der Gruppe und so kurz vor dem Wald nicht vorstellen kann. Und w e n n die Aufspaltung bei der Zeltflucht geschah, aber einige doch in Gruppen blieben, dann spricht dies zweifelsfrei für eine Abstufung im Paniklevel. Hieraus würde ich dann wiederum den Schluss einer 'abstrakten Gefahr' ziehen, also eher nicht den klassischen Mörder mit der Pickelhaube, sondern etwas mit psychologischer Komponente.