planke schrieb:Die Frage ist doch eigentlich...Was braucht man wirklich zum Leben?
Viele Sachen sind doch eher Luxus...oder?
Ich glaube einfach, dass man sich auf eine Standard einpendelt (daher gibt es auch Leute, die mit einem monatlichen Einkommen von 5000€ pleitegehen können) .... Allerdings wird das von sehr viel beeinflusst, auf das man keinen so wirklichen Einfluss hat (Wohnungsmarkt, Versorungssituation, Fixkosten etc.). Ich kenne beide Seiten.
Ich habe in meinem Leben ca. neun Jahre weit unter dem Existenzminimum gelebt (hatte fast immer was mit Ausbildung zu tun, die Zeit, wo ich Abi gemacht habe und während des Studiums). Man kann wirklich mit sehr, sehr wenig auskommen. gerade, wenn du alleine bist - du entwickelst unglaubliche Strategien. Ich habe mein Studium mit wenig Guthaben begonnen und rutschte oft auf 0€, weil ich Fachliteratur etc. brauchte. Finanziert habe ich mich über einen (damals) 650DM Job, in den Semesterferien habe ich oft Vollzeit gearbeitet.
Geld war mein Feind. Und ich konnte es nicht mehr ausgeben. Ich habe irgendwann Rücklagen geschaffen, einfach, um nie mehr in so "doofen" Situationen zu sein. Im Studium war es oft so, dass man wirklich Buch X in Auflage Y gebraucht hat, um einen Kurs zu bestehen. Und Fachliteratur war extrem teuer. Meine Lebenssituation damals: Während des Studiums (hatte eh so eine "Magerwahnphase") habe ich (wenn ich nicht gearbeitet habe) eine Mahlzeit pro Tag gegessen - die oft in der Mensa, hatte überhaupt kein Essen daheim. Ich nahm in der Zeit ca. 25kg ab (und zwischendurch immer wieder zu), ich arbeitete in den Semesterferien viel in der Gastro, da gab es dann Essen im Überfluss. Ich habe eh gegessen, was billig war (viel Reis), im Sommer habe ich auch mal bei überhängenden Bäumen Äpfel geklaut oder habe wilde Beeren gesammelt.
Ich wohnte im billigsten Zimmer, was ich bekommen konnte - ein Kellerzimmer bei einem ziemlich unsympathsichen Rentnerpaar, lass das mal 9qm gehabt haben. Klo und Dusche waren in einem zugigen Kellerraum. Mein erstes warmes Bad fühlte sich ähnlich an wie das Paradies, weil ich v.a. im Winter beim Duschen immer total gefroren habe (Kellerraum war nicht so wirklich geheizt). Es war ca. 3km (wenn man eine fragwürdige Abkürzung durch einen fragwürdigen Park nahm, die Polizei warnte davor immer), sonst 4km von der Uni weg und als mein Rad geklaut wurde, bin ich die Strecke mindestens vier Semester gelaufen auch bei Starkregen, bis mir eine ausziehende Mitbewohnerin ihr Rad geschenkt hat. Die Strecke war okay, im Park kam ich 2-3 mal in acht Semestern in eine brenzlige Situation, weil ich zu faul war, den langen Weg zu nehmen.
Mein Zimmer bestand aus einem Bett, einem Stuhl, einem Schreibtisch und einem Schrank und dem Regal mit meinen Studienunterlagen. Es gab noch einen Kühlschrank, da ich aber den Strom extra zahlen musste, habe ich den nicht genutzt, genauso wie die Kochplatte. Alles, was ich besaß, passte in einen 70l Tourenrucksack (im Laufe des Studiums kam noch ein Umzugskarton mit Büchern dazu. Es war tapeziert und gestrichen und hatte einen Teppich, an sich klein, aber gemütlich - aus dem Fenster sah ich das Gras meines Vermieters). Irgendwann (nach vier Semestern) "leistete" ich mir ein Telefon mit meiner Mitbewohnerin. Ich hatte kein Fernsehen und kein Radio, um die GEZ zu sparen. Ich wohnte alleine in dem Keller, d.h. ich verbrachte die Zeit mit studieren. Im Winter war es ziemlich kühl (der Keller war aber heizbar). Über mir waren so "Luxusstudi 1 Zimmerwohnungen" - eines der Mädels da war nur von Sonntag-Donnerstag da und ließ mir ab und an ihren Schlüssel da, dass ich bei ihr Fernsehen konnte. Ich hab sie nie darach gefragt, aber wenn es so war, hat das meine Lebensqualität schon ziemlich verbessert. Schon alleine den Luxus zu haben, mal in einen anderen Raum gehen zu können.
Es geht alles. Man gewöhnt sich auch daran. Und es fühlt sich irgendwann "normal" an. Gleichzeitig hatte ich immer das Gefühl, wie hinter Glas das Leben anderer Leute zu sehen. Aber es macht etwas mit einem. Ich hatte z.B. oft Situationen, wo ich wirklich Gewissensbisse hatte oder in eine doofe Situation kam, die dann viel Geld kostete - was auch daran lag, dass ich dazu gehören wollte und nicht sagen wollte "sorry, kann ich mir nicht leisten". Ich erinnere mich noch daran, dass z.B. ein Professor drei Kapitel in einem Werk als prüfungsrelevant empfahl - direkt vor der Klausurwoche. Fernleihe und alles war zu spät ...
Bei uns in der Unibib war das Buch geklaut (auch so ein Ding), es war aber in einem anderen Unigebäude gelagert - das war 12km entfernt. Es gab kein Semesterticket, die S-Bahn kostete knapp (und auf heute umgerechnet 6€) - also insgesamt 12€. Das Buch kaufen war nicht drin .. Ich bin schwarz hingefahren (damit das Buch noch da war, wenn ich kam), habe die Kapitel kopiert und bin einen Teil des Weges heimgelaufen, weil ich eigentlich nicht schwarz fahre. Wäre ich erwischt worden, 60€ wären so viel Geld gewesen ... Ich erinnere ich echt noch, wie laut mein Herz den ganzen Weg schlug, ich wusste aber wirklich keine andere Möglichkeit, an den Lernstoff zu kommen.
Oder es gab eine Weile, da besaß ich nur eine Jeanshose. Punkt. Das war vor Primarkt und Ebaykleinanzeigen und ich hatte das Geld einfach nicht für eine zweite- sprich - war die eine in der Wäsche, konnte ich das Haus nicht verlassen. Ich finanzierte mich durch einen Job in der Gastro - Einmal hatte ich gerade die Waschmaschine angeworfen, als der Anruf kam, ob ich arbeiten könnte - ich hätte das Geld dringend gebraucht, konnte aber eigentlich nicht los. Und ich konnte nicht die Wahrheit sagen. Als ich dann zwei weitere Hosen kaufen konnte, fühlte ich mich echt erleichtert. Gleichzeitig war aber auch immer so ein wenig Wut im Hintergrund, warum ich wirklich in dieser miesen Situation war.
Oder ich war in einem Praktikum, wo eine "Kuchenspende" erwartet wurde - ich hatte nicht mal einen Herd, geschweige denn einen Backofen. Den habe ich dann bei einem Konditor machen lassen (und übelst viel Geld bezahlt). Oder ich bekam mal einen Praktikumsplatz 15km entfernt zugeteilt, konnte mir aber die S-Bahn nicht leisten. Ich bin dann hingeradelt, Treffpunkt war um 7 Uhr, ich bin um 5 los, aus Angst, das nicht zu finden und habe so getan, als ob ich für mein Leben gerne Fahrrad fahre.
Ich war echt Meisterin darin, meine präkere Lage zu verheimlichen. Ich wohnte praktisch in der Uni - mein Kellerraum gab ja nichts an Impulsen her. Von Montag - Freitag war die Uni bis 22 Uhr auf, dort nutzte ich die Bibliothek, das Internet, das ohnehin meine Lifeline war, weil Emails die einzige Gelegenheit waren, kostenfrei zu kommunizieren. Und ich hatte Glück, dass ich die Uni hatte. Samstag und Sonntag war es schwierig. Da saß ich in meinem Zimmer - ich las viel. Arbeitete an meinen Hausarbeiten. Lernte. Träumte von einem besseren Leben. Bekam einen Lagerkoller. Wenn ich zwischendurch mal Fernsehen konnte, ging es. Sonst ging ich spazieren, fast schon zwanghaft, um überhaupt irgendwelche Leute zu sehen.
Ich verdiene nun seit Jahren gut, aber ich kann diesen "Armutsgedanken" oft nicht abschütteln. Es hat mich dauerhaft verändert. Bei mir war es so, dass ich im Studium wirklich auf dem 0 Punkt war - nur 1€ weniger wäre der Exodus gewesen. In unserer Fakultät gab es immer wieder ganz coole Angebote, z.B. eine Chinaexkursion. Das nette Mädel über mir wurde sofort von ihren Eltern angemeldet "ein tolles Erlebnis" - ich hatte manchmal schon Selbstmitleid, weil bei mir fünf Exkursionstage als Pflicht auf dem Programm standen (natürlich nicht nach China) und ich keine der außergewönlichen Möglichkeiten für mich nutzen konnte. Und mir war bewusst, dass es jammern auf hohem Niveau ist. Das Positive: Ich wusste, dass der einzige Mensch, der mich aus der Situation retten konnte, ich selbst war. Ich wusste, dass Bildung der Schlüssel in die nächste Welt war. Und ich konnte es echt schätzen.
Nach sechs Semestern war ich sogar in der Lage, dass ich Geld gespart hatte, obwohl ich insgesamt nur 650DM im Monat (okay, und die Vollzeitsemesterjobs) hatte. Ich bin dann todesmutig in den Semesterferien nach Schottland gefahren, um wenigstens ein wenig was von der Welt zu sehen (mit dem Bus, 36 Stunden lang) und war total stolz, dass es geklappt hat. Wenn die Armut einen Vorteil hatte, dann den, dass ich echt stolz auf mich war, als es vorbei war. Ich bin kein emotionaler Typ, aber als meine erste Gehaltsabrechnung kam und mir klar wurde, dass das ganze Geld nun mir gehörte und dass ich nie wieder z.B. durch den Wald schleichen würde, um eine Handvoll Walderdbeeren zu finden, musste ich echt heulen. An sich ist es aber so, wie Doors mal schrieb - Armut macht keinen Spaß. Wirklich - gar keinen.