Hitler – Aufstieg des Bösen
28.12.2007 um 09:24
Hallo Jafrael,
nach dem lesen des Threads und deiner Buchempfehlung zu S. Haffner, habe ich mir gerne die Zeit genommen dieses äußerst interessante Buch (Anmerkungen zu Hitler) zu lesen.
Auch der unorthodoxen Frage "Wäre Hitler 1938/39 gestorben, gelte er dann vielleicht als großer Staatsmann" hat sich der sehr geschätzte Herr Haffner angenommen und kommt zu überraschenden Erkenntnissen.
Obwohl, was heißt überraschenden Erkenntnissen? Eigentlich auch nur zu Tatsachen, die sich aber SO kein Deutscher auszusprechen wagt.
Ich will mal einige Stellen zitieren:
Gewiß zögert man mit Recht, ihn einen »großen Mann« zu nennen. »Gar nicht groß sind die bloßen kräftigen Ruinierer«, sagt Jacob Burckhardt, und als ein kräftiger Ruinierer hat sich Hitler ja erwiesen. Aber ohne jeden Zweifel hat er sich auch, und nicht nur im Ruinieren, als eine Leistungskanone größten Kalibers erwiesen. Ohne seine durchaus ungewöhnliche Leistungskraft wäre zwar die Katastrophe, die er zustande brachte, weniger gewaltig ausgefallen. Aber man darf nicht außer acht lassen, daß sein Weg in den Abgrund über hohe Gipfel führte.
In den ersten sechs Jahren seiner zwölfjährigen Herrschaft überraschte Hitler Freund und Feind mit einer Reihe von Leistungen, die ihm vorher fast niemand zugetraut hatte. Es sind diese Leistungen, die damals seine Gegner – 1933 immerhin noch eine Mehrheit der Deutschen – verwirrten und innerlich entwaffneten und die ihm in Teilen der älteren Generation auch heute noch ein gewisses heimliches Renommee verschaffen.
Unter diesen positiven Leistungen Hitlers muß an erster Stelle, alles andere in den Schatten stellend, sein Wirtschaftswunder genannt werden. Den Ausdruck gab es damals noch nicht; er ist erst für die überraschend schnelle Wiederaufbau- und Wiederankurbelungsleistung der Ära Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt worden. Aber er paßt noch viel besser auf das, was im Deutschland der mittleren dreißiger Jahre unter Hitler vor sich ging. Viel tiefer und stärker war damals der Eindruck, daß ein wirkliches Wunder vollbracht wurde; und daß der Mann, der es vollbrachte, also Hitler, ein Wundertäter war.
Im Januar 1933, als Hitler Reichskanzler wurde, gab es in Deutschland sechs Millionen Arbeitslose. Drei kurze Jahre später, 1936, herrschte Vollbeschäftigung. Aus schreiender Not und Massenelend war allgemein ein bescheiden-behaglicher Wohlstand geworden. Fast ebenso wichtig: An die Stelle von Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit waren Zuversicht und Selbstvertrauen getreten. Und noch wunderbarer: Der Übergang von Depression zu Wirtschaftsblüte war ohne Inflation erreicht worden, bei völlig stabilen Löhnen und Preisen. Das ist später nicht einmal Ludwig Erhard gelungen.
Man kann sich die dankbare Verblüffung, mit der die Deutschen auf dieses Wunder reagierten und die insbesondere die deutsche Arbeiterschaft nach 1933 in hellen Haufen von der SPD und KPD zu Hitler umschwenken ließ, gar nicht groß genug vorstellen. Sie beherrschte in den Jahren 1936-1938 die deutsche Massenstimmung absolut und verwies jeden, der Hitler immer noch ablehnte, in die Rolle eines querulantischen Nörglers. »Der Mann mag seine Fehler haben, aber er hat uns wieder Arbeit und Brot gegeben« - das war in diesen Jahren die millionenfache Stimme der ehemaligen SPD- und KPD-Wähler, die noch 1933 die große Masse der Hitlergegner gebildet hatten.
War das deutsche Wirtschaftswunder der dreißiger Jahre wirklich eine Leistung Hitlers? Man wird die Frage trotz denkbarer Einwände wohl bejahen müssen. Es ist vollkommen richtig: Hitler war wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch ein Laie; die einzelnen Einfälle, mit denen das Wirtschaftswunder in Gang gesetzt wurde, stammten größtenteils nicht von ihm, und besonders das halsbrecherische Finanzierungskunststück, von dem alles abhing, war eindeutig das Werk eines anderen Mannes: seines «Finanzzauberers« Hjalmar Schacht. Aber es war Hitler, der Schacht holte - erst an die Spitze der Reichsbank, dann auch des Wirtschaftsministeriums - und ihn machen ließ. Und es war Hitler, der all die Ankurbelungspläne, die schon vor ihm existiert hatten, aber vor ihm eben aus allen möglichen, hauptsächlich finanziellen Bedenken gestrandet waren, aus den Schubladen holen und ins Werk setzen ließ - von den Steuergutscheinen bis zu den Mefowechseln, vom Arbeitsdienst bis zu den Autobahnen. Er war kein Wirtschaftspolitiker, nein, und er hatte sich nie träumen lassen, daß er auf dem Umweg über eine Wirtschaftskrise und mit der Aufgabe, eine Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, zur Macht kommen würde. Die Aufgabe war ganz und gar nicht auf ihn zugeschnitten; in seinen Plänen und politischen Gedankengebäuden hatte das Wirtschaftliche bis 1933 kaum eine Rolle gespielt. Aber er besaß genug politischen Instinkt, um zu begreifen, daß es jetzt für den Augenblick die Hauptrolle spielte, und, überraschenderweise, auch genug wirtschaftspolitischen Instinkt, um, im Gegensatz etwa zu dem unseligen Brüning, zu erfassen, daß Expansion in diesem Augenblick wichtiger war als budgetäre und monetäre Stabilität.
Außerdem besaß er freilich auch, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die Macht, mindestens den Schein monetärer Stabilität mit Gewalt zu erzwingen. Denn auch diese Schattenseite des Hitlerschen Wirtschaftswunders darf nicht übersehen werden: Da es sich inmitten einer fortdauernden Weltdepression abspielte und Deutschland zu einer Wohlstandsinsel machte, erforderte es die Abschottung der deutschen Wirtschaft gegen die Außenwelt, und da seine Finanzierung der Tendenz nach unvermeidlich inflationär war, erforderte es von oben auferlegte Zwangslöhne und -preise. Für ein diktatorisches Regime, mit den Konzentrationslagern im Hintergrund, war beides möglich: Hitler brauchte weder auf Unternehmerverbände noch auf Gewerkschaften Rücksicht zu nehmen, er konnte beide in der »Deutschen Arbeitsfront« zusammenzwingen und damit lahmlegen, und er konnte jeden Unternehmer, der ungenehmigte Auslandsgeschäfte machte oder die Preise seiner Ware erhöhte, ebenso ins KZ sperren wie jeden Arbeiter, der Lohnerhöhungen verlangte oder gar dafür zu streiken drohte. Auch insofern muß man das Wirtschaftswunder der dreißiger Jahre das Werk Hitlers nennen, und insofern waren sogar diejenigen in gewissem Sinne nur konsequent, die um des Wirtschaftswunders willen auch die Konzentrationslager in Kauf nahmen.
Das Wirtschaftswunder war Hitlers populärste Leistung, aber nicht seine einzige. Mindestens ebenso sensationell, und ebenso unerwartet, war die ebenfalls in den ersten sechs Jahren seiner Herrschaft erfolgreich durchgeführte Wiederbewaffnung und Aufrüstung Deutschlands. Als Hitler Reichskanzler wurde, hatte Deutschland ein 100000-Mann-Heer ohne moderne Waffen, und keine Luftwaffe. 1938 war es die stärkste Militär- und Luftmacht Europas. Eine unglaubliche Leistung! Auch sie wäre zwar nicht ohne gewisse Vorarbeiten der Weimarer Zeit möglich gewesen, und auch sie war im einzelnen natürlich nicht Hitlersche Detailarbeit, sondern eine Gewaltleistung des militärischen Establishments. Aber Hitler gab den Befehl und die Inspiration; noch weniger als das Wirtschaftswunder ist das militärische Wunder ohne Hitlers entscheidenden Anstoß denkbar, und noch mehr als das Wirtschaftswunder, das eine Improvisation Hitlers war, entsprang es seinen langgehegten Plänen und Vorsätzen. Daß es sich in Hitlers Hand später nicht zum Segen für Deutschland ausgewirkt hat, ist eine Sache für sich. Eine Leistung bleibt es deswegen doch, und ebenso wie das Wirtschaftswunder eine Leistung, die vorher niemand Hitler zugetraut hätte. Daß er sie gegen alle Erwartung zustande brachte, erregte Staunen und Bewunderung, bei einigen wenigen vielleicht auch eine gewisse Bangigkeit (was hatte er mit dieser hektischen Rüstung vor?), bei den meisten aber Genugtuung und nationalen Stolz. Im Militärischen wie im Wirtschaftlichen hatte Hitler sich als ein Wundertäter erwiesen, dem nur noch verbohrte Rechthaberei Dank und Gefolgschaft verweigern konnte.
Zwei Aspekte der Hitlerschen Aufrüstungspolitik sollen hier kurz gestreift werden, ein dritter verlangt ein paar Worte mehr.
1. Es ist oft behauptet worden, Hitlers Wirtschaftswunder und sein militärisches Wunder seien im Grunde dasselbe gewesen, die Arbeitsbeschaffung sei ganz oder doch im wesentlichen durch die Aufrüstung erfolgt. Das stimmt nicht. Gewiß schaffte die allgemeine Wehrpflicht einige hunderttausend potentiell Arbeitslose von der Straße, und die Massenproduktion von Panzern, Kanonen und Flugzeugen setzte einige hunderttausend Metallarbeiter in Lohn und Brot. Aber die große Mehrheit der sechs Millionen Arbeitslosen, die Hitler vorgefunden hatte, fand ihre Wiederbeschäftigung in ganz normalen zivilen Industrien. Göring, der in seinem Leben viel prahlerischen Unsinn schwätzte, hat damals das irreführende Schlagwort in Umlauf gesetzt: »Kanonen statt Butter.« In Wirklichkeit produzierte das Dritte Reich Kanonen und Butter und noch vieles andere mehr.
2. Die Aufrüstung hatte auch eine wichtige außenpolitische Seite: Sie bedeutete zugleich die Außerkraftsetzung entscheidender Teile des Versailler Friedensvertrages, also einen politischen Triumph über Frankreich und England, und eine radikale Veränderung der europäischen Machtverhältnisse. Davon soll aber in anderem Zusammenhang, in dem Kapitel »Erfolge«, die Rede sein. Hier, wo wir es mit Hitlers Leistungen zu tun haben, interessiert die Leistung als solche.
3. In dieser Leistung steckt aber noch ein ganz persönlicher Beitrag Hitlers, der eine kurze Betrachtung verdient. Wir sagten oben, daß die gewaltige Detailarbeit der Aufrüstung nicht Sache Hitlers war, sondern des Kriegsministeriums und der Generalität. Davon ist eine Ausnahme zu machen. In einer bestimmten Detailfrage, die sich später im Kriegsverlauf als überaus wichtig erweisen sollte, griff Hitler selbst ein und legte die Organisation der neuen Wehrmacht, und damit ihre zukünftige Operationsweise, von sich aus fest: Er fällte, gegen die noch überwiegende Mehrheit der Fachmilitärs, die Entscheidung für die Schaffung integrierter, selbständig operierender Panzerdivisionen und Panzerarmeen. Diese neuartigen Heeresformationen, die 1938 nur die deutsche Armee besaß, erwiesen sich in den ersten beiden Kriegsjahren als feldzugentscheidende Waffe und wurden später von allen anderen Armeen nachgeahmt. Ihre Schaffung ist Hitlers persönliches Verdienst und stellt seine größte Leistung auf militärischem Gebiet dar - eine größere als seine umstrittene Feldherrntätigkeit im Kriege. Ohne Hitler hätte sich die Minderheit der Generalität - vertreten vor allem durch Guderian -, die die Möglichkeiten einer selbständigen Panzerwaffe erkannt hatte, wahrscheinlich in Deutschland gegen die konservative Mehrheit ebensowenig durchgesetzt wie in England und Frankreich, wo die Panzeradvokaten Fuller und de Gaulle bekanntlich am Widerstand der Traditionalisten scheiterten. Es ist kaum übertrieben, wenn man sagt, daß in diesen für die Öffentlichkeit kaum interessanten, internen militärischen Kontroversen die Feldzüge der Jahre 1939-1941, insbesondere der Frankreichfeldzug von 1940, vorentschieden wurden. Daß Hitler dabei die richtige Entscheidung fällte, ist - im Gegensatz zu seinen anderen, von ihm selbst stets sofort effektvoll in Szene gesetzten Leistungen - eine verborgene Leistung, die zunächst nichts dazu beitrug, ihn populär zu machen; im Gegenteil, sie machte ihn bei den konservativen Militärs ausgesprochen unpopulär. Aber sie zahlte sich später aus - in seinem militärischen Triumph über Frankreich 1940, der vorübergehend selbst die letzten und standhaftesten seiner deutschen Gegner an sich selbst irre werden ließ.