Lina Heydrich - Ein Nachkriegsdeutsches Kapitel
01.09.2020 um 14:48Wer mich kennt, und das tut hier niemand, der weiß, dass eines meiner liebsten Steckenpferde die deutsche Geschichte ist. Ich sauge wie ein Schwamm seitdem ich denken kann, alles auf, was auf unserem Staatsgebiet einmal passiert ist. Und so kommt es dann, dass man mit mir selten durch die Gegend laufen kann, ohne dass ich auf dieses und jenes deute und erkläre, warum und weshalb und was damals hier passiert ist.
Besonderes Faible ist da für mich die Zeit des dritten Reiches. Und das nicht, weil ich die Uniformen so schneidig fände (was ich täte), sondern weil es die für uns wahrnehmbar prägenste Zeit der jüngeren Deutschen Geschichte ist. Sie hat alles zuvor irgendwie obsolet gemacht - Kaisertum und Weimarer Republik verblassen ja in der allgemeinen Erinnerung, von dem, was zuvor kam sowieso. Wer weiß schon wirklich etwas über den Norddeutschen Bund? Genau, wieder keiner.
Spoiler
Nun habe ich mich mal wieder kreuz und quer durch die Nazis gelesen und bin diesmal nicht an einer der schillernden Nazigrößen, wie Himmler, Goebbles oder Göring hängen geblieben, sondern an dem zunächst eher unscheinbaren Reinhard Heydrich und im weiteren Verlauf meines Interesses an seiner Frau Lina.
Nun ist es nicht so, dass ich noch nie über Heydrich gehört hätte, allerdings ist die Geschichte seiner Ehefrau Lina ein Kapitel in der deutschen Justiz der Nachkriegszeit, die man mit heutigem Abstand nochmal einer Bewertung unterziehen könnte. Aber fangen wir vorne an.
Reinhard Heydrich - Farblos, Nazi, Schlächter, Mythos?
Seine Laufbahn:
Reinhard Heydrich war, um es mit den Worten Görings zu sagen, "das Hirn Himmlers". Denn während der SS-Obermacker aus einer kleinbürgerlichen Familie kam, und mit seinem selbst von Hitler belächelten Germanenwahn und König Heinrich-Wahn der Esoterik allzu zugeneigt war, war Heydrich das handelnde Organ Himmlers.
Heydrich war Leiter des Reichsicherheitshauptamt, dem RSHA. In dieser Funktion war er federführend bei der Durchführung von Unterdrückung und Holocaust und war mit Adolf Eichmann einer der von Göring mit der "Endlösung" beauftragten Beamten. Er organisierte maßgeblich die ihm untergeordneten Strukturen, um einen reibungslosen Ablauf von Unterdrückung, Deportation und Vernichtung aller vom RSHA als solche erkannter politischer und rassischer Feinde zu garantieren.
So war Heydrich leitender Offizier der Wannseekonferenz 1942, bei der die Vernichtung der Juden in Stein gemeißelt wurde - und die zunächst nur versprengten, "wilden" Vernichtungslager wie Chelmo und Treblinka haben der industrialisierten Vernichtungsmaschinerie von Ausschwitz und Majdanek weichen müssen.
Im Laufe des Jahres 1941 wurde Heydrich eine kleidvolle Doppelposition zuteil: er wurde "Stellvertretender Reichsprotektor Böhmen und Mähren", blieb zugleich aber Chef des RSHA.
Als Reichsprotektor für das Protektorat "Böhmen und Mähren", was im Grunde das Gebiet der heutigen, bzw. ehemaligen Tschechoslowakei und Teile Polens umfasst, war er im Grunde der Statthalter der Nazis in Tschechien selbst.
Seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen den Frieden, gegen jeden guten Geschmack und guter Sitte, sind zahlreich und mannigfaltig.
Seine Person:
Heydrich wird Äußerlich als der Prototyp des Deutschen beschrieben: Hochgewachsen, Blond, Bläuaugig. Nach SS Rassekriterien hätte Heydrich auf Himmlers schlecht frisierten Kopf spucken dürfen, seis drum. Einzig der helle Klang seiner Stimme brachte ihm allzu häufig Spott ein - tatsächlich war Heydrich vielen Verleumdungen - auch durch eifernde Parteikollegen - ausgesetzt. So sei er schwul, Halbjude, und wurde teils selbst dann nicht ernst genommen, wenn er Fremden wahrheitsgemäß drohte, er sei Chef der Gestapo und könne jeden ohne Umschweife ins KZ befördern.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
Selbst nach Parteibeitritt war Heydrich nach Meinung von Historikern und Zeitgenossen kein in seiner Weltanschauung gefestigter Nationalsozialist. Er begann während der Weimarer Republik eine Laufbahn bei der Marine. Das Marineoffizierskorps, das seinerzeit äußerst konservativ war, akzeptierte ihn als "Freisinnigen" nicht.
1931 wurde er aufgrund einer Affäre, die aufflog, aus der Marine geworfen. Ein schwerer Schlag für den musisch begabten Heydrich, der sich einer neuen, unmilitärischen Tätigkeit zuwenden wollte.
Seine Ehefrau
Bei dieser Beschreibung fragt man sich, wie dieser offenbar gar nicht sooo verschepperte Jungoffizier (19 Jahre alt), es innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Nazi-Verbrecher aller Zeiten schaffen konnte?
Historiker vermuten als treibende Sprungfeder seine Frau Lina Mathilde, Mädchenname "von Osten", die bereits zum Zeitpunkt der Verlobung eine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus war.
Sie war es, die ihn antrieb, ein Vorstellungsgespräch bei Heinrich Himmler anzunehmen, in die SS einzutreten. Sie festigte gemeinsam mit der Partei- und SS-Struktur die Ideologische Erziehung Heydrichs maßgeblich und ebnete so den Weg zu Heydrichs steilem Aufstieg.
Spoiler
Lina selbst genoss die Stellung ihres Mannes in vollen Zügen. So drangsalierte und beschimpfte sie ihre jüdischen Zwangs-Gartenarbeiter und ließ sie bei Fehlverhalten prügeln - später wurden diese Zwangsarbeiter im Zuge der Endlösung deportiert, Lina Heydrich beschäftigte dann normale Angestellte.
Als ihr Mann Reichsprotektor wurde, war es ihr ein besonderes Vergnügen, auf einem repräsentativen Landsitz unweit von Prag zu residieren, regelmäßig die Prager Burg zu besuchen, und sich in den höchsten Kreisen der Nationalsozialistischen Gesellschaft zu bewegen. Dabei lag sie vor allem im Clinch mit der Ehefrau Himmlers, Margarete, die Lina Heydrich als zu "sparsam" und "schlicht" empfand.
Nach dem Tod ihres Mannes, den wir sogleich beleuchten werden, lebte sie weiter auf ihrem Landsitz und floh erst auf zudringlichen Rat Himmlers vor der Roten Armee.
Das Heydrich-Attentat
Nun ist es so, dass Tschechien auch nach der "Zerschlagung der Rest-Tschechei" im Jahr 1938 formal nicht aufhörte zu existieren. In London gründete sich eine Exilregierung, die versuchte, in ihrem Umfang Einfluss auf den wenig später begonnenen Weltkrieg zu nehmen. Einerseits durch den Versuch, Sabotage und Spionage zu fördern, was sich aufgrund des dichten Netzes der Nazis als schwierig erwies. Doch es wurden auch ehemalige Soldaten und Geflüchtete zu Agenten ausgebildet, die dann mit Fallschirm über dem Land absprangen, um den Untergrund zu unterstützen.
Eine solche Gruppe Kämpfer plante in der Operation "Anthropoid" die Ermordung Heydrichs. Der Ort des Anschlages sollte eine enge Haarnadelkurve auf der Straße zwischen Heydrichs Landsitz und der Prager Burg sein. Ich zitiere den Ablauf nun der Einfachkeit halber aus der Wikipedia:
Original anzeigen (0,2 MB)
Quelle: Wikipedia: Reinhard Heydrich#Attentat und Tod Heydrichs
Heydrich starb an den Folgen dieses Attentats.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, obgleich es für das Thema dieses Threads unerheblich ist, dass eine gewaltige Vergeltungsaktion der Nazis folgte, bei denen nicht nur die Attentäter gefasst und ermordet worden, sondern zwei ganze Dörfer vollständig ausradiert.
Wer das nachlesen möchte:
Lidice
Ležáky
Nach dem Attentat wurde Heydrich ein Blutzeuge der Bewegung und zu einem Mythos hochstilisiert - sein Tod war wohl selbst unter seinen Kollegen sein größter Sympathiegewinn.
Nun geht es mir aber um seine Frau, Lina, deren Charakter ich an dieser Stelle bereits angerissen habe.
Nach dem Tod ihres Mannes erhielt sie eine stattliche Witwenrente über 1900 Reichsmark - das entspricht monatlich etwa 6800 Euro.
Diese Zahlungen wurden nach dem Kriege eingestellt und nach dem "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" nicht wieder aufgenommen.
Jetzt wird es etwas theoretischer als vorher: Dieses Gesetz regelt die Rechtsverhältnisse von Menschen, die z.B. durch den Nationalsozialismus Ansprüche auf Pensionen verloren haben, oder eben wie Lina Heydrich gewonnen haben. Durch das Verbot der NSDAP und der Erklärung der Unrechtmäßigkeit des Regimes, war beiden Fällen die rechtliche Grundlage entzogen. Allerdings bedurfte es eben einer gewissen Regelung, welche Ansprüche wieder, oder nach wie vor gelten und welche nicht und vor allem regelte dieses Gesetz die bis heute viel beklagte Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst mit Nationalsozialisten.
Amtsträger der NSDAP hatten allerdings pauschal keine Rechtsansprüche mehr, aus offenkundigen Gründen.
So wurde denn auch Lina Heydrich ihre Rente im Zuge dieser Gesetzlage gestrichen, ihr Mann war kein Beamter im Rechtssinne mehr und somit erlosch der Anspruch.
Spoiler
Lina Heydrich beantragte sodann 1950 Witwen- und Waisenbezüge nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (dem Bundesversorgungsgesetz), da ihr Mann durch Kampfhandlungen gefallen war - im Grunde der selbe Anspruch, den jede andere Soldatenwitwe also auch haben sollte.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
1952 wurde dieser Antrag von den Behörden abgelehnt, da Reinhard Heydrich kein Soldat, sondern Beamter gewesen sei. Das Oberversicherungsamt Schleswig allerdings revidierte diese Entscheidung, da sie das Attentat klar als kriegerischen, sogar geplanten Akt bewertete. Sie bewilligten Lina Heydrichs Ansprüche rückwirkend bis 1950. Das Land Schleswig-Holstein, sowie der Bundesminister für Arbeit und Soziales legten dagegen 1954 Einspruch ein.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
Es dauerte weitere vier(!) Jahre, (13 Jahre nach Kriegsende), bis das Landessozialgericht die Entscheidung des Oberversicherungsamtes bestätigte. Allerdings war im Bundesversorgungsgesetz kein Passus enthalten, der Gefallenen aus Gründen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, den Anspruch verwehren würde, sodass im Falle Lina Heydrichs lediglich entschieden werden musste, ob ihr Mann tatsächlich durch Kampfhandlungen gefallen war. Die Taten Reinhard Heydrichs vielen bei diesem Urteil nicht in die Bemessung.
Bei dieser Frage entschied dann das Gericht entgegen dem eingesetzen Gutachter, dass es sich um tschechische Soldaten handelte, und demzufolge um Kampfhandlungen (ironisch, dass den Attentätern damit auch der Mord an einem Zivilisten attestiert wurde - und damit ein Kriegsverbrechen).
Hier die Attentäter (sie waren Soldaten, kann man schon so sagen):
Jozef Gabčík
Jan Kubiš
Damit war es Besiegelt, Lina Heydrich erhielt ihre Rente. Dieses Urteil wurde von vielen Seiten sehr heftig kritisiert, ich zitiere:
So. Nun zu den Fragestellungen:
1. Ist dieses Urteil juristisch wasserdicht?
2. Ist dieses Urteil moralisch einwandfrei?
3. Ist das tschechische Urteil zu rechtfertigen?
Meine Standpunkte:
1) Das denke ich durchaus. Natürlich hat LH an dieser Stelle einen Schlupfwinkel im Bundesversorungsgesetz gefunden, aber deswegen darf das Gericht das Recht noch lange nicht beugen - es waren Männer, die bereits vor dem Attentat als Soldaten tätig waren und in England exakt dafür ausgebildet wurden. Es sind Kombattanten und als Frau eines durch Kombattanten Gefallenen, steht ihr das dann halt zu.
2) Das ist die Frage, in der ich selbst keine gefestigte Meinung habe. Steht Lina Heydrich moralisch diese Rente zu? Oder übertragen wir die Wut über die Taten ihres Mannes auf sie?
Wenn wir sagen, sie sei die Sprungfeder für ihren Mann gewesen, so sprechen wir doch Reinhard Heydrich die Verantwortung für sein Handeln ab, wenn wir sagen, sie hätte ihn dazu "getrieben". Und andererseits war sie gegenüber ihren Zwangsarbeitern ein Scheißmensch. Aber rechtfertigt das ihr die Lebensgrundlage zu entziehen? Ich weiß es ehrlich nicht.
Sie selbst ist eben keine schwere Nazi-Verbrecherin gewesen, lediglich die Frau von einem und überzeugte Nationalsozialistin. Mein eigener moralischer Kompass sagt mir, dass ich niemanden für seine Gesinnung bestrafe, wenn ich nicht selbst ein Nazi sein will. Demzufolge - was ist die moralische Basis, auf der das Urteil moniert wurde? Ist es nicht ein Hohn, einer Witwe zu sagen, sie sei kein Opfer, nachdem ihr Mann ermordet wurde? Ganz ohne Anschauung des Menschen.
3) und daraus ergibt sich auch schon der Zweifel, dass man sie für das pure Verheiratet sein mit einem Irren lebenslang wegsperren sollte. Für die Behandlung ihrer Zwangsarbeiter hat sie jedenfalls auch kein Lebenslänglich verdient, es ist ja in keinem Verhältnis, wenn man bedenkt, was andere Nazi-Politiker absitzen mussten. Aber das wird auch ein emotional angestoßenes Urteil gewesen sein.
Zuletzt noch eine eigene Überlegung:
Hat sich der Staat mit diesem Zirkus überhaupt einen Gefallen getan? Hätte man dieser Witwe nicht einfach eben das Minimum dessen, was ihr zusteht (es ging ja nicht mehr um die lächerlich hohe Pension ihres Mannes), statt sich vorm Kadi zu blamieren und dann zu weinen, dass man die eigenen Gesetze nicht besser geplant hat? Hat sich der Staat an dieser Stelle wirklich mit Ruhm bekleckert?
Was meint ihr zur Geschichte von Lina Heydrich?
Spoiler
SpoilerProps an den, der bis hier hin durchgehalten hat.
Besonderes Faible ist da für mich die Zeit des dritten Reiches. Und das nicht, weil ich die Uniformen so schneidig fände (was ich täte), sondern weil es die für uns wahrnehmbar prägenste Zeit der jüngeren Deutschen Geschichte ist. Sie hat alles zuvor irgendwie obsolet gemacht - Kaisertum und Weimarer Republik verblassen ja in der allgemeinen Erinnerung, von dem, was zuvor kam sowieso. Wer weiß schon wirklich etwas über den Norddeutschen Bund? Genau, wieder keiner.
Spoiler
Nun habe ich mich mal wieder kreuz und quer durch die Nazis gelesen und bin diesmal nicht an einer der schillernden Nazigrößen, wie Himmler, Goebbles oder Göring hängen geblieben, sondern an dem zunächst eher unscheinbaren Reinhard Heydrich und im weiteren Verlauf meines Interesses an seiner Frau Lina.
Nun ist es nicht so, dass ich noch nie über Heydrich gehört hätte, allerdings ist die Geschichte seiner Ehefrau Lina ein Kapitel in der deutschen Justiz der Nachkriegszeit, die man mit heutigem Abstand nochmal einer Bewertung unterziehen könnte. Aber fangen wir vorne an.
Reinhard Heydrich - Farblos, Nazi, Schlächter, Mythos?
Seine Laufbahn:
Reinhard Heydrich war, um es mit den Worten Görings zu sagen, "das Hirn Himmlers". Denn während der SS-Obermacker aus einer kleinbürgerlichen Familie kam, und mit seinem selbst von Hitler belächelten Germanenwahn und König Heinrich-Wahn der Esoterik allzu zugeneigt war, war Heydrich das handelnde Organ Himmlers.
Heydrich war Leiter des Reichsicherheitshauptamt, dem RSHA. In dieser Funktion war er federführend bei der Durchführung von Unterdrückung und Holocaust und war mit Adolf Eichmann einer der von Göring mit der "Endlösung" beauftragten Beamten. Er organisierte maßgeblich die ihm untergeordneten Strukturen, um einen reibungslosen Ablauf von Unterdrückung, Deportation und Vernichtung aller vom RSHA als solche erkannter politischer und rassischer Feinde zu garantieren.
So war Heydrich leitender Offizier der Wannseekonferenz 1942, bei der die Vernichtung der Juden in Stein gemeißelt wurde - und die zunächst nur versprengten, "wilden" Vernichtungslager wie Chelmo und Treblinka haben der industrialisierten Vernichtungsmaschinerie von Ausschwitz und Majdanek weichen müssen.
Im Laufe des Jahres 1941 wurde Heydrich eine kleidvolle Doppelposition zuteil: er wurde "Stellvertretender Reichsprotektor Böhmen und Mähren", blieb zugleich aber Chef des RSHA.
Als Reichsprotektor für das Protektorat "Böhmen und Mähren", was im Grunde das Gebiet der heutigen, bzw. ehemaligen Tschechoslowakei und Teile Polens umfasst, war er im Grunde der Statthalter der Nazis in Tschechien selbst.
Seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen den Frieden, gegen jeden guten Geschmack und guter Sitte, sind zahlreich und mannigfaltig.
Seine Person:
Heydrich wird Äußerlich als der Prototyp des Deutschen beschrieben: Hochgewachsen, Blond, Bläuaugig. Nach SS Rassekriterien hätte Heydrich auf Himmlers schlecht frisierten Kopf spucken dürfen, seis drum. Einzig der helle Klang seiner Stimme brachte ihm allzu häufig Spott ein - tatsächlich war Heydrich vielen Verleumdungen - auch durch eifernde Parteikollegen - ausgesetzt. So sei er schwul, Halbjude, und wurde teils selbst dann nicht ernst genommen, wenn er Fremden wahrheitsgemäß drohte, er sei Chef der Gestapo und könne jeden ohne Umschweife ins KZ befördern.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
Selbst nach Parteibeitritt war Heydrich nach Meinung von Historikern und Zeitgenossen kein in seiner Weltanschauung gefestigter Nationalsozialist. Er begann während der Weimarer Republik eine Laufbahn bei der Marine. Das Marineoffizierskorps, das seinerzeit äußerst konservativ war, akzeptierte ihn als "Freisinnigen" nicht.
1931 wurde er aufgrund einer Affäre, die aufflog, aus der Marine geworfen. Ein schwerer Schlag für den musisch begabten Heydrich, der sich einer neuen, unmilitärischen Tätigkeit zuwenden wollte.
Seine Ehefrau
Bei dieser Beschreibung fragt man sich, wie dieser offenbar gar nicht sooo verschepperte Jungoffizier (19 Jahre alt), es innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Nazi-Verbrecher aller Zeiten schaffen konnte?
Historiker vermuten als treibende Sprungfeder seine Frau Lina Mathilde, Mädchenname "von Osten", die bereits zum Zeitpunkt der Verlobung eine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus war.
Sie war es, die ihn antrieb, ein Vorstellungsgespräch bei Heinrich Himmler anzunehmen, in die SS einzutreten. Sie festigte gemeinsam mit der Partei- und SS-Struktur die Ideologische Erziehung Heydrichs maßgeblich und ebnete so den Weg zu Heydrichs steilem Aufstieg.
Spoiler
Lina selbst genoss die Stellung ihres Mannes in vollen Zügen. So drangsalierte und beschimpfte sie ihre jüdischen Zwangs-Gartenarbeiter und ließ sie bei Fehlverhalten prügeln - später wurden diese Zwangsarbeiter im Zuge der Endlösung deportiert, Lina Heydrich beschäftigte dann normale Angestellte.
Als ihr Mann Reichsprotektor wurde, war es ihr ein besonderes Vergnügen, auf einem repräsentativen Landsitz unweit von Prag zu residieren, regelmäßig die Prager Burg zu besuchen, und sich in den höchsten Kreisen der Nationalsozialistischen Gesellschaft zu bewegen. Dabei lag sie vor allem im Clinch mit der Ehefrau Himmlers, Margarete, die Lina Heydrich als zu "sparsam" und "schlicht" empfand.
Nach dem Tod ihres Mannes, den wir sogleich beleuchten werden, lebte sie weiter auf ihrem Landsitz und floh erst auf zudringlichen Rat Himmlers vor der Roten Armee.
Das Heydrich-Attentat
Nun ist es so, dass Tschechien auch nach der "Zerschlagung der Rest-Tschechei" im Jahr 1938 formal nicht aufhörte zu existieren. In London gründete sich eine Exilregierung, die versuchte, in ihrem Umfang Einfluss auf den wenig später begonnenen Weltkrieg zu nehmen. Einerseits durch den Versuch, Sabotage und Spionage zu fördern, was sich aufgrund des dichten Netzes der Nazis als schwierig erwies. Doch es wurden auch ehemalige Soldaten und Geflüchtete zu Agenten ausgebildet, die dann mit Fallschirm über dem Land absprangen, um den Untergrund zu unterstützen.
Eine solche Gruppe Kämpfer plante in der Operation "Anthropoid" die Ermordung Heydrichs. Der Ort des Anschlages sollte eine enge Haarnadelkurve auf der Straße zwischen Heydrichs Landsitz und der Prager Burg sein. Ich zitiere den Ablauf nun der Einfachkeit halber aus der Wikipedia:
Heydrich verspätete sich an diesem Morgen. Als sein Wagen schließlich eintraf, musste sein Fahrer, SS-Oberscharführer Klein, vor der Kurve den Mercedes-Benz stark abbremsen. Gabčík hob seine Maschinenpistole und drückte aus kürzester Entfernung ab. Die Waffe hatte jedoch Ladehemmung, so dass sich kein Schuss löste. Heydrich, im Glauben, es nur mit einem Einzeltäter zu tun zu haben, traf eine für ihn persönlich verhängnisvolle Fehlentscheidung: Er befahl dem Fahrer anzuhalten und zog gegen Gabčík seine Dienstpistole. Kubiš trat nun aus der Deckung und warf seine Handgranate. Diese prallte am rechten Hinterrad ab und explodierte neben dem Fahrzeug. Heydrich sprang aus dem Wagen und versuchte, auf die Attentäter zu schießen. Sein Fahrer Klein, „durch die Explosion desorientiert, torkelte auf Kubiš zu“, und „Heydrich brach plötzlich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, so dass auch Gabčík aus seinem Schussfeld entkommen konnte“.Spoiler
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Quelle: Wikipedia: Reinhard Heydrich#Attentat und Tod Heydrichs
Heydrich starb an den Folgen dieses Attentats.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, obgleich es für das Thema dieses Threads unerheblich ist, dass eine gewaltige Vergeltungsaktion der Nazis folgte, bei denen nicht nur die Attentäter gefasst und ermordet worden, sondern zwei ganze Dörfer vollständig ausradiert.
Wer das nachlesen möchte:
Lidice
Ležáky
Nach dem Attentat wurde Heydrich ein Blutzeuge der Bewegung und zu einem Mythos hochstilisiert - sein Tod war wohl selbst unter seinen Kollegen sein größter Sympathiegewinn.
Soweit zur Person Reinhard Heydrichs.
Nun geht es mir aber um seine Frau, Lina, deren Charakter ich an dieser Stelle bereits angerissen habe.
Nach dem Tod ihres Mannes erhielt sie eine stattliche Witwenrente über 1900 Reichsmark - das entspricht monatlich etwa 6800 Euro.
Diese Zahlungen wurden nach dem Kriege eingestellt und nach dem "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" nicht wieder aufgenommen.
Jetzt wird es etwas theoretischer als vorher: Dieses Gesetz regelt die Rechtsverhältnisse von Menschen, die z.B. durch den Nationalsozialismus Ansprüche auf Pensionen verloren haben, oder eben wie Lina Heydrich gewonnen haben. Durch das Verbot der NSDAP und der Erklärung der Unrechtmäßigkeit des Regimes, war beiden Fällen die rechtliche Grundlage entzogen. Allerdings bedurfte es eben einer gewissen Regelung, welche Ansprüche wieder, oder nach wie vor gelten und welche nicht und vor allem regelte dieses Gesetz die bis heute viel beklagte Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst mit Nationalsozialisten.
Amtsträger der NSDAP hatten allerdings pauschal keine Rechtsansprüche mehr, aus offenkundigen Gründen.
So wurde denn auch Lina Heydrich ihre Rente im Zuge dieser Gesetzlage gestrichen, ihr Mann war kein Beamter im Rechtssinne mehr und somit erlosch der Anspruch.
Spoiler
Lina Heydrich beantragte sodann 1950 Witwen- und Waisenbezüge nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (dem Bundesversorgungsgesetz), da ihr Mann durch Kampfhandlungen gefallen war - im Grunde der selbe Anspruch, den jede andere Soldatenwitwe also auch haben sollte.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
1952 wurde dieser Antrag von den Behörden abgelehnt, da Reinhard Heydrich kein Soldat, sondern Beamter gewesen sei. Das Oberversicherungsamt Schleswig allerdings revidierte diese Entscheidung, da sie das Attentat klar als kriegerischen, sogar geplanten Akt bewertete. Sie bewilligten Lina Heydrichs Ansprüche rückwirkend bis 1950. Das Land Schleswig-Holstein, sowie der Bundesminister für Arbeit und Soziales legten dagegen 1954 Einspruch ein.
Spoiler
Original anzeigen (0,2 MB)
Es dauerte weitere vier(!) Jahre, (13 Jahre nach Kriegsende), bis das Landessozialgericht die Entscheidung des Oberversicherungsamtes bestätigte. Allerdings war im Bundesversorgungsgesetz kein Passus enthalten, der Gefallenen aus Gründen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, den Anspruch verwehren würde, sodass im Falle Lina Heydrichs lediglich entschieden werden musste, ob ihr Mann tatsächlich durch Kampfhandlungen gefallen war. Die Taten Reinhard Heydrichs vielen bei diesem Urteil nicht in die Bemessung.
Bei dieser Frage entschied dann das Gericht entgegen dem eingesetzen Gutachter, dass es sich um tschechische Soldaten handelte, und demzufolge um Kampfhandlungen (ironisch, dass den Attentätern damit auch der Mord an einem Zivilisten attestiert wurde - und damit ein Kriegsverbrechen).
Hier die Attentäter (sie waren Soldaten, kann man schon so sagen):
Jozef Gabčík
Jan Kubiš
Damit war es Besiegelt, Lina Heydrich erhielt ihre Rente. Dieses Urteil wurde von vielen Seiten sehr heftig kritisiert, ich zitiere:
Die Gerichtsentscheidung führte zu öffentlicher Kritik, etwa durch den Bund der Verfolgten des Naziregimes bis hin zur schleswig-holsteinischen Landesregierung unter Ministerpräsident von Hassel, weil die Kriegsopferversorgung vor allem den Kriegsversehrten und der sozialen Entschädigung bedürftiger Familien von gefallenen oder vermissten Soldaten zugutekommen sollte, nicht aber für den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen verantwortlichen ehemaligen NS-Funktionären. Diese seien keine „Opfer des Krieges“.Ganz nebenbei wurde Lina Heydrich in Teschechien in Abwesenheit zu Lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt - wurde aber nie ausgeliefert.
So. Nun zu den Fragestellungen:
1. Ist dieses Urteil juristisch wasserdicht?
2. Ist dieses Urteil moralisch einwandfrei?
3. Ist das tschechische Urteil zu rechtfertigen?
Meine Standpunkte:
1) Das denke ich durchaus. Natürlich hat LH an dieser Stelle einen Schlupfwinkel im Bundesversorungsgesetz gefunden, aber deswegen darf das Gericht das Recht noch lange nicht beugen - es waren Männer, die bereits vor dem Attentat als Soldaten tätig waren und in England exakt dafür ausgebildet wurden. Es sind Kombattanten und als Frau eines durch Kombattanten Gefallenen, steht ihr das dann halt zu.
2) Das ist die Frage, in der ich selbst keine gefestigte Meinung habe. Steht Lina Heydrich moralisch diese Rente zu? Oder übertragen wir die Wut über die Taten ihres Mannes auf sie?
Wenn wir sagen, sie sei die Sprungfeder für ihren Mann gewesen, so sprechen wir doch Reinhard Heydrich die Verantwortung für sein Handeln ab, wenn wir sagen, sie hätte ihn dazu "getrieben". Und andererseits war sie gegenüber ihren Zwangsarbeitern ein Scheißmensch. Aber rechtfertigt das ihr die Lebensgrundlage zu entziehen? Ich weiß es ehrlich nicht.
Sie selbst ist eben keine schwere Nazi-Verbrecherin gewesen, lediglich die Frau von einem und überzeugte Nationalsozialistin. Mein eigener moralischer Kompass sagt mir, dass ich niemanden für seine Gesinnung bestrafe, wenn ich nicht selbst ein Nazi sein will. Demzufolge - was ist die moralische Basis, auf der das Urteil moniert wurde? Ist es nicht ein Hohn, einer Witwe zu sagen, sie sei kein Opfer, nachdem ihr Mann ermordet wurde? Ganz ohne Anschauung des Menschen.
3) und daraus ergibt sich auch schon der Zweifel, dass man sie für das pure Verheiratet sein mit einem Irren lebenslang wegsperren sollte. Für die Behandlung ihrer Zwangsarbeiter hat sie jedenfalls auch kein Lebenslänglich verdient, es ist ja in keinem Verhältnis, wenn man bedenkt, was andere Nazi-Politiker absitzen mussten. Aber das wird auch ein emotional angestoßenes Urteil gewesen sein.
Zuletzt noch eine eigene Überlegung:
Hat sich der Staat mit diesem Zirkus überhaupt einen Gefallen getan? Hätte man dieser Witwe nicht einfach eben das Minimum dessen, was ihr zusteht (es ging ja nicht mehr um die lächerlich hohe Pension ihres Mannes), statt sich vorm Kadi zu blamieren und dann zu weinen, dass man die eigenen Gesetze nicht besser geplant hat? Hat sich der Staat an dieser Stelle wirklich mit Ruhm bekleckert?
Was meint ihr zur Geschichte von Lina Heydrich?
Spoiler
SpoilerProps an den, der bis hier hin durchgehalten hat.