AlteTante schrieb:Fraukie schrieb:
Dennoch sollte man sich durchaus überlegen ob man davon auch uneingeschränkt Gebrauch machen möchte.
So ist es. Aus obigen Gründen. Wie gesagt: Es kommt auf das Thema an. Wenn man zum Schweigen aufgefordert wird
Ich sehe zwischen dem Hinweis, dass eine emotionsgeladene Atmosphäre eine sinnvolle Diskussion erschwert und der "Aufforderung zum Schweigen" einen erheblichen Unterschied zumal ich eine Aufforderung zum Schweigen in jeder Diskussion unmöglich und inakzeptabel finde zumindest dann, wenn wir hier nicht von einer Meinungsäußerung sprechen die in die Rechtsgüter Anderer eingreift.
AlteTante schrieb:Fraukie schrieb:
Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass emotionsgeladene Argumentationen in der Regel weniger Menschen erreichen als eine sachliche Diskussion es tut.
Ist das wirklich so?
Ja, "
meiner Erfahrung nach" kommt eine sachliche Diskussion "
in der Regel" weiter als eine Emotionsgeladene.
Aber "meiner Erfahrung nach" und "in der Regel" sind eben auch eine deutliche Abgrenzung von "Ist immer und überall so."
Anderer Leute Erfahrungen können davon abweichen und tun es üblicher Weise auch zumindest hier und da, aus dem einfachem Grund, das wir ja nicht in einer Petrischale leben.
Ich persönlich würde mich in einer Welt in der sachliche Diskussionen immer und überall "funktionieren" sehr wohl fühlen, aber es ist nicht möglich Erfahrungen zu übertragen und das ich mich damit wohlfühlen würde kann leider auch keines Wegs in auch nur annähernd ausreichendem Umfang sicherstellen, dass Andere sich mindestens genauso wohl fühlen müssen wie meiner einer.
Deswegen bin ich lieber froh, dass es sich bisher für mich bewährt hat, das meint aber eben auch, dass ich im Hinterkopf halten muss, dass es eben nicht immer und überall auch so laufen muss bzw nicht für jeden so angenehm ist wie für mich selbst.
AlteTante schrieb:Mehr Sachlicheit wäre in der Tat wünschenswert. Aber viele Leute scheinen gar keine Sachlichkeit zu wollen.
Da gebe ich Dir definitiv Recht. Schwierig ist hier für mich oft die Unterscheidung:
"Ist jemand unsachlich, weil er emotional so tief drin steckt, dass er das gewisse Maß an Distanz, das ein sachliches Gespräch benötigt nicht mehr herstellen
kann?"
oder
"Argumentiert jemand mutwillig unsachlich, weil er ganz gezielt beabsichtigt zu provozieren oder sich über seine Gesprächspartner zu erheben und beides auf sachlicher Ebene sehr viel schwieriger bis unmöglich ist."
Im ersteren Fall kann man nur versuchen zu erörtern "wie tief die Kugel liegt" um irgendwie einzuschätzen, ob und auf welche Weise man ein Gespräch überhaupt weiter führen kann ohne Salz in Wunden zu streuen.
Mit Leuten die unsachlich werden um zu provozieren oder damit versuchen sachliche Argumente "abzuwehren" vermeide ich jedes Gespräch für das ich nicht bezahlt werde.
AlteTante schrieb:Die wollen, dass die ganze Welt ihre Gefühle und Gedanken für das Wichtgste auf der Welt hält und sich bemüht, ihre Wünsche zu erfüllen.
Das macht dem Umgang grundsätzlich sehr schwierig... vor allem weil solche Menschen ja auch nur zu gern dazu neigen ihre Ansichten mal eben um 180° zu drehen nur weil ihre eigene Position
Dein Beispiel:
AlteTante schrieb:zum Beispiel Sachzwänge (wie bei Corona die Gefahren für Risikogruppen) zu bedenken sind, für eine Zumutung.
erinnerte mich da z.B. an jemanden, der im einen Moment noch "Pft, was interessieren mich die alten und krankheitsanfälligen Nachbarn, meine Kumpels und ich müssen halt zu 10. durchs Treppenhaus trampeln wenn man im Garten feiern will.." patzte..
Da wurden schön die Augen verdreht, bei der Frage ob man da nicht ggf an die Gesundheit/das Sicherheitsbedürfnis der 80 jährigen Dame die einen Stock unter ihm lebte hätte denken müssen.
Wenige Wochen später wurde bei seiner Mutter Leukämie diagnostiziert und auf einmal war der Postbote, der es wagte ohne Handschuhe die Klingel zu berühren schon auf einer Stufe mit einem Serienkiller.
Bei sowas hilft mir tatsächlich nur die Frage "sachlich oder nicht?" bei der Einschätzung ob ich mit dieser Person diskutieren möchte, denn der Standpunkt kann am Nachmittag schon ein ganz Anderer sein als morgens und dann hat die ganze Welt still zu stehen und sich daran zu orientieren.
Fierna schrieb:In Anbetracht der Tatsachen bzw historischen Gegebenheiten - die hier augenscheinlich niemand kennt und es auch offenbar niemand für nötig empfindet, sich damit zu beschäftigen - wirken solche Worte schon hochgradig zynisch.
Ich denke da sitzt Du einem Irrtum auf.
In die Köpfe der anderen Diskussionsteilnehmer kann ich nicht reinschauen, aber da ich ungern irgendetwas unterstelle (schon gleich gar nicht nur weil ein Standpunkt von meinem Eigenen abweicht) bleibe ich bei dem Eindruck, dass der Großteil der Schreiber sich nicht nur sehr wohl für den historischen Hintergrund interessiert, sondern sich auch das notwendige Hintergrundwissen angeeignet hat.
Die Annahme, dass ein vergleichbarer Wissensstand auch zwangsläufig zu vergleichbaren Ansichten führen muss und unterschiedliche Meinungen nur auf "Unwissen" oder gar "Desinteresse" beruhen können halte ich für einen Irrtum.
Für mich persönlich führt grade eine umfangreiche Beschäftigung mit den historischen Hintergründen dazu, dass ich extrem oft zwar durchaus wahrnehme und "würdige", dass Menschen zwar in "bester Absicht" argumentieren, wenn sie den Wunsch äußern die Bestrafung irgendeines Täters habe im Grunde nur "möglichst hart" auszufallen.
Aber dass ich die Motive hinter dieser Forderung nachvollziehen kann ändert nichts daran, dass es mir erhebliche Sorgen bereitet, wenn diese Forderungen ohne (teils erhebliche) Abweichungen von rechtsstaatlichen Prinzipien beinhalten.
Denn ich sehe in solchen Abweichungen dann keine "Genugtuung für ein Menschenmenge", ich sehe "Gefahr für Alle".
Wie
@rhapsody3004 anmerkt sind wir nicht sicher davor, dass sowas nie wieder passiert.
Mit "kleinen Änderungen des Feindbildes" und hoffentlich mehr Widerstand.
Aber mir gibt es keine Sicherheit, wenn ich daran denke, wie viel dann davon abhängt ob dieser Widerstand wirklich genug ist.
Mir wäre es am Liebsten, wenn ich das niemals rausfinden muss und das geht meiner Ansicht nach nur, wenn genug Menschen sich klar machen welche "Startbedingungen" bereits vermieden werden müssen und Dinge wie "Willkür" und "Rechtsbeugung um ein Exempel zu statuieren." stehen da recht weit oben auf meiner "Liste".
Fierna schrieb:Die Entkopplung von der Historie führt dann zwar folgerichtig zu der banalen Frage, ob man denn nun mit "Tätern" genauso nach rechtsstaatlichen Gegebenheiten verfahren müsse wie mit "Opfern"
Das ist in beiden "Einzelfaktoren" Ansichtssache, also sowohl bei der Frage ob es überhaupt um eine "Entkopplung von der Historie" geht als auch bei der Annahme die Frage danach ob und unter welchen Bedingungen rechtsstaatliche Prinzipien vor einem Rückfall in vergangene Fehler schützen können als "banal" bezeichnet werden sollte.
Ich empfinde die Frage nach der Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und danach wie weit er auf dem Papier existieren kann und ab welchem Punkt die Menschen ihn auch leben müssen als alles andere als "banal".
Auch ist eine "Entkopplung von der Historie" in meinen Augen nicht nur unmöglich.
Viel mehr ist es grade bei der Betrachtung der "historischen Bedeutung", die es meiner Ansicht nach so wichtig macht weitere Aspekte aus zahlreichen Blickwinkeln zu beleuchten.
Die Geschichte lehrt uns so Vieles und u.A. eben auch, dass das "Damoklesschwer: Geschichte wiederholt sich." sehr schwer "abzusichern" ist bzw die Abwendung dieser Wiederholung mehr braucht als die Betrachtung von einem Gesichtspunkt.
Ich kenne recht viele Lehrer und wann immer die Gespräche darauf kommen zeichnet sich eine Sache ab:
Schüler für das Thema "DDR, Mauerfall usw" zu interessieren ist schon seit einer ganzen Weile je nachdem wo in Deutschland man sich befindet oft erschreckend schwer.
In diesem Fall reden wir von kaum 30 Jahren.
Das Vorgehen:
"Wir arbeiten das Geschehene auf, schaufeln die Fakten rund um all das Grauen in die Köpfe unserer Schüler und bringen ihnen auf diese Weise bei, dass es ihnen wichtig sein sollte ihren Teil zu tun, dass sowas nie wieder passiert."
Die "Ernährung" von Wachsamkeit, das Bewusstsein, dass Freiheit ein Privileg ist das nicht selbstverständlich daher kommt ausschließlich oder vornehmlich durch die Vermittlung historischer Tatsachen..
Das kommt nicht ohne "Ablaufdatum" daher.
Die Zeit läuft weiter, die Schrecken der Vergangenheit wird für kommende Generationen immer weniger greifbar werden und die Annahme, das man das verhindern kann indem man sich auf den historischen Aspekt und irgendwie auch auf "Abschreckung durch die Berichte von Grausamkeit" verlässt erscheint mir ein Fehler zu sein.
Prävention hat immer schon mehr gefordert als historische Bildung und die "Kosten" werden nicht geringer werden.
Spätestens wenn die "bloße Existenz historische Tatsachen" an Durchschlagskraft verliert müssen andere, zusätzliche Aspekte her, warum nicht schon vorher?
Soziologische Fragen:
"Wie konnten aus normalen Menschen derart kaltblütige Verbrecher werden?"
"Wie viele Menschen müssen denn nicht mal anfeuern, sonder "nur" wegschauen, die Augen schließen usw, dass sich sowas ausbreiten kann?"
"Bis zu welchem Punkt wäre eine vergleichbare Entwicklung noch durch Widerstand der eigenen Bürger zu stoppen?"
Empfinde ich als hochgradig bedeutsam und hier kommt eben auch eine Überschneidung von Soziologie, rechtlichen Grundlagen und der Frage "Was genau macht einen Rechtsstaat aus?" ins Spiel z.B.
"Warum ist es so wichtig Menschenrechte festzulegen, die nicht verwirkt werden können, egal was derjenige angestellt hat?"
und eben auch:
"Welche Gefahr geht davon aus, wenn Tätern irgendwelche Rechte abgesprochen werden ohne, dass die rechtlichen Grundlagen das im Grunde hergeben?"
Diskussionsansätze, die nicht nur auf historischen Tatsachen beruhen, sondern diese Tatsachen mit einbinden, sie in ein "größeres Ganzes" einordnen und auch als Beispiele dafür heranziehen was hier eigentlich auf dem Spiel steht.
Es geht nicht nur um "Schuld und Sühne" sondern um "Wie war das möglich?" um es in der Zukunft abzuwehren.
Und in einem Gerichtsverfahren geht es nicht nur um das Konto einer Täterin und darum ob und womit sie "davon" kommt.
@rhapsody3004 Hat es sehr gut formuliert:
rhapsody3004 schrieb:Nein, das tschechische Urteil war nicht gerechtfertigt. Man wollte lediglich ein Exempel statuieren und hat mehr nach Moral an Stelle von Recht und Gesetz geurteilt. Etwas was kein Gericht tun darf.
Viele Leute empfinden es als "Genugtuung", wenn mit einem Täter härter verfahren wird als Recht und Gesetz es eigentlich zulassen.
Dabei sollte für jeden mit einem Mindestmaß an historischer Bildung sehr klar sein was für eine Gefahr davon ausgeht.
Willkür
von denunzierendem Nachbarn, über die Polizei bis hin zu sämtlichen gerichtlichen Instanzen.
Schauprozesse
bei denen es gar nicht mehr um Recht und Gesetz ging, sondern darum Exempel zu statuieren, der einen Masse zu geben was sie will und die Andere abzuschrecken.
Fehlende Grundrechte
die Möglichkeit einem Menschen sämtliche Rechte abzusprechen, solange es nur dem Zweck den man erreichen mag dient..
All das gehörte von Anfang bis Ende zu dem Werkzeugen dieses dunklen Kapitels.
Durch jede Rechtslücke zu schlüpfen oder gar Rechte zu beugen um ein Urteil zu erreichen bei dem ein gewisser Anteil der Bevölkerung mit "Genugtuung" belohnt wird kommt mit einem verdammt hohem Preisschild daher.
Die Einen "suhlen" sich in der Genugtuung für den Moment und die anderen erschrecken vor der Gefahr für die Zukunft jedes Einzelnen.
Fierna schrieb:Klar, muss für die "Täter" auch Recht gesprochen werden....ob das bei den Opfern stattgefunden hat, interessiert aber niemanden.
Das es zwischen Rechten und Schuldspruch für den Täter und der Frage nach dem Unrecht das dem Opfer getan wurde sowohl "Schnittpunkte" gibt als auch Aspekte die unabhängig voneinander zu betrachten sind hat nichts mit "Desinteresse" zu tun, sondern damit das Rechtssprechung und das Verhängen einer Strafe in einem Rechtsstaat genau das sein müssen und können. Um "Rache" darf es niemals gehen.
Fragst Du in jedem Mordprozess was es denn überhaupt zu diskutieren gibt, bei einem Täter, der nicht "nur" in das Recht auf körperliche Unversehrtheit seines Opfers eingegriffen sondern das Leben sogar beendet hat und das manchmal sogar auf qualvolle Art und Weise?
Oder können wir uns darauf einigen, dass ein Rechtsstaat nur dann existieren kann, wenn es bei der Beachtung der Rechte und der Bestrafung eines Täters Grenzen gibt, die nicht überschritten werden können, ganz egal was der Täter sich hat zu Schulden kommen lassen.
Das es ab einer gewissen Grenze keine Rolle mehr spielen darf was irgendwer als Genugtuung empfindet.
Die Tatsache, dass auch ein Täter Rechte haben muss die zu wahren sind hat nichts aber auch gar nichts mit Desinteresse am Opfer zu tun.
"Im Namen des Volkes" darf nicht "Auge um Auge" heißen oder rechtfertigen.
"Ein Täter verwirkt all die Rechte, die er seinem Opfer genommen hat." ist etwas zu dem es niemals kommen darf.
Grade unser historischer Hintergrund sollte uns lehren, dass Recht und Gesetz sich niemals auf das Niveau von Rache oder "Gebt der Meute was sie will" herablassen darf, ganz gleich was individuelle Moralvorstellungen als Genugtuunge empfände:
rhapsody3004 schrieb:Meine Moralvorstellungen hätten ihr etwas anderes gewünscht, aber diese sind nicht maßgeblich. Moral ist stets von Recht und Gesetz zu trennen.
Wer irgendetwas davon hat, der darf gerne in Gedanken darin schwelgen, was er gerne als "Strafe" gehabt hätte.
Das ist scheinbar durchaus menschlich und sollte unbedenklich sein, solange das Bewusstsein dafür, dass "Recht und Gesetz" höhere Richtlinien haben müssen nicht verloren geht.
Fierna schrieb:Da hier offenbar der Irrglaube vorliegt, es handle sich um irgendeine Art....Hartz 4,
Eigentlich wird nur genau anders herum ein Schuh draus:
Würde hier davon ausgegangen, dass es sich um eine "Grundsicherung" handeln würde, dann gäbe es diese Diskussion in dem Sinne gar nicht.
Die Frage ob eine Grundsicherung gestrichen werden kann würde mit "Nein" beantwortet und der hier stattfindenden Diskussion würde die Grundlage fehlen.
Nur die Tatsache, dass die Leute die hier diskutieren sehr wohl wissen, dass es hier um höhere Bezüge geht lässt die Fragen:
"Ist es in Ordnung solche finanziellen Ansprüche zu kappen obwohl die rechtliche Grundlage das mindestens in Zweifel zieht?"
bzw
"Ist es in solchen Fällen wirklich eine tolle Idee ggf bis hin zur ganz offenen Rechtsbeugung zu gehen um etwas durchzusetzen, dass rechtlich betrachtet nicht durchzusetzen wäre, moralisch aber von vielen Leuten ausdrücklich erwünscht ist?"
"Geht nicht eine viel größere Gefahr für jeden davon aus, wenn ein Rechtsstaat eher zu Gunsten von Rachegelüste und Genugtuung urteilt, statt im Sinne von Recht und Gesetz?"
überhaupt aufkommen.
Allgemein gesprochen:
Damit, dass jemand mit Geld aus Lug und Betrug, aus Mord und Versklavung in den Sonnenuntergang reitet, weil trotz dem Versuch das vor Gericht zu verhindern die rechtliche Grundlage, Beweismittel oder sonstwas für ein anderes Urteil leider nicht ausgereicht hat.
Damit kann ich persönlich leben. Ist nicht schön und nicht fair, aber so ist das Leben manchmal.
Wird dann aber vor Gericht "was nicht passt wird passend gemacht" gespielt und es wird irgendwie ein Urteil aus dem Hut gezaubert das sich zwar moralisch "schön und fair" darstellen lässt aber am Ende vom Tag einfach mal mehr Rechtsbildung und Willkür war, die vom Gericht, Teilen des Volkes usw gebilligt wurde..
Das macht mir dann Sorgen und zwar erhebliche Sorgen.
Im Vergleich zu dieser Besorgnis erscheint mir das ungute Gefühl, dass da jemand mit irgend etwas "davon gekommen" ist, mit dem er in einer perfekten Welt nicht hätte davonkommen dürfen, als komplett irrelevant.