@Tussinelda Du bist es, die einen - zugegeben - komplizierten Prozess (noch) nicht verstanden hat.
Warscheinlich bist Du zu jung, um die Entwicklung miterlebt zu haben, deshalb hier noch einmal:
Es mag aus heutiger Sicht erstaunlich klingen, aber vor etwa 1975 war das N-Wort die ganz selbstververstänliche Bezeichnung für alle Menschen mit dunkler Hautfarbe. Nicht nur für Schwarzafrikaner und amerikanische Sklavenabkömmlinge, sondern auch für Südinder und sogar für australische Ureinwohner, die als "negroid" bezeichnet wurden. Das Wort gehörte zur Hochsprache, nicht zur Umgangssprache, stand in Schulbüchern und wissenschaftlichen Werken und wurde unemotional benutzt. Es gab auch kein anderes, "korrekteres" Wort. Wer eine abwertende Bezeichnung benutzen wollte, wählte andere Bezeichnungen wie "Nigger" oder "Bimbo". Ich bin mir sicher, dass Dunkelhäutige es selbst benutzten, kann mich an den Fernsehauftritt eines Dunkelhäutigen ca. 1974 erinnern, der die damals neue Bezeichnung "Schwarzer" vehement zurückwies. Er sei ein Neger...
Die Zeiten ändern sich, Bezeichnungen ändern sich und der emotionale Gehalt von Woten ändert sich.
@sanatorium hat in seinem letzten Beitrag zufällig ein schönes Beispiel gebracht. Er/Sie hat das Wort "geil" benutzt. Vor ca. 1985 ein absoulutes Tabuwort, wurte es doch nicht wie hier im Sinne von "lustig" und "aufregend" verstanden, sondern ausschließlich für einen Zustand höchster geschlechtlicher Erregung (sozusagen mit Puls 180) und darüber wurde vor 1968 nicht öffentlich gesprochen. Seine öffentliche Erwähnung zu dieser Zeit hätte ungefähr die gleiche Reaktionen hervorgerufen wie die Begüßung einer schwarzafrikanischen Delegation heute auf einem Pateitag der Grünen mit "Hallo liebe Neger". Über die Jugendsprache ist "geil" dann vor 20 Jahren in die Hochsprache gelangt und wird heute unemotional benutzt.
Das N-Wort hat genau den umgekehrten Weg genommen. Es ist heute - in der Öffentlichkeit genutzt - hochemotional. Wer halbwegs bei Verstand ist, benutzt es nicht mehr. Das Problem für die ältere Generation ist nur, dass diese Emotionalität von außen kommt und nicht automatisch mitgelebt wird.
Auch wenns schwer fällt, ich bitte um Verständniss dafür, dass sich emotionale Befindlichkeiten (Einstellungen, Ansichten, Wertungen) langsam änderen, und zwar besonders, je älter man wird. Meine Mutter hat als junges Mädchen 1945 schon der Anblick der ersten amerikanischen Besatzungssoldaten zutiefst schockiert. Orginalzitat (2010): "Es waren Neger! Niemals zuvor hatten wir solche Menschen gesehen". Heute hat sie natürlich keine Angst mehr, das N-Wort werde ich der 82-jährigen aber nicht mehr abgewöhnen.