Selbstreflexion in der Krise - Corona als Spiegel der Persönlichkeit
22.05.2021 um 09:20Yooo schrieb: Ich weiß, es ist egoistisch, aber als ich heute beruflich unterwegs war, durch den ganzen Stadtverkehr, massen an Fußgängern und Fahrradfahrer dachte ich mir nur: Ich will Corona wieder ham!😩🥺Das Problem ist schon auch "etwas hausgemacht". In den letzten Jahrzehnten haben sich der Freizeitbereich und die Freizeitangebote immens ausgedehnt und Shopping wurde immer mehr "zum Event". Ich bin so alt, ich kann mich noch daran erinnern, dass die Innenstädte noch nicht verkehrsberuhigt waren und man nur in die Stadt fuhr, wenn man etwas brauchte (neue Winterschuhe, Schulsachen, etc.). Davor telefonierte meine Mutter jedoch alle Cousins und Bekannte ab, ob man die auch irgendwo gebraucht kaufen konnte - Klamotten waren so teuer, dass sie so lange weitergeben wurden, bis sie nicht mehr tragbar waren (und sie wurden geschont, es gab Schul- und Freizeitklamotten). In der Stadt musste man Geld in die Parkuhr werfen, ging also zielgerichtet in den Laden, kaufte die Schuhe und fuhr wieder heim.
Jetzt trifft man sich in der Stadt, schlendert durch die Läden, nimmt Sachen mit die man gar nicht braucht. Es gibt die Fußgängerzonen, zahlreiche Cafés, to go Angebote und die Leute mögen das. So sehr, dass sie es schmerzlich vermissen, wenn es nicht mehr da ist. So sehr, dass (siehe Beispiel Tübingen) man auch mehrere Stunden Anfahrt auf sich nimmt, um es zu haben. Letzendlich fußt auch unser Wirtschaftsaufschwung darauf, dass oft Sachen gekauft werden, die man gar nicht braucht. Wir haben auch drei Fernseher - wäre früher undenkbar gewesen - und unsere Kinder heulen schon, dass es Freunde gibt, da gehört das in jedem Kinderzimmer zur Standardausstattung (bei manchen gar das Auto zum 18. Geburtstag). Hier müsste ein generelles Umdenken stattfinden - was vermutlich aber dauerhaft zu einem Wirtschaftscrash führen würde.
Genauso der Eventbereich. Bei uns im Dorf beschränkte der sich auf eine große Wiese zum Fußballspielen, einen Spielplatz (der nach heutigen Standards sehr basic war, aber uns ewig viel Spaß brachte) und den angrenzenden Wald und im Sommer einen Baggersee. Da verbrachten wir Stunden - bauten "Lager", etc. Dann hatten wir verschiedene Freunde auf Bauernhöfen, wo wir öfter mal mithalfen und uns groß und erwachsen fühlten :-)). Vereine gab es den Musikverein, Fußballverein, die Landjugend und die Ministranten. Damit hatte sich das. Da trat man mindestens einem bei ... Unsere Eltern hätten uns Samstagmorgen nicht 100km weit zu irgendwelchen ausgefallen Sportturnieren gekarrt oder Unsummen in eine Ausrüstung gesteckt. Inzwischen gibt es betonierte Bolzplätze, einen Basketballplatz, vier ausgefeilte Spielplätze, aus dem alten Hallenbad ist nun ein exklusiv für Schulen genutztes Lehrschwimmbecken geworden und das neue Bad ist dreimal so groß, die Stadtbibliothek muss die Kinder nun "locken", damit gelesen wird, es gibt einen Nachtbus, dass man in der Stadt weggehen kann, es gibt ein ausgefeiltes Ferienprogramm.... und trotzdem meckern die Leute unentweg, dass nichts "für die Kinder getan wird" und das sie sich langweilen. Man ist auch gerne bereit, dafür zu investieren: Wir wohnen z.B. in der Nähe des Europaparks, wo der Eintritt für fünf Leute bei 270€ liegt und das Rulanticaspaßbad müsste so bei 130€ liegen. Mein Vater (in den 80ern Topverdiener) hätte uns den Vogel gezeigt und niemals für einen Tagesausflug so viel Geld hingeblättert. Auch bei der Schulwahl: Jede weiterführende Schule hatte den gleichen Fächerkanon, man durfte auch die Grundschule nicht aussuchen, daher gab es bei den weiterführenden Schulen nur eine Möglichkeit, die auch mit Bus und Fahrrad erreichbar ist.
Die Leute sind nun Überfluss und einen anderen Lebensstandard gewöhnt. Mein 13 Jähriger Sohn fährt mit dem Rad ins Eiscafé und holt sich ein Spaghettieis to go für 5€. Der Downfall ist, dass man kostenfrei Dinge, mit denen man früher die Freizeit verbracht hat, belächelt und/ oder als langweilig empfindet.