Selbstreflexion in der Krise - Corona als Spiegel der Persönlichkeit

Paradigga2.0 schrieb:Die "Schutzkonzepte" der meisten Gastro-Einrichtungen lauten "Kontaktverfolgung", das ist mir ehrlich gesagt zu wenig, viel zu wenig.

Kontaktverfolgung plus negativer Test plus Abstandsregeln plus Beschränkung auf Außengastronomie. So wenig ist das meines Erachtens eigentlich nicht.

martenot schrieb:Wobei ich das eigentlich alles nicht so negativ wahrnehme. Wenn Menschen sich etwas Gutes tun wollen, ist das nicht immer gleich vergnügungs- oder kontaktsüchtig, würde ich sagen. Viele möchten einfach gern den Kontakt zu ihren Freunden oder dem sozialen Umfeld aufrecht erhalten, was normalerweise (ohne Pandemie) doch auch durchaus positiv zu bewerten ist. Ich finde nicht, dass sich die Menschen und ihr Verhalten immer so negativ darstellen.

Es wäre schön, wenn hieran dann auch ein entsprechendes soziales Interesse bestünde, doch merkt man ja an dem fremdgefährdendem Verhalten, das hier prioritär egoistische Bedürfnisse und Interessen bedient werden. Frei nach dem Motto:
Man trifft Freunde, um sich zu zeigen, nicht um sich zu sehen.

Paradigga2.0 schrieb:Man trifft Freunde, um sich zu zeigen, nicht um sich zu sehen.

Hm, das nehme ich nicht so wahr. Die meisten Leute treffen sich doch, um sich zu treffen, und weil man sich gegenseitig schätzt und gern Zeit miteinander verbringt. Ich höre auch immer häufiger, dass man zur Absicherung auch noch Tests macht. So egoistisch wirkt das alles nicht auf mich.... (ich bin aber auch jemand, der eher das Positive im Menschen sieht).

Die Pandemie hat für mich Dinge aufgezeigt, die ich davor nicht so wahrgenommen habe. Die menschlichen Abgründe der beiden "Lager" hat mich so einiges gelehrt, nämlich dass ich "Hardliner" nicht ausstehen kann.

Einige Dinge habe ich sehr vermisst und einige absolut nicht. Die wichtigsten Menschen waren so oder so um mich herum.

Jedenfalls habe ich eines Tages angefangen das Virus zu akzeptieren, es ist nun einmal da und seitdem ist meine Wahrnehmung der Dinge anders. Sorgen, Ängste oder Ärger von damals haben heute kaum eine Wirkung auf mich. Ich bin gelassener als noch vor einem Jahr.

Paradigga2.0 schrieb:Kontaktsucht

Menschen sind soziale Wesen. Es gab leider Experimente, wie sich soziale Isolation auf Kinder auswirken. Das ging übrigens schief.

martenot schrieb:Kontaktverfolgung

ist schon mindestens einmal gescheitert

martenot schrieb:negativer Test

Schnelltest? Ist schon zu oft gescheitert

martenot schrieb:Abstandsregeln

sehe ich permanent scheitern

martenot schrieb:Beschränkung auf Außengastronomie

das einzige, was in Gastro-Konzepten bisher halbwegs geklappt hat, aber auch da: Abstand Fehlanzeige, sehr sehr oft.

Eya schrieb:Ich bin gelassener als noch vor einem Jahr.

Ich finde, es ist einerseits ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Aber die reale Erkrankung meines Partners hat mir auch meine frühere Gelassenheit entrissen. Das Vollbild der Erkrankung Covid19 ist wirklich heftig, da geht einem jegliche Gelassenheit verloren, wenn man das miterlebt - und sei es "nur" als Angehöriger.

martenot schrieb:Die meisten Leute treffen sich doch, um sich zu treffen, und weil man sich gegenseitig schätzt und gern Zeit miteinander verbringt.

Wenn dem so wäre, würde man sich in solchen Pandemiezeiten eben nicht treffen. ;)

MrsK schrieb:Menschen sind soziale Wesen. Es gab leider Experimente, wie sich soziale Isolation auf Kinder auswirken. Das ging übrigens schief.

Ich rede von Kontaktsucht, nicht von sozialen Kontakten. Wir beide haben just in diesem Moment einen sozialen Kontakt und weder kann ich dich noch du mich mit Covid infizieren.

Paradigga2.0 schrieb:Wenn dem so wäre, würde man sich in solchen Pandemiezeiten eben nicht treffen. ;)

Trotz all dem, was ich mit der Erkrankung meines Partners miterlebt habe, sehe ich die Menschen größtenteils nicht so negativ oder pessimistisch. Im Gegenteil, ich erlebe viel achtsames Verhalten.

martenot schrieb:Ich finde, es ist einerseits ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten. Aber die reale Erkrankung meines Partners hat mir auch meine frühere Gelassenheit entrissen. Das Vollbild der Erkrankung Covid19 ist wirklich heftig, da geht einem jegliche Gelassenheit verloren, wenn man das miterlebt - und sei es "nur" als Angehöriger.

Will ich dir nicht absprechen. In meinem familiären Umfeld oder Freundeskreis ist niemand erkrankt. Dass man da gebrandmarkt wird, ist klar. Geht einem bei einer anderen Krankheit sicher ähnlich.

Ich glaube eher dass es bei mir daran liegt von Anfang an, an der Front gestanden zu sein und ständig vom Virus umgeben. Covid19 ist für mich ein erweitertes "Lebensrisiko" - also vom persönlichen Angstpegel her.

MrsK schrieb:Das ging übrigens schief.

Ja, sehe ich auch so. wenn die sozialen Begegnungen komplett wegbrechen, kann das ebenfalls große Schäden in der Psyche der Menschen anrichten.

martenot schrieb:Im Gegenteil, ich erlebe viel achtsames Verhalten.

Das erlebe ich auch, auch in diesem Thread. Das tückische an einer Viruspandemie ist ja aber leider, dass von 100 Leuten sich 99 Leute ganz toll und vorbildlich und rücksichtsvoll verhalten aber leider nur einer von diesen 100 ausreicht, um das alles platzen zu lassen.
Nicht das Virus ist so intelligent, sondern wir nicht intelligent genug. Das ist auch nicht pessimistisch gemeint, sondern leider realistisch. Auf genau dieses Verhalten hat so ein Virus seine gesamte Strategie ausgelegt - und ist damit offensichtlich weltweit sehr schnell sehr erfolgreich.

martenot schrieb:Ja, sehe ich auch so. wenn die sozialen Begegnungen komplett wegbrechen, kann das ebenfalls große Schäden in der Psyche der Menschen anrichten.

Rückblick: Die goldenen 20er, allen ging es gut - das Sozialleben war eskalativ, es gab kein HIV und alle die wollten, hatten unheimlich viel Spaß. Man war weltmännisch und hochgebildet, hatte internationale Geschmäcker und Kontakte.
Dann kamen irgendwann die Nationalsozialisten und alles war vorbei, trotz vorhergehenden sehr sozialen Zeiten.
Geld und Macht sind die Triebfedern der Menschheit, nicht das Soziale, das ist ein Trugschluss.

Paradigga2.0 schrieb:Geld und Macht sind die Triebfedern der Menschheit, nicht das Soziale, das ist ein Trugschluss.

Wie gesagt, ich bin da weit weniger pessimistisch und auch eher menschenfreundlich eingestellt. Ich weiß zwar, was du meinst, und kann es auch zum Teil nachvollziehen, sehe aber trotzdem viel eher auch die positiven Seiten der Menschheit.

Obwohl ich Covid19 mehr oder weniger live miterlebt habe, bin ich trotzdem der Menschheit nicht böse oder würde ihr pauschal etwas vorwerfen wollen.

@martenot

Man kann das eine durchaus sehen ohne das andere auszublenden, da gebe ich dir recht.
Es wäre schlichtweg naiv zu vergessen, dass Sonne und Mond gleichermaßen Bestandteil unserer Welt wären.
Daher werden wir am Ende auch diese Pandemie hinter uns bringen, es geht die ganze Zeit nur um die Vermeidung hoher Opferzahlen, womit Tote und Kranke gemeint sind.

Paradigga2.0 schrieb:Wir beide haben just in diesem Moment einen sozialen Kontakt und weder kann ich dich noch du mich mit Covid infizieren.

Klar haben wir aktuell übers Internet Kontakt, aber es fehlt die Mimik, die Gestik, die Ausstrahlung, der Klang der Stimme. Die Reaktion, die ich in deinem Gesicht lesen kann, wenn ich dir etwas sage oder wie ich dabei wirke. Die Spiegelung und auch Rückmeldung fehlt im Geschrieben oft, weil eben es nur "unbekannte" Menschen sind, was jedoch von echten, reellen Freunden sofort kommt.
Selbst Sarkasmus, Ironie oder Zynismus wird im geschriebenen Wort missverstanden, bzw. will missverstanden werden.

MrsK schrieb:Klar haben wir aktuell übers Internet Kontakt, aber es fehlt die Mimik, die Gestik, die Ausstrahlung, der Klang der Stimme. Die Reaktion, die ich in deinem Gesicht lesen kann, wenn ich dir etwas sage oder wie ich dabei wirke. Die Spiegelung und auch Rückmeldung fehlt im Geschrieben oft, weil eben es nur "unbekannte" Menschen sind, was jedoch von echten, reellen Freunden sofort kommt.
Selbst Sarkasmus, Ironie oder Zynismus wird im geschriebenen Wort missverstanden, bzw. will missverstanden werden.

Kann man alles mit einer Cam beheben. Pure Magie.
Während einer Pandemie ist das für die Gesundheit - auch die psychosoziale - allemal besser als riskante Realkontakte, da sie substituierbar sind, das Leben und die Gesundheit leider bisher nicht.

MrsK schrieb:Klar haben wir aktuell übers Internet Kontakt, aber es fehlt die Mimik, die Gestik, die Ausstrahlung, der Klang der Stimme.

Deswegen ist für mich der Kontakt über soziale Medien im Internet nur ein unzureichender Ersatz für echte Kommunikation und reale Begegnungen. Das mag jeder anders wahrnehmen oder erleben, aber mir geht es manchmal so, dass ich Online-Begegnungen letztlich als defizitär erlebe, und sie können bei mir sogar ein Gefühl von Einsamkeit auslösen.

Es kann also sein, dass ich vor dem Bildschirm sitze und mit Menschen chatte, und ich fühle mich dabei trotzdem irgendwie einsam, weil eben doch niemand da ist. Ich kenne Euch nicht persönlich, weiß nicht eure Namen, und wenn ich den Bildschirm zuklappe, fühle ich mich endgültig wieder von Euch getrennt. Bei realen Begegnungen fühlt sich das (für mich) anders an.

Paradigga2.0 schrieb:Kann man alles mit einer Cam beheben. Pure Magie.

Gut, da geb ich dir recht, für manch einen Erwachsenen kann das ein adäquater Ersatz sein.

martenot schrieb:Deswegen ist für mich der Kontakt über soziale Medien im Internet nur ein unzureichender Ersatz für echte Kommunikation und reale Begegnungen. Das mag jeder anders wahrnehmen oder erleben, aber mir geht es manchmal so, dass ich Online-Begegnungen letztlich als defizitär erlebe, und sie können bei mir sogar ein Gefühl von Einsamkeit auslösen.

Das erlebe ich ähnlich. Und ich hab die Erfahrung gemacht, dass durch die sozialen Medien gute Freunde einfach der Kontakt immer weniger wurde, bis er komplett eingeschlafen ist. Ab und zu schrieb man sich zwar, lass uns mal wieder treffen, aber hat nie geklappt - war vor Corona.

Ich bin aber auch nicht mit Sacial-Media aufgewachsen und seh das deswegen vielleicht noch anders.

martenot schrieb:Es kann also sein, dass ich vor dem Bildschirm sitze und mit Menschen chatte, und ich fühle mich dabei trotzdem irgendwie einsam, weil eben doch niemand da ist. Ich kenne Euch nicht persönlich, weiß nicht eure Namen, und wenn ich den Bildschirm zuklappe, fühle ich mich endgültig wieder von Euch getrennt. Bei realen Begegnungen fühlt sich das (für mich) anders an.

Genau das ist das Problem. Und dadurch ist der Abstand einfach nochmals krasser.
Bestes Beispiel ist doch, wenn jemand über Social-Media schreibt, dass es ihm schlecht gehe.
Im Vergleich, wenn man sich persönlich sieht oder trifft, ist es doch etwas ganz anderes.