Coronavirus (Sars-CoV-2)
26.03.2020 um 14:44Noumenon schrieb:Dass die Maßnahmen legitim sind, belegen diese Zahlen eben nicht. Verstehe mich da nicht falsch: Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass (evidenzbasierte) Handlungsempfehlungen zur Prävention nicht per se aus Zahlen "emergieren", sondern das Resultat komplexer Entscheidungsprozesse sind, die unter Umständen allerdings von medialer Aufmerksamkeit, Hysterie und Panik beeinflusst sein können. Nicht dass es nicht irgendwo nachvollziehbar wäre... also etwa mit Blick auf die alarmierenden Zahlen aus Italien, die uns schon vor Wochen erreicht hatten. Hysterie und Panik sind halt nur leider nicht unbedingt die besten Ratgeber, wenn es um rationale Entscheidungen geht... ;)Ach wie schön. Du bist auch ein promovierter Schwurbologe, Grüße dich Fachkollege. Wollen wir mal zur Abwechslung etwas Inhaltliches beitragen?
Vielleicht mal die Quellen nicht nur posten, sondern auch lesen und sich damit auseinandersetzen:
1. ebm-netzwerk:
https://www.ebm-netzwerk.de/de/veroeffentlichungen/covid-19
FazitEs fehlen zur Zeit ganz offensichtlich Daten und damit belastbare Evidenz. Das liegt in der Natur der Sache bei einer neu auftretenden Pandemie. Der Artikel beschäftigt sich desweiteren mit der kritischen Auseinandersetzung historischer Maßnahmen und führt beispielsweise folgenden Fall vor:
Es gibt insgesamt noch sehr wenig belastbare Evidenz – weder zu COVID-19 selbst, noch zur Effektivität der derzeit ergriffenen Maßnahmen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die COVID-19 Pandemie eine ernstzunehmende Bedrohung darstellt, und NPIs – trotz weitgehend fehlender Evidenz – das einzige sind, was getan werden kann, wenn man nicht einfach nur zusehen und hoffen will. Selbst wenn man von der günstigsten Annahme ausgeht, dass die CFR letztendlich deutlich unter 1% zu liegen kommt (vor allem aufgrund der Nichterfassung asymptomatischer und milder Fälle) und in erster Linie ältere Menschen und Menschen mit Komorbiditäten betroffen sind, so ist dennoch aufgrund der raschen Ausbreitung der Erkrankung mit einer hohen Anzahl von Toten zu rechnen.
Als historisches Beispiel für die Effektivität von NPI werden die unterschiedlichen Reaktionen amerikanischer Städte auf die Influenza-Pandemie 1918 angeführt. Während in St. Louis drei Tage nach dem Auftreten der ersten Influenza-Fälle bereits drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung ergriffen wurden (Schließung von Schulen, Kirchen, Theatern, Lokalen, Absage öffentlicher Veranstaltungen u.a.), wurde in Philadelphia nach dem Ausbruch noch eine große Stadt-Parade durchgeführt und wirksame Containment-Maßnahmen erst zwei Wochen später implementiert [13]. Die Folgen waren dramatisch: In St. Louis erreichte die Todesfallrate in der Spitze 31/100.000 Einwohner, während diese in Philadelphia auf 257/100.000 Einwohner stieg und es als Folge zu einem Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung kam. Auch die Gesamtzahl der Todesfälle lag mit 347/100.000 Einwohnern in St. Louis etwa bei der Hälfte von Philadelphia (719/100.000 Einwohner) [13]. Ob die Erfahrungen aus der Influenza-Pandemie 1918/19 allerdings auf COVID-19 übertragbar sind, ist vollkommen unklar. Die Tatsachen, dass damals hinsichtlich der Todesfälle vor allem junge Leute betroffen waren und dass weder Hygienestandards noch medizinische Versorgung 1918/19 mit heute vergleichbar sind, spricht eher gegen eine Übertragbarkeit.Die Hygienestandards sprechen zwar gegen eine Übertragbarkeit, aber auch nur wenn man sich auf die Hygienestandards beschränkt. Summa summarum ist es nämlich wie auch erwähnt unklar. Es bleibt ein Indiz.
2. Quelle:
https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/
In the most pessimistic scenario, which I do not espouse, if the new coronavirus infects 60% of the global population and 1% of the infected people die, that will translate into more than 40 million deaths globally, matching the 1918 influenza pandemic.Der Artikel ist nicht schlecht, keine Frage. Darum soll es gar nicht gehen. Mich wundert nur deine Rezeption. Denn selbst die nüchterne Analyse des Herrn Prof. John P.A. Ioannidis räumt das pessimistische Szenario natürlich ein; beklagt allerdings dass es zu wenig Daten gibt, die eine konkretere Analyse zulassen. Das Problem ist nur, wir sind schon von der Klippe gesprungen, auch bzw. gerade ohne Lockdown. Wenn wir keine Maßnahmen ergreifen, können wir die Situation nur schwer oder gar nicht kontrollieren und effektive Maßnahmen ergreifen. Die Maßnahmen, die man jetzt ergreift, können aber ganz einfach wieder rückgängig gemacht werden und eine mehrwöchige Ausgangsbeschränkung wird die Wirtschaft oder die Gesellschaft im Ganzen nicht in die Knie zwingen. Insofern ist die Analogie des Prof. Ionnidis eben falsch. Das Virus stellt wenn überhaupt denn Sprung von der Klippe dar, wir haben aber einen Fallschirm, den wir nutzen können um den Aufprall zu verlangsamen. Ob das nötig sein wird oder nicht, wird sich zeigen. Vielleicht sind wir nur ein paar Meter über Wasser und können auch ohne Fallschirm "sanft" und ohne große Schäden landen. Es wäre aber absurd einen Fallschirm nicht zu nutzen solange man das nicht weiß.
The vast majority of this hecatomb would be people with limited life expectancies. That’s in contrast to 1918, when many young people died.
One can only hope that, much like in 1918, life will continue. Conversely, with lockdowns of months, if not years, life largely stops, short-term and long-term consequences are entirely unknown, and billions, not just millions, of lives may be eventually at stake.
If we decide to jump off the cliff, we need some data to inform us about the rationale of such an action and the chances of landing somewhere safe.
Das RKI hat sich übrigens auch schon für stichprobenartige Tests ausgesprochen. Man versucht also natürlich mehr Daten zu gewinnen.
3. Quelle:
Die zeitliche KomponenteEs schwingt unweigerlich eine Ironie mit, wenn du die Artikel als Fakten darstellst.
Und natürlich bleiben uns die großen Fragen. Und die ganz große Frage wird sein: Wie lange? Derzeit kann das niemand beantworten, weil wir zu wenig wissen, und für eine Abwägung braucht es Fakten.
Aber zu Recht weist etwa der Rechtsprofessor Uwe Volkmann darauf hin, dass Verhältnismäßigkeit auch eine zeitliche Komponente hat. All das ist nicht der Aufruf zum Mäkeln. Die Bundesregierung hat ziemlich viel in ziemlich kurzer Zeit auf die Beine gestellt. Aber Rechtsstaat braucht Gedanken und Demokratie ist auch weiterhin Diskurs. Mit Abwägung und Augenmaß und ohne Angst.
So, damit dürfte sich dann hier erst einmal jeder selbst ein Bild über die Fakten machen können.Wo sie doch unisono gerade darauf hinweisen, dass für viele Bewertungen Fakten fehlen. Das liegt - nochmal - aber in der Natur der Sache. Die Handyortung wurde beispielsweise geblockt. Das heißt die parlamentarischen Mechanismen funktionieren noch gut; und ich will gar nicht über das Blockieren selbst urteilen. Es kann sinnvoll sein oder auch nicht, die Daten zu erheben. Fakt ist aber, dass nicht alles einfach durchgewunken wird.
So, kommen wir zu dem von mir zitierten Beitrag:
Grippevirus: Jedes Jahr verursachen Influenza¬infektionen weltweit ungefähr 500 Millionen Erkrankungsfälle. Laut Robert-Koch-Institut werden im Verlauf von Grippewellen fünf bis 20 Prozent der Bundesbürger angesteckt. Weltweit sterben jedes Jahr zwischen 290 000 bis 650 000 Menschen an Influenza.Du gehst also selbst davon aus, dass sich womöglich fünft bis 20 % anstecken können am Coronavirus. Das sind eher die optimistischen Schätzungen, aber bleiben wir bei diesen; gehen wir sogar nur von 10% aus in der aktuellen Saison; also großzügig 6 Monate (vermutlich eher 3-4 Monate).https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.vergleich-grippe-und-coronavirus-grippevirus-und-coronavirus.b3d2379f-b09f...
10% von 82.000.000 sind 8.200.000 Menschen.
Szenario A: Wie von Zauberhand kollabiert das Gesundheitssystem nicht und wir gehen von obiger Infketionszahl aus, sowie folgenden Sterberaten bzw. Infektionssterberaten aus deinen verlinkten Quellen. Wohlgemerkt, nicht die CFR, sondern die niedrigere IFR (infection rate fatality)!
https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/
Projecting the Diamond Princess mortality rate onto the age structure of the U.S. population, the death rate among people infected with Covid-19 would be 0.125%. But since this estimate is based on extremely thin data — there were just seven deaths among the 700 infected passengers and crew — the real death rate could stretch from five times lower (0.025%) to five times higher (0.625%).+
https://www.cebm.net/global-covid-19-case-fatality-rates/
Updated: 26th March: Estimating COVID-19 Case Fatality Rates (CFR) and Infection Rate Fatality (IFR)Damit ergeben sich 8.200.000 Millionen Menschen * 0,002 = 16400 Menschen.
The Infection Rate Fatality (IFR) differs from the CFR in that aims to estimate the fatality rate in all those with infection: the detected disease (cases) and those with an undetected disease (asymptomatic and not tested group). if tested, this group would be counted as infected and at least temporarily be immune.
Our current best assumption, as of the 22nd March, is the IFR is approximate 0.20% (95% CI, 0.17 to 0.25).*
Wir hätten also unter Szenario A, mit nur 10% infizierten (deine Range aus deiner Quelle gibt 5-20% an) und einer niedrigen geschätzten IFR - OHNE Kollaps des Gesundheitssystems - 16400 Tote zusätzlich.
Jetzt müsste man mir mal erklären wie selbst unter optimistischen Bedingungen entstandene Zahl statistisch nicht auffiele (ohne dir das zu unterstellen, das Argument fällt allerdings oft), wo wir von dem schlimmsten Grippejahr der letzten 30 Jahre etwa 25000 Tote zu beklagen hatten:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/10/04-10-2019/mild-oder-schlimm-wie-war-die-letzte-grippesaison
Denn 2017/18 war mit 25.100 Todesfällen durch Influenza die schlimmste Grippesaison seit 30 Jahren.Szenario A1. Wir bleiben bei obigen Zahlen, schauen uns jetzt aber die Zahl der hospitalisierten an:
8.200.000 infizierte Menschen auf 6 Monate verteilt.
Jetzt betrachten wir mal die Zahl der Hospitalisierten. Nein, noch strenger. Die Zahl der hospitalisierten, die eine Beatmung brauchen. Da reicht die Prognose vom RKI von
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText10
Anteil der Hospitalisierten mit Beatmung 2–25 %und die des Centers for Disease Control and Prevention
https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/69/wr/mm6912e2.htm
4.9–11.5Anmerkung: Ich gehe hier davon aus, dass die ICU Patienten auch beatmet werden. ICU selbst bedeutet "nur" intensive care unit (ICU)
Damit ergeben sich, wieder mit den recht optimistischen Zahlen von oben und einer Hospitalisierungsrate von (wir nehmen mal die untere Bound des CDC) von 5%
8.200.000 * 0,05 = 410.000 Patienten die künstlich beatmet werden müssen bzw. eine Intensivbehandlung brauchen. Die 410.000 Patienten verteilen sich in diesem Modell auf eine Zeitdauer von 6 Monaten. Das heißt, jede Woche (6 Monate entsprechen 26 Wochen) würde man 410.000 / 26 = 15769 Patienten auf der Intensivstation behandeln müssen. Hier haben wir jetzt das Problem, dass Patienten nicht nur einen Tag behandelt werden, andererseits aber auch wieder gesunden. Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt ca. 10 Tage. Das heißt, die sagen wir in der Woche 1 aufgenommen 15769 Patienten bleiben zu einem Teil bis in Woche 2, wo zusätzlich nochmal 15769 Patientn aufgenommen werden wenn wir jetzt mal einfach einen konstanten Verlauf annehmen. In Wirklichkeit entwickelt sich das mit den 410.000 Patienten natürlich exponentiell, was aber die Sache nur noch dramatischer macht, weil die Kapazitätsbelastung dann einen höheren Peak erreicht (mehr neue als nur 15769 in kürzerer Zeit).
Jetzt rate, wie viele Intensivbetten überhaupt zur Verfügung stehen? Ca. 20-25.000. Diese sind aber nicht alle leer, wir haben eine durchschnittliche Auslastung von etwa 80%, die man womöglich auf 50-60% runterschrauben könnte.
Du willst mir also ernsthaft weismachen, dass unter den optimistischen Annahmen, die auf deinen Quellen beruhen, die Maßnahmen jetzt nicht legitim wären? Bullshit!
Der Witz ist auch noch, du selbst beschreibst einen Artikel als gut:
Nachtrag: Guter Artikel übrigens. :Y:der davon redet, dass beispielsweise die Schließung von Schulen und Kitas sinnvoll ist:
https://www.helios-gesundheit.de/magazin/corona/news/corona-versus-grippe-was-ist-gefaehrlicher/
Mit Schutzmaßnahmen, wie der Absage von Events, dem Verzicht auf unnötige Reisen, der Schließung von Schulen und Kitas sowie dem Einhalten von Hygienemaßnahmen kann die exponentielle Verbreitung des Virus positiv verlangsamt werden.Um dann einen Beitrag später davon zu reden, dass man Schulen voreilig dich gemacht hätte.
Noumenon schrieb:Das hätte man übrigens auch alles über Kindergärten, Schulen & Universitäten kommunizieren können, aber die wurden ja nun voreilig dicht gemacht...Handlungsempfehlungen wären Resultat komplexer Entscheidungsprozesse.. soso, dann erzähl mal, wie du auf Grundlage der harten Fakten, die du hier präsentieren willst, "gewisse" Einschränkungen für falsch hältst und wieso ein Verbot von Veranstaltungen erst ab 100 Teilnehmern gelten soll.
Gewisse Einschränkungen des öffentlichen Lebens halte ich ebenfalls nicht für falsch, also Verbot von Großveranstaltungen (ab 100-1000 Teilnehmern).
Kurzum.. deine Aussagen sind nicht konsistent und außer Quellen zu posten, die du scheinbar gar nicht liest und von oben herab klugzuscheißern kam bisher nicht viel.