Der Eingangsbeitrag vom Prinzip her schon ganz gut, er wirft interessante Fragen auf, ob Unterstützergruppen notwendig sind oder die Gefahr der Manipulation überwiegt.
Ob Unterstützung eines Inhaftierten Sinn macht, ist selbst für Profis nicht sicher zu entscheiden, wie z.B. folgender Beitrag zeigt:
Wenn wie im Fall Genditzki die Sache ziemlich klar ist, die Anwältin (in diesem Fall Regina Rick) aber gleichwohl mit großem Tamtam, Einspanning von Abgeordneten und Pressekonferenzen Geldspenden für ein aussichtsloses Wiederaufnahmeverfahren an Land ziehen will, sieht die Sache schon merkwürdig aus.
Richtig, Anwälte sind wichtig und natürlich in einem Rechtsstaat unverzichtbar. Allerdings steuern sie in bestimmten Fällen auch ganz bewusste die öffentliche Meinung, und in einigen Fällen nur für Experten durchschaubar falsch bzw. im eigenen Publicityinteresse, was Medienkonsumenten aber leider nicht durchschauen und dadurch prompt wieder einmal in ihrer Auffassung über die furchtbare Justiz bestärkt werden.
Als Außenstehender kann man selten wirklich die Verfahren insgesamt überblicken, auch der Urteilstext ist nur die halbe Wahrheit. So hatte noch ein Anwalt mit 30 jähriger Berufserfahrung trotz Zulässigkeit des WAA noch im entsprechend Thread gesagt, er hielte das Urteil für „höchst überzeugend“. Als er die vorgebrachten Wiederaufnahmegründe gelesen hatte, war er sich offenbar nicht mehr so sicher und hat einen Rückzieher gemacht und hielt die WA für denkbar. Vermutlich hat ihn auch die Diskussion irritiert, wie kann man einen 74kg schweren Menschen angeblich „tragen“ kann ohne jegliche Spuren zu hinterlassen und hielt diese Überlegung auch durchaus für berechtigt.
Das ist einfach das Problem, Papier ist sehr geduldig und wenn man die Sachen dort die darauf stehen nicht kritisch hinterfragt, wirkt ein solche Urteil immer erstmal „höchst überzeugend“. Man bewertet dabei aber nur die überzeugende Schreibweise des Richters. Ob das Urteil in Wirklichkeit vernünftig ist, kann man nur durch kritisches Lesen beurteilen und dazu bietet genau dieses Urteil sehr viel Angriffsfläche. Daher ist es nachvollziehbar, dass Das Urteil Frau Rick nie überzeugt hatte und sie alles in Bewegung gesetzt hat, dass dieses nun endlich aufgehoben wird.
Zu dem in dem obigen Beitrag angesprochener Fall muss man nun wissen:
Dem Wiederaufnahmeverfahren wurde inzwischen stattgegeben. Erst die Unterstützergruppen konnten hier das notwendige Kleingeld für eine Wiederaufnahme organisieren. Obwohl es eine neue Methode gab, mit der man die Todesursache (Tötungsdelikt oder Unfall) besser untersuchen werden konnte, hat die StA nicht mal den kleinen Finger gerührt.
Sie Justiz sollte froh sein, dass es nun eine bessere Methode gibt, mit der zukünftig solche Fälle besser untersucht werden können und zwar sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.
Mit Hilfe dieser neuen Methode sagt der Sachverständige nun, dass "die Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Sturzes in die Badewanne mit beschriebenen Kopfkontakten und der Endlage als sehr hoch einzuschätzen sei (Seite 11).
https://openjur.de/u/2395272.htmlZu beachten, dass ist der Beschluss vom letzten Jahr, noch nicht der neue Beschluss bzgl. der Stattgabe der WAA.
Hier wird das Problem dieses Staates sichtbar, die Justiz vergisst Verurteilte und ist selten gewillt, selbst bei Urteilen, welche für das Ergebnis eine neue Methode einen entscheidenden Einfluss hätte, diese neuen Methode selbstständig anzuwenden um Ihre Rechtsprechung zu prüfen. Selbst wenn es bereits viel Vorarbeit geleistet wurde, die zeigt, dass der Ausschluss der Gutachter von damals eines Unfalls aus der vom Gericht angenommen Position fehlerhaft war. Einrichtungen wie z.B. die in den USA „The Innocence Project“ fehlen. Dort arbeiten mehrere Institute zusammen. Jeder der sich zu Unrecht verurteilt sieht, kann sich dorthin wenden.
Da es aktuell in D nichts entsprechendes gibt und die unschuldig Verurteilten nur auf Anwälte angewiesen sind, die für bestimmte Fälle (erst mal) pro bono zu arbeiten, jedoch dann immer noch das Geld für solche Gutachten/neue Methoden fehlt, kann man die folgende wesentliche Frage des Eingangsthread nun gut beantworten.
jaska schrieb am 24.03.2018:Ist das Werkzeug der Unterstützergruppen für verurteilte Menschen oder solche, denen eine Verurteilung droht, eine notwendige Maßnahme, um ein Gleichgewicht zwischen ihnen und dem riesigen Apparat herzustellen? Oder bieten die Medien hier Menschen eine Plattform, die versuchen, die Öffentlichkeit zu manipulieren?
Wie nun die Stattgabe gezeigt hat, hat Frau Rick die Öffentlichkeit nicht versucht zu manipulieren. Sie hat für Herrn Gendiski gekämpft, weil sie für einen aus ihrer Sicht (wahrscheinlich) Unschuldigen eine Wiederaufnahme erreichen wollte. Da hierfür recht teure Simulationen notwendig waren, wurde Öffentlichkeitsarbeit notwendig, um das notwendige Kleingeld zu erhalten. Dass sie hier von diesen selbsternannten Experten (wie man nun sieht, sie waren nie welche, sie konnten die Erfolgsaussicht nicht im geringsten einschätzen) derartig kritisiert wurden ist unerträglich. Ein Freispruch wird jetzt nur noch eine Frage der Zeit sein.
Solange es kein ähnliches Instrument wie das Innocence Project in D gibt und die StA trotz neuer Methoden die Urteile nicht überprüfen, sind solche Unterstützergruppen für das Gleichgewicht notwendig. Natürlich werden die auch mal auf ein falsches Pferd setzen (z.B. Darsow) und manche auch über das Ziel hinausschießen (Peggy Knobloch, in der Beschuldigung Dritter), das liegt in der Natur der Sache.
Dass dadurch in der Öffentlichkeit vielleicht ein Zerrbild der Justiz entsteht (ist es überhaupt eins, denn ohne etwas Innocence-ähnliches kann man das nicht beurteilen), wird man das nicht ändern können. Ein vielleicht verzerrtes Justizbild ist für mich jedenfalls unwichtiger als Unschuldige im Gefängnis zu lassen.
Dagegen kann auch die Justiz oder auch Politik aktiv etwas tun. Bei richtiger Handlungsweise der StA wäre im Fall Gendizki die Sache z.B. nicht eskaliert und G wäre rund 4 Jahre früher entlassen worden. Dann wären dem Staat auch viele Kosten erspart geblieben. Das sind 140€ pro Tag plus die 75€ pro Tag, die man G im Falle des nun sehr wahrscheinlichen Freispruchs zahlen muss, wobei letzteres lächerlich wenig ist. Nur zum Vergleich: Den Betrag, den ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer zahlen muss, der sich 24 h/Tag bereithalten muss, beträgt laut eines aktuellen Urteils des BAG Mindestlohn*24h, also rund 240€ pro Tag, also min. das Dreifache! Auch heute ist die Entschädigung in D immer noch ein „Witz“. Andere europäische Länder geben auch bis zu 1000€ pro Tag (abhängig vom Schuldvorwurf). Sicher wird der Staat die Kosten für die Simulation zahlen müssen, denn die sind von den Unterstützergruppen quasi nur vorgestreckt.
Und es ist ja auch nicht so, dass die Justiz dann gleich klein bei gibt. Nein, selbst der Fall Genditzki zeigt, dass dann selbst im Wiederaufnahmeverfahren wieder mal noch weitere juristische Fehler erfolgten (wie so häufig in WAV). Bei der Wiederaufnahme gibt es glücklicherweise eine zweite Instanz, die den Fehler des LG korrigiert hat. Nach der Zurückverweisung hat nun endlich die erste Instanz den Wiederaufnahmeverfahren stattgegeben.
Diese Haltung der Justiz nehmen Bürger war und die Justiz braucht sich nicht zu wundern, dass sie dann im Ansehen verliert.
Das ist so ähnlich wie bei einem gekauften Gerät. Geht etwas defekt und der Hersteller benötigt zu viele Reparaturversuche, dann zweifelt man an dem Hersteller und man wird von dem Hersteller u.U. in Zukunft nichts kaufen, was bei der Justiz leider nicht möglich ist, man ist ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Betrachtet man diesen Fall, wieviel Chancen von Reparaturversuchen wurden vertan?
- Ermittlungsverfahren, hier hätte man schon eine andere Sichtweise bekommen können
- 1. LG-Verfahren, hier hatte man erkannt, das schon mit dem Motiv etwas nicht stimmte, das Motiv wurde kurz vor Ende einfach ausgetauscht, Reparaturversuch ging schief
- BGH-Verfahren, im Ansatz war der Reparaturversuch richtig, aber unvollständig
- 2. LG Verfahren, Reparaturversuch misslingt
- BGH-Verfahren, Reparaturversuch misslingt
- Anfrage an die StA, ob sie mit dem neuen Verfahren nun einen Reparaturversuch starten will, StA wiedersetzt sich jeglichem Reparaturversuch
- LG München, Reparaturversuch misslingt
- OLG München, Reparaturversuch geht schon mal in die richtige Richtung
- LG Reparaturversuch geht schon in die richtige Richtung, jedoch beraumt Hauptsacheverfahren an, immerhin wird G entlassen, so dass durch die bisher missglückten Reparaturversuche kein weiterer Schaden entsteht.
So, das ist die Chronik des Verfahrens. Ich persönlich würde niemals mehr einem solchen „Hersteller“ vertrauen.
Bei der Justiz hat man zwar keine andere Wahl, einen andere kann man sich nicht auswählen, aber sie wird genauso wie der Hersteller des Gerätes an Achtung verlieren, das liegt in der Natur der Sache.
Mir ist klar, dass der StA sicher auch an eine gewisse Hierarchie gebunden ist und es für sie sicher nicht so einfach gewesen wäre, Gelder für solche neuen Methoden locker zu machen. Aber diese Hierarchie ist Teil des Systems und daher verbesserungsbedürftig. Es geht im Rechtsstaat in Wirklichkeit nicht an, dass notwendige Aufgaben des Staates bunt gemischte Unterstützergruppen übernehmen und Anwälte pro bono arbeiten müssen. Dass dann dabei auch teilweise Wildwuchs entsteht, liegt in der Natur der Sache. Man darf nicht vergessen, unlängst hat die Politik wegen eines Einzelfalls die Rechtsprechung bzgl. der Wiederaufnahme „Zuungunsten“ im Falle neuer Methoden geändert, im Gegenzug wäre es eigentlich langsam an der Zeit, diesen Notstand zu beheben, wie gesagt, selbst bei der vorliegenden Fall und einer neuen Methoden war die StA nicht bereit einen der kleinen Finger zu rühren.
Was ich hier auch nicht verstehe, warum das OLG dem Antrag G aus der Haft zu entlassen nicht zugestimmt hatte. Diese Ablehnung erscheint mir vollkommen unverhältnismäßig, schließlich hatte G schon mehr als 12 Jahre seiner Haft verbüßt. Dass das möglich ist, zeigt der Fall Harry Wörz, der schon nach 3 Jahren (verurteilt zu 11) vom OLG entlassen wurde, nachdem erst festgestellt wurde, dass der WAA begründet ist. Auch hier zeigt sich selbst beim OLG, wie extrem schwer sich die Justiz mit der Herstellung von Gerechtigkeit tut, falls sie Mist gebaut hat.
Dieser Fall wird jetzt sicher vernünftig bewertet, aber die Justiz hat sicher wieder ein Teil an Glaubwürdigkeit eingebüßt, weil sie in diesem Fall ohne Hilfe Außenstehender nicht in der Lage war, eigene Fehler zu korrigieren, sehr traurig.
Für mich ist diese Frage nun auch abschließend geklärt. Nun wäre es an der Justiz/Politik hier ein vernünftiges Verfahren einzuführen, die dieses extrem dürftige aktuelle zu ersetzen oder zu ergänzen. Anregungen aus anderen Ländern gibt es, darüber braucht man sich hier nicht den Kopf zu zerbrechen, es fehlt bisher nur rein der Wille von Seiten der Politik/Justiz. Dieser Fall sollte der Politik/Justiz jedenfalls (erneut) zu denken geben.
Wenn ich auch grob die mir bekannten Fälle betrachte, die in die Öffentlichkeit gelangt sind, zeigt mir doch, dass schon recht verantwortungsbewusst damit umgegangen wird. Das die Umgebung der Täter nicht immer an ein richtiges Urteil glauben, liegt in der Natur der Sache. Wenn man die Erfolgsrate dieser externen Unterstützung ansehe, ist deren Erfolg jedoch deutlich höher, als die durchschnittliche Rate der Wiederaufnahmen, die bei so 0,5% liegt.