Eigene Sprachliche Entwicklung
03.01.2018 um 17:26
Ich kenne 2 Menschen die stottern und war sogar zeitweise mal selber betroffen.
Einer von zweien in ein Cousin von mir. Lebt im Ruhrgebiet. Habe keinen
näheren Kontakt mehr zu ihm, weiß aber von Verwandten, dass er sehr gut
zurechtkommt, das stottern reduzieren konnte und ein normales Leben führt, mit
Arbeit, Familie und was dazu gehört.
Der zweite war ein sehr lieber und hilfsbereiter Kollege von mir, bei meiner
letzten Arbeitsstelle. Er stotterte häufig und unter Stress verstärkt. Er musste
oft telefonieren, nahm sich dann aber die Zeit es langsam anzugehen, da er dann
weniger stotterte und sehr gut rüberbrachte, was er sagen wollte.
Man musste ihm ruhig und konzentriert zuhören, dann konnte man sehr gut mit
ihm reden. Ich zumindest. Wir waren uns sympathisch. Hatte er die Zeit, war
konzentriert und fokussiert, ging das sehr gut. Fühlte er sich ernst genommen
und nicht irgendwie schräg angesehen, stotterte er fast gar nicht. So meine
Erinnerung an ihn. Ist schon einige Jahre her. Er arbeitet wohl immer noch dort,
ich aber nicht mehr.
Das tolle war, dass er damit wie völlig selbstverständlich umging. Ich kann
mich an keinen Fall erinnern, wo Kollegen es ihm unnötig schwer machten.
Liegt sicher auch daran, weil er allseits beliebt und anerkannt war. Beruflich
fit und menschlich sehr nett und verständnisvoll. Soviel ich weiß, konnte er
das stottern nie völlig abstellen. Das Handicap wird wohl immer zu ihm gehören.
Ich verstand ihn auch, weil ich selber in so eine Lage kommen kann. Ist mir schon
2 mal passiert. Ich hatte schon 2 Jobs, wo ich oft und viel und unter Zwang
telefonieren musste. Das waren Call-Center ähnliche Firmen, wo man gezwungen
ist ans Telefon zu gehen, das war ein wichtiger Teil der Jobs.
Seltsamerweise habe ich dann irgendwann ein Problem. Muss ich sehr oft am
Tag immer wieder das gleiche sagen wenn ich ans Telefon gehe, so z.B. die
Begrüßungsformel direkt am Anfang, wenn ich mich melde, fang ich irgendwann
an das nicht mehr richtig sprechen zu können. Muss mich gerade, wo ich das hier
schreibe erinnern um es richtig hin zu bekommen. Ist schon viele Jahre jetzt her.
Das wird dann zur Belastung und ich habe nach Möglichkeiten gesucht diese
Momente zu überbrücken. So zum Beispiel habe ich mir mal Zettel zurecht gelegt,
wo die Begrüßungsformel drauf stand, so das ich nur ablesen brauchte wenn ich
ans Telefon ging. Das hat eine Zeitlang geklappt, ging dann aber später auch wieder
schief.
Ich glaube, ich habe ein Problem damit wenn ich gezwungen bin immer und
immer wieder das selbe zu sagen. Zwang ist ja nie gut, und in der Richtung hat
es mich tatsächlich zum stottern gebracht. Eine Diagnose dazu würde mich mal
interessieren. Einem Arzt habe ich das nie erzählt, war auch nicht nötig.
Gut war, dass ich in meiner letzten Firma, wo auch mein Kollege ist, der gestottert
hat, einen anderen Job übernehmen konnte, der viel weniger vom Telefon abhängig
war und wo ich auch nicht ständig eine bestimmte Begrüßung aufsagen musste.
Ich verstand mich damals mit meiner Cheffin sehr gut und habe diesen anderen
Posten für mich mit kreiert und aufgebaut. Er war später ein sehr wichtiger
Bestandteil dieser Firma und hat mir wirklich Spaß gemacht.
Wäre es nicht so gekommen, hätte ich bestimmt irgendwann gekündigt, da diese
Belastung (Call-Center-Zwang zum ständigen telefonieren) für mich nicht
zu aushalten gewesen wäre, auf Dauer. Es ging um einen Vollzeitjob.
Anders als mein Kollege, der sein stottern überall hin mitnahm, war das dann
bei mir wie durch Zauberhand weg. Also der Wechsel, weg vom ständigen
telefonieren, hin zu anderen Arbeiten (sehr viel Papierkram). Mein Kollege war
anders als ich nicht direkt im Call-Center Bereich gewesen, musste aber trotzdem
sehr oft ans Telefon. Er arbeitete im Bereich der Datenpflege und ich im direkten
Kundenauftrag damals.
Ich komme anscheinend nur in diese Lage wenn ich gezwungen bin bestimmte
Sätze immer und immer wieder zu sagen - ohne eine Wahlmöglichkeit.
Bevor mir das passiert ist, diese 2 mal, hatte ich nicht die leiseste Ahnung davon,
dass mir sowas passieren kann.
Interessant ist, dass ich im weiteren Verlauf im Gespräch mit Kunden nicht gestottert
habe, eben nur am Anfang wegen der immer gleichen Begrüßungsformel. Die ließ
sich auch nicht ändern, da so von der Firma zwingend vorgegeben. Da lag mein
Problem.
Im nachhinein jetzt kann ich sagen, dass mir das aber auch niemand bei den
Arbeitsstellen bewusst angemerkt oder gesagt hätte, obwohl es sicher öfter aufgefallen
sein muss. Lange hätte ich das aber nicht mitmachen können, ohne das es
stärker aufgefallen wäre. Zum Beispiel bei den Kunden, die ich am Telefon hatte.
Zum Glück konnte ich diese 2 Posten auch wechseln.
In Zukunft würde ich versuchen sowas auch zu meiden, weiß aber nicht ob dieses
Problem nach den vielen Jahren noch vorhanden ist.
Ich weiß nicht, ob Dir das jetzt irgendwie hilft oder nutzt. Aber niemand ist
vollkommen.