@goldenerReiter Dafür gibt es aber ja Datenlagen, die z.b. auch von Jobcentermitarbeitern Meinungen einholen.
Ich habe hier die Studie gefunden, die (von allen mir bekannten) am positivsten auf Sanktionen schaut:
https://doku.iab.de/forschungsbericht/2022/fb1722.pdfDiese Studie ist vom AIB:
Wikipedia: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung also einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit. Da kann man also nicht vorwerfen, dass die absichtlich der BA in die Parade fahren.
In der Tat kommt die Studie zum Ergebnis, dass es keinen Grund gibt, Sanktionen allgemein abzuschaffen:
Die Folgerungen aus den bislang vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen würden nicht
ein Sanktionsmoratorium oder eine Abschaffung der Sanktionen begründen
Interessant ist aber der Weg da hin. Zwar kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass es keinen Grund gibt, Sanktionen allgemein abzuschaffen, aber die Sanktionen, so wie sie aktuell sind, werfen viele Probleme auf. Man kann also eher davon sprechen, dass die Studie dafür plädiert, Sanktionen zwar an sich beizubehalten, aber unter ganz anderen Regelungen. Dafür gibt es Gründe, ich fange mal mit einem ganz deutlichen an:
Eine Studie von Wolf (2021) untersuchte längerfristige Auswirkungen einer ersten Sanktion
wegen einer Pflichtverletzung für über 25-Jährige auf die Wahrscheinlichkeit, dass die
Sanktionierten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, und auf die
IAB-Forschungsbericht 17|2022 13
Beschäftigungsqualität.
Letztere wurde anhand der Wahrscheinlichkeit gemessen, eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in niedrigeren und höheren Tagesentgeltkategorien
und in (nicht) qualifikationsadäquaten Berufen auszuüben. Grundlage für die Analyse waren
administrative Personendaten im Betrachtungszeitraum März 2012 bis Dezember 2018. Die
Analyse basierte auf dem Vergleich von Sanktionierten mit einer Kontrollgruppe statistischer
Zwillinge und unterschied Effekte für Männer und Frauen.
Die Untersuchung bestätigte zum einen die Erkenntnisse früherer Studien. Untersucht wurden
Effekte auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit und nicht auf die Übergangsrate in
Beschäftigung, die in einigen der vorher genannten Studien analysiert wurde. In den ersten
Monaten nach der Sanktion hatten Sanktionierte eine höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit
als die Kontrollgruppe. Nach drei Monaten lag diese bei den sanktionierten Frauen um 22 Prozent
und bei den sanktionierten Männern um 15 Prozent höher. Dabei zeigen sich kurzfristig negative
Auswirkungen auf die Beschäftigungsqualität, da sanktionierte Frauen und Männer verstärkt in
Beschäftigung mit vergleichsweise geringem Tagesentgelt arbeiteten.
Zum anderen zeigt die Studie langfristig negative Auswirkungen auf die Beschäftigungswahrscheinlichkeit der
sanktionierten Leistungsberechtigten. Vier Jahre nach der Sanktion entsprach der Effekt einer
um 5 Prozent für Frauen und 3,5 Prozent für Männer niedrigeren
Beschäftigungswahrscheinlichkeit.5 Eine mögliche Erklärung für diese Effekte ist, dass
sanktionierte Leistungsberechtige neu aufgenommene Beschäftigungsverhältnisse schneller
verlassen als nicht-sanktionierte Leistungsberechtigte und anschließend keine neue
Beschäftigung finden oder den Arbeitsmarkt verlassen.
Darüber hinaus war auch die Wahrscheinlichkeit Beschäftigung mit vergleichsweise höherem Tagesentgelt nachzugehen vier
Jahre nach der Sanktion um 20 Prozent bei sanktionierten Frauen und 13 Prozent bei
sanktionierten Männern geringer als ohne Sanktionierung. Ähnlich war die Wahrscheinlichkeit in
qualifikationsadäquater Beschäftigung zu sein um 9 Prozent für sanktionierte Frauen und 4
Prozent für sanktionierte Männer geringer.
Die Studie kommt zwar zum Ergebnis, dass Sanktionen kurzfristig die Wahrscheinlichkeit der Arbeitsaufnahme steigern, aber langfristig senken. Und insbesondere senken sie auch langfristig die Beschäftigungsqualität.
Menschen, die sanktioniert werden, haben eine deutlich niedrigere Wahrscheinlichkeit, einen qualifikationsadäquaten oder sogar höher bezahlten Job nachzugehen, als die, die nicht sanktioniert worden sind (langfristig).
Das bedeutet, dass die Sanktionen langfristig für weniger Beschäftigung sorgen und diese Beschäftigung dann auch schlechter bezahlt ist. Also so ziemlich das, was ich schon recht lange in diesem Thread sage.
Dieser Teil der Studie schließt mit:
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der hier diskutierten Wirkungsanalysen, dass Sanktionen mit
Verhaltensänderungen und verstärkten Bemühungen um die Aufnahme einer Erwerbsarbeit
einhergehen. Insofern entfalten sie eine Anreizwirkung, soweit Personen ihren im SGB II
definierten gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen. Allerdings weist eine der Studien auf
negative Auswirkungen auf die Beschäftigungsqualität hin, die langfristig Bestand haben. Hier
deutet sich an, dass Sanktionen eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erschwert
haben. Jedoch waren diese nachteiligen Effekte im Vergleich zu den kurzfristigen Effekten in
anderen Studien nicht sehr hoch. Ob sich angesichts der Größenordnung der Effekte in der
Studie von Wolf (2021) die Ergebnisse in anderen Zeiträumen oder unter anderen Bedingungen
(insbesondere anderen Sanktionsregeln), wie ab dem Ende des Jahres 2019, bestätigen, muss
erst noch in weiteren Studien geklärt werden
Das verschweige ich nicht. Es haben sich 2019 die Sanktionsregelungen geändert. Dennoch gilt natürlich, dass ein langfristiger Effekt relevanter ist als ein kurzfristiger. Wenn kurzfristig Männer zu 13% wahrscheinlicher beschäftigt sind, aber langfristig 3,5% niedriger, kann man nicht davon sprechen, dass Sanktionen bei der Integration in den Arbeitsmarkt helfen (hier ist mit niedriger ja verglichen zu den Nichtsanktionierten gemeint). Und das ist die einzige Studie, die es meines Wissens nach gibt, die langfristige Effekte misst.
Wichtiger ist hier aber die noch besser belegbare Wirkung auf die Beschäftigungsqualität. Die ist sowohl kurzfristig als auch langfristig negativ. Heißt: wer einmal wegen einer Sanktion einen schlechten Job annimmt, bleibt häufig auch darin oder fällt auf alg2 zurück. Er wird seltener als eine Nichtsanktionierte Person einen Qualifikationsadäquaten Job oder besser bekommen.
Wenn wir das aus der Perspektive des Steuerzahlers sehen, steht da: Durch die Sanktionen werden langfristig weniger Alg2 Empfänger in die Steuerkasse einzahlen und die, die es tun, werden weniger zahlen, als wenn sie nicht sanktioniert worden wären.
Insgesamt, wenn man sich die Studie näher durchliest, komme ich zu dem Ergebnis, dass es sicherlich sinnvoll sein kann, Meldeversäumnisse zu sanktionieren (also zum Beispiel, wenn jemand eine Arbeitsaufnahme verschweigt), aber dass man mit Druck zur Arbeitsaufnahme langfristig negative Konsequenzen sowohl bezüglich Beschäftigung als auch der aus der Beschäftigung resultierenden Steuermittel erreicht.
Und das ist mit Abstand die Studie, die am freundlichsten Auf Sanktionen blickt und von einer Stelle kommt, die der Bundesagentur für Arbeit sehr nahe Steht (weil sie eine besondere Dienststelle der BA ist).
Andere Studien und Quellen blicken sehr viel negativer auf Sanktionen.