calligraphie schrieb:Was meint ihr ?
Es gibt falsche Geständnisse, keine Frage. Psychologen, Kriminologen und Juristen haben sich wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, warum Menschen falsche Geständnisse ablegen und haben einige Theorien entwickelt, warum das ab und an passiert. Es gibt verschiedene Arten von "falschen" Geständnissen, solche, die eigentlich schon keine "Geständnisse" mehr sind, weil sie unter unzulässigem Druck durch die Ermittler entstanden sind, solche, die auf pathologisches Verhalten der Geständigen zurückzuführen sind, das in deren Psyche verwurzelt ist und so weiter. Allerdings kommt so etwas schon, im Verhältnis zu allen Strafprozessen, recht selten vor.
Aber auch deswegen gilt freilich: wenn ich jetzt in die nächste Polizeistation marschiere und behaupte ich bin der Serienkiller, der letztens 5 Leute umgebracht habe, dann werden dort nicht die Sektkorken knallen und die Beamten alle Ermittlungen niederlegen und sich freuen, dass der Fall gelöst ist. Keineswegs.
Denn: ein Geständnis allein reicht noch lange nicht zu einer Verurteilung, ja, es führt normalerweise nicht einmal zu einer Anklageerhebung. Zuerst wird einmal geschaut: lässt sich denn irgendetwas an dem "Geständnis" verifizieren? Passt irgendetwas aus dem Geständnis zum tatsächlichen Tatverlauf? Gesteht der Geständige Täterwissen, das sonst in der Öffentlichkeit völlig unbekannt war? Hat der Geständige überhaupt Gelegenheit gehabt, die Tat zu begehen? Wie sieht es mit einem Motiv aus? Und so weiter. Hier nennen wir das "corroborating evidence." Gibt es diese Indizien, werden die Ermittler interessierter sein, gibt es sie nicht, werden sie sehr skeptisch sein. Für eine Verurteilung muss es diese geben.
Und so ist auch das Urteil gegen JS zustande gekommen: es gibt massenweise corroborating evidence. Wenn ein falsches Geständnis ausreichen würde, dann hätte es in der Verhandlung keine Blutspuren, Sockenabdrücke usw. gebraucht, auch keine Aussage der Mittäterin. Dann hätte man der Jury einfach nur sein Geständnis vorlesen brauchen. Aber dem war bekannterweise nicht so. Im Gegenteil: der Fall wurde in weiten Strecken so verhandelt, als ob die Geständnisse gar nicht existieren.
Die Jury hat alle Indizien vorgelegt bekommen und daraus geschlossen, dass JS der Täter war. Meiner Meinung nach sehr nachvollziehbar. Das Geständnis, das Nachtatverhalten, die Tatortspuren, die Aussage von EH, all das wurde zusammen betrachtet.
Daraus hat sich ein Urteil von 12 Geschworenen ergeben.
Und in einem Rechtsstaat gilt dann, dass so ein Urteil nicht einfach wieder aufgehoben wird, nur weil der Verurteilte auf einmal sagt: Hey, sorry, ihr seid mir alle auf den Leim gegangen, war ja nur Spass, ich war es doch gar nicht, mein Geständnis war nicht so gemeint, und die Indizien habt ihr alle total falsch interpretiert. Es waren der oder die grossen Unbekannten.
Wenn das so einfach wäre, dann würde kaum noch jemand seine Strafe verbüssen. Aus diesem guten Grund, wir Juristen nennen das "Rechtssicherheit," werden extrem hohe Anforderungen an Wiederaufnahmeverfahren gelegt.
Man argumentiert im Prinzip so: Die Anklagebehörde muss in allen Fällen, auch da wo ein "Geständnis" vorliegt, beweisen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Ist ihr das erst einmal gelungen, dann muss danach der Verurteilte mehr oder weniger beweisen, dass er unschuldig ist.
In Deutschland ist die Erfolgsquote bei Wiederaufnahmeverfahren irgendwo bei 2%, in den USA ist sie nicht höher. 2 von 100 mag schon recht viel sein, für die Betroffenen sicherlich hochwichtig, aber wenn man ehrlich ist, ist es eine geringe Zahl.
Gibt es Fehlurteile? Geschworene, Richter, alle am Justizsystem Beteiligten sind auch nur Menschen und keiner ist unfehlbar. Daher: Sicherlich. Sind es 2 von je 100 Urteilen? Sind es mehr, weniger? Keiner kann das genau sagen. Aber eines kann man sicherlich sagen: Es sind Ausnahmen. Niemand, auch nicht in Virginia, obwohl das hier ja immer mal angedeutet wird, stetzt sich morgens ins Auto und sagt: so heute habe ich Jury duty, heute verurteile ich mal einen Unschuldigen, weil's soviel Spass macht.
Stellt sich nun der Fall JS als solch eine Ausnahme dar? Mir nicht. Ich kenne andere Fälle, wo ich weitaus skeptischer wäre als ausgerechnet in diesem Fall. Offensichtlich haben das zahlreiche Leute, vor allem auch Profis, Juristen usw. bisher genauso gesehen. Mehrere Instanzen mit jeweils mehreren unabhängigen Richtern haben das Verfahren juristisch untersucht und keine Verfahrensfehler festgestellt. Eine Frage, die dabei gestellt wird ist: ist der Schluss, den die Jury in dem Verfahren gezogen hat, dass der Verurteilte schuldig ist, so unsinnig, das vernünftige Geschworene niemals so hätten entscheiden sollen? Die Instanzen haben diese Frage verneint. Ich denke, mit Recht.
Dann obliegt es nun dem Verurteilten Beweise zu erbringen, die deutlich machen, dass er die Tat nicht begangen hat, dass andere die Tat begangen haben (denn dass hier zwei Menschen ermordet wurden ist ja nun mal nicht zu leugnen). Dies hat der Verurteilte trotz allem Bemühen bisher nicht geschafft.
Und so lange das so ist, wird die Justiz nicht einfach sagen: na ja, wir erklären jetzt einfach mal er sei unschuldig und schieben ihn nach Deutschland ab. Das wäre allerdings unsinning und eines Rechtstaates unwürdig.
Andere Gedanken spielen bei der Frage keine Rolle. Dafür sind andere Verfahren da, z.B. Gnadenerlasse. Da kann man sagen: er ist zwar schuldig, aber wir sind der Meinung, er hat nun genug gebüsst und so weiter. Das hat aber nichts mir der Frage schuldig oder nicht schuldig zu tun.
Daher ist meine Antwort auf Deine Frage,
@calligraphie : wenn es um die Frage Schuld oder Unschuld geht, sehe ich mit den mir vorliegenden Informationen jedenfalls keine grosse Wahrscheinlichkeit, dass man JS irgendwann für unschuldig erklären wird.