Rick_Blaine schrieb:Ein solches Verfahren wie hier angedacht kann dabei sicherlich eine Vorbereitungszeit von mindestens einem, wenn nicht gar zwei oder drei Jahre beanspruchen und locker $ 50,000 oder mehr kosten.
Ok, da sind wir jetzt bei einem interessanten Punkte. Jeder halbwegs erfahrene Prozeßanwalt weiß, wie eine optimale Vertretung seines Mandanten vor Gericht aussehen würde. Spätestens, wenn man dem Mandaten eröffnet, dass das Teure an dem Verfahren nicht der Anwalt, sondern die Gutachten sein werden, braucht der Mandant Riechsalz und der Anwalt einen Plan "B" bzw. es treffen Theorie und Wirklichkeit aufeinander und der Anwalt verabschiedet sich innerlich von der optimalen Vertretung seines Mandanten und sieht der Realität ins Auge.
Mit der Waffengleichheit ist es dann schnell vorbei und das gilt nicht nur für Zivilverfahren, sondern oftmals auch für Strafverfahren. Im Strafverfahren holt in der Regel die Staatsanwaltschaft die Gutachten ein, die auf dem Papier objektivste Behörde der Welt.
Wie objektiv sind dabei dann LKA und BKA, wenn die Gutachten dort eingeholt werden, allein schon von ihrem eigenen Selbstverständnis her? Noch schlimmer ist es für die Verteidigung, wenn Gutachten erst während des laufenen Verfahrens vom Gericht eingeholt werden, da man dann kaum noch die Möglichkeit hat, auf das Ergebnis zu reagieren, da die Einholung von eigenen Gegengutachten den zeitlichen Rahmen der Hauptverhandlung sprengt. Abgesehen davon, dass dafür oftmals das Geld fehlt.
Welche Mandanten können und wollen sich es leisten, höhere vier und teils sogar fünfstellige Beträge für Gutachten auszugeben? Und verstehen die Mandaten, wie entscheidend dies ist und man nicht einfach mal abwarten kann, was die Gegenseite an Gutachten beibringt?
Ich kenne eure finanzielle Situation nicht. Aber die wenigsten meiner Mandanten haben einen finanziellen Background wie ein Kachelmann oder O.J. Simpson und dennoch haben die Verfahren beide finanziell nahezu ruiniert - oder sogar gänzlich. Und mit diesem Schicksal stehen sie nicht allein.
Zurück zum konkreten Fall Söring. Der Freund von Sörings Vater, der ehemalige amerikanische Staatsanwalt hatte Sörings Vater einen Verteidiger aus Virginia empfohlen. Dieser verlangte einen Vorschuß! von 500.000 $. Das sind heutzutage bestimmt nicht unter 1Mio $.
Wer von euch könnte diese Summe aufbringen, und zwar ohne Sicherheit? Denn was sollte hier die Sicherheit sein? Es geht schließlich um eine Prozeßfinanzierung mit offenem Ausgang, nicht um eine Hausfinanzierung. Sörings Vater hatte sicherlich einen guten Job, aber er war kein Spitzenverdiener, sondern letztendlich Beamter, der nicht mal eben 1Mio $ Vorschuß hätte hinlegen können.
Vielleicht hätte Sörings Oma mütterlicherseits das Geld dafür gehabt. Aber offensichtlich war diese Oma nicht bereit war, der Familie Söring in diesem Maße zu helfen. Diese Frau war auch nicht bereit, der eigenen Tochter die Scheidung von Sörings Vater zu bezahlen.
Aber O.K., als Außenstehende können wir darüber letztendlich nicht urteilen. Jede Familie funktioniert anders.
Verdienen u.s. amerikanische Verteidiger wirklich so viel, also für einen Fall fünf oder gar sechstellige Beträge? Ja, teils schon, aber es ist auch absolut üblich in den USA, dass die Anwälte mit dem Honorar auch die von ihnen benötigten Gutachter bezahlen. Die sind also quasi mit eingepreist.
Ein guter Verteidiger (aber auch ein guter Prozeßanwalt im Zivilrecht) hat einen Pool von Sachverständigen an der Hand, die ihn in ihren Fachgebieten beraten und die im Bedarfsfall als Sachverständige im Prozeß benannt werden können bzw. von denen Gutachten vorgelegt werden können.
Um auf Augenhöhe verteidigen zu können, benötigt der Anwalt frühzeitig fachliche Beratung, um die Erfolgsaussichten besser einschätzen zu können, um eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln und um zu erwartende Gutachten der Anklage entsprechendes Fachwissen entgegen setzen zu können (vgl. Kachelmann:
Wikipedia: Kachelmann-Prozess#Beginn der „Schlacht der Gutachter“) Aus Verteidigersicht reicht es, zumindest Zweifel zu begründen, also darzulegen, dass es auch anders sein könnte, als von der Anklage und ihren Gutachtern dargestellt, sein könnte.
Nun schauen wir uns nochmals den Söring-Prozeß an. Gab es auch nur ein einziges von der Verteidigung eingeholtes und vorgelegtes Gutachten? Gab es auch nur einen Gutachter, der von der Verteidigung benannt wurde?
Und da diskutieren wir noch darüber, ob das eine gute Verteidigung war? Nicht wirklich.
Simpson oder Kachelmann. Die Verteidigung war auch deshalb gut, weil sie die Gutachten der Anklage durch eigene Sachverständige auseinander genommen hat (für Kachelmann:
Wikipedia: Kachelmann-Prozess#Beginn der „Schlacht der Gutachter“ ).
Das hat in beiden Fällen richtig richtig richtig (noch fünf mal richtig, also so richtig) Geld gekostet.
Nichts für ungut. Allein der ungelenke Versuch, den Handschuh nicht anzuziehen, hat OJ nicht den Kopf gerettet (hat ja jeder gesehen, dass er sich alle Mühe gab, ihn nicht anzuziehen...) . Das war ein Gesamtpaket und der Handschuh war der Todesstoß für die Anklage.
Im Fall Söring hat der Vater den teuren Anwalt mit seinen Gutachtern nicht bezahlen können, also wurde ein deutlich günstigerer Anwalt genommen. Der konnte oder wollte mit seinem vereinbarten Honorar aber entweder keine Gutachter engagieren oder er kannte keine, weil er evtl. doch kein erfahrener Prozeßanwalt war. Das kann ich nicht beurteilen. Mir fällt nur auf, dass die Verteidigung keinen einzigen Gutachter aufgerufen hat, obwohl es doch auf der Hand lag, dies beispielsweise beim Thema Sockenabdruck zu tun.
Keine Ahnung, was mit Neaton los war. Aber einen guten Job hat er nicht gemacht. Ich habe natürlich auch nur Ausschnitte aus der Verhandlung gesehen und kann daher das Gesamtpaket nicht abschließend beurteilen. Aber wenn der Richter Sweeny an einer Stelle zu Neaton sagt: "Herr Neaton, Sie sind doch ein erfahrener Strafverteidiger, da wissen Sie doch, dass Sie die Frage so nicht stellen können", dann ist das für mich eine richtige "Anwalts-Watsche". Was hätte noch schlimmer sein können? Dass Sweeny ihn nach seiner Zulassung fragt? OMG
Und wie gesagt: kein einziges Gutachten der Verteidigung....
Wenn das Rechtsmittelgericht dennoch meinte, dass Söring trotz Neatons gesundheitlichen und fachlicher Defiziten eine ausreichende Verteidigung durch seinen 2. Anwalt (Cleaveland?) hatte, dann ist das formal juristisch sicherlich richtig, praktisch aber falsch, da Claeveland aktiv am Fall nicht mitgearbeitet hat und wohl nur die Funktion hatte, dem in Virginia nicht postulationsfähigen Neaton das Händchen zu halten, sprich die prozeßleitenden Anträge zu stellen. Ich gehe mal davon aus, dass auch in Virginia in einem Mordprozeß "Anwaltszwang" herrscht. Also brauchte Söring einen Verteidiger, der für ein derartiges Verfahren in Virginia zugelassen war und das war nicht Neaton, sondern Cleavland.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich möchte euch nur für die finanziellen Aspekte eines solchen Strafverfahrens und deren Folgen senibilisieren und darauf hinweisen, dass eine optimale Verteidigung in der Regel sehr sehr teuer ist und sehr häufig die Möglichkeiten der Mandantschaft weit übersteigt, so dass eben nicht die optimale, sondern nur die bezahlbare Verteidigung geleistet wird. Das hat nichts mit Verschwörung gegen Söring zu tun, sondern ist ein allgemeines Problem der auf dem Papier bestehenden Waffengleichheit, die in der Realität oftmals an den limitierten finanziellen Mögichkeiten der Verteidigung ihre Grenzen findet. Dabei sollte dieses Problem dank der in Deutschland objektivsten Behörde der Welt eigentlich gar nicht bestehen. .... Da das Strafverfahren und die Rollenverteilung in den USA aber eher unserem Zivilverfahren ensprechen, sich also quasi zwei Parteien gegenüberstehen, wird dieses finanzielle Problem in den USA noch deutlich virulenter.