yasumi schrieb:Für eine Person, die ihre Eltern gar nicht ermordet hat, weil sie sie hasste und deswegen tot sehen wollte, wirken diese "ich hasse meine Eltern"-Passagen vielleicht auch gar nicht verdächtig.
ligala schrieb:Aber beide wussten doch, dass die Eltern grausam ermordet waren und dass man sie beide in hohen Maß verdächtigte. Sonst wäre doch die monatelange Flucht gar nicht erklärbar. Und sonst hätte Elizabeth Haysom doch niemals dem Deal 1987, eine Anstiftung zum Mord zuzugeben und damit ein Teilgeständnis abzulegen, zugestimmt.
Ich verstehe nicht genau, worauf Du hinauswillst. Meinst Du, Elizabeth habe mit der Tat gar nichts zu tun gehabt?
Ich meine das so: Wenn ich meinen alten Nachbarn umgebracht habe, weil er einen großen Geldbetrag bei sich hortete, den ich haben wollte, dann fände ich Tagebuchaufzeichnungen, in denen ich ihn als nervigen, Krach machenden Nachbarn porträtiere, dem ich wahlweise die Pest oder ein Killer-Kommando an den Hals wünsche, wenig verdächtig. Wenn ich weiß, dass ich nichts über das Bargeld und meinen Wunsch, dieses zu besitzen, schrieb, hätte ich vermutlich nichts dagegen, falls die Polizei sich diese Aufzeichnungen anschaute. Denn wegen Krach und Nervigkeit bringt man ja niemanden um.
So ähnlich kann ich mir das bei Elizabeth Haysom und Jens Söring vorstellen. Sie sahen vielleicht die Äußerungen in den Briefen als harmlos an. Und wären vielleicht nie drauf gekommen, dass der darin artikulierte "pubertäre Elternhass" ihnen als Motiv ausgelegt werden könnte. Da wäre halt nur die Frage, welchen Grund sie sonst hatten, die Haysoms umzubringen.
Ist aber nur der Versuch zu erklären, warum sie überhaupt die Briefe mitnahmen - und nicht einfach vernichtet haben.
ligala schrieb:Ja, das würde ich mal annehmen. Auch, dass sie möglicherweise überrumpelt waren. Aber es ging doch wohl bei der Situation im Laden von Anfang an um Scheckbetrug und nicht lediglich um Ladendiebstahl?
Ich hab das so verstanden: Erst hat sie an einer Kasse unter falschem Namen Ware zurückgegeben. Dann er. Dummerweise an der gleichen Kasse und unter gleichem Nachnamen. Das fiel auf, und der Ladendetektivin wurde Bescheid gegeben. Und dann landeten beide auf einer Polizeiwache und wurden befragt. Dass die Schecks, mit denen sie zuvor an anderer Stelle die Waren eingekauft hatten, nicht gedeckt waren, das dürften weder die Ladendetektivin noch der Polizeibeamte zu diesem Zeitpunkt gewusst haben.
hopkirk schrieb:Genau das habe ich mich auch schon oft gefragt. Wieso haben sie ohne Not die Polizei in ihre Wohnung gelassen, wo sich die Einkaufstüten von Marks & Spencer türmten, wo falsche Pässe lagerten und eine Tasche voller belastender Briefe? Die Tüten allein waren ja schon verräterisch genug, um ihnen jede Menge Ärger zu bereiten
Ich will da nicht allzu viel hineininterpretieren. Aber immer dann, wenn die "offiziellen" Versionen (also die der Anklage/Elizabeth und die von Söring) von den Beschreibungen Dritter abweichen, finde ich das erwähnenswert. Vor allem, weil ich denke, dass diese "offiziellen" Versionen die Geschichte unvollständig oder falsch wiedergeben.
Die Ermittler erzählen die Geschichte ja im Prinzip so, dass sie den "richtigen Riecher" hatten, Hartnäckigkeit und Kombinationsgabe zahlen sich eben aus. Wobei ich nicht weiß, ob es allzu großen Spürsinns bedarf, wenn ich auf einen Brief wie diesen stoße:
Dear Officers Reid and Gardner, [...] I suggest that you continue your investigation as before; undoubtedly you will find whom you are looking for. As for me, I am afraid you must remain, as Officer Reid put it, only “99% sure” of my innocence. From what Liz has told me of what you discovered at Loose Chippings, I can only say that I am incapable of such a thing. (Quelle)
Und bei Söring wird das sehr verkürzt dargestellt. "
Elizabeth und Jens werden in London, England wegen Checkbetrugs verhaftet. (Archiv-Version vom 25.10.2016)"
In seinem Buch beschreibt er die Situation als einen kurzen Moment der Entscheidung:
Auf dem Bahnsteig der U-Bahn-Station gab es einen Moment, in dem der Polizist sich in einem Büro befand und nur die winzige Ladendetektivin mit ihren hohen Absätzen zwischen uns und der Freiheit stand. Wären wir nur davongelaufen! (Zweimal lebenslänglich)
Und - gutmütig wie er nun mal ist - konnte er gar nicht anders:
Aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz, sie aus dem Weg zu schubsen. Das wäre so ... unhöflich gewesen. Also blieben wir stehen. Unsere Flucht war zu Ende. (Zweimal lebenslänglich)
(In der ursprünglichen englischen Version heißt es etwas rigoroser: "
But somehow I could not bring myself to punch her.")
Auf mich wirkt es vor allem so, als ob sie es drauf ankommen ließen, als ob sie verhaftet werden wollten. Irgendwo im Hinterkopf hab ich die Vorstellung, dass sie wollten, dass andere von ihren Taten erfahren. Man wird ja erst durch Blicke anderer zu etwas.
Aber vielleicht dämmerte es den beiden auch nur, dass sie für ein "Bonnie und Clyde"-Leben auf Dauer dann doch zu bürgerlich aufgewachsen waren.