AgathaChristo schrieb:Da möchte ich jetzt mal einharken. Das Rechtssystem in den USA kann man nicht mit unserem vergleichen.
Härtere Strafen wie z.B. hundert Jahre, dreimal lebenslänglich, Einzelhaft, als auch zum Tode Verurteilte jahrelang in Isolationshaft, ohne die Urteile zu vollstrecken.
Die Angehörigen der Opfer haben ein Mitspracherecht für die Todesstrafe eines Täters, darüber kann man streiten.
Für mich entbehrt das jeder Menschlichkeit, da ist unser Rechtssystem aber humaner.
Warum sollte es ein Tabu sein, wenn Söring das Rechtssystem in den USA anprangert?
Schließlich hat er da 33 Jahren verbracht, da wird er schon so einiges mitbekommen haben und es fleißig dokumentiert hat.
Nun, das sind die allseits bekannten deutschen Vorurteile, die mir persönlich oft sehr anmassend erscheinen. Die aber vor allem eher rechtspolitische Fragen sind, nicht Fragen des essentiellen Rechtssystems. Und das ist ein gewaltiger Unterschied.
veicor schrieb:Es geht ja auch nicht darum, dass das amerikanische Rechtssystem fehlerfrei ist. Es geht darum, dass er Behauptungen aufstellt und in gewohnter Weise übertreibt und den Eindruck vermittelt, dass dort nur Unschuldige in Knast hocken. Das ist aber Quatsch. Selbst Andrew Hammel übt Kritik in einzelnen Punkten.
LaBaLiLaDy schrieb:Das Anprangern der Missstände ist sicherlich kein Tabu und sollte auch jederzeit möglich sein. Einzig die Feststellung, dass die USA kein Rechtsstaat sei, ist absolut anmaßend. Denn wie du selbst schon festgestellt has
Genau. Der Unterschied, den ich oben ansprach, ist nämlich: lehnt man rechtspolitische Entscheidungen des Landes ab, weil man selbst anderer Meinung ist, akzeptiert aber, dass das System an sich eines Rechtsstaates würdig ist (wobei auch die Definition dieses amorphen Rechtsstaats natürlich in der Diskussion immer die deutsche ist), oder behauptet man, dass es eben kein "rechtstaatliches" Rechtssystem gibt?
Zwei Beispiele sollen deutlich machen, worum es geht:
Man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob ein Verurteilter, nachdem er in einem ordentlichen, fairen Gerichtsverfahren wegen Mord verurteilt wurde, nun 8 Jahre ins Gefängnis muss oder lebenslang, oder gar zum Tode verurteilt werden soll. Das sind allein rechtspolitische Fragen, in jedem Land werden sie anders beantwortet und, in einer Demokratie, eben danach, was politisch durchgesetzt wurde. Manchmal entspricht das auch dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung. Das hat aber ganz und gar nichts mit der "Rechtsstaatlichkeit" des Justizsystems zu tun.
Diese ist die viel wichtigere Frage: Hat der Angeklagte einen fairen, ordentlichen, regelrechten Strafprozess gehabt mit den in einer modernen Demokratie heute als essentiell betrachteten Elementen wie Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld, Recht auf Verteidigung, Recht auf Schweigen usw usw.
Liegt das alles vor, darf man nach deutscher Definition von einem rechtstaatlichen Verfahren sprechen und wenn man dann unvoreingenommen die Systeme der USA und Deutschlands vergleicht, muss man feststellen, dass beide durchaus diesen rechtstaatlichen Kriterien genügen - anders als z.B. die Systeme des Iran oder Chinas.
Daher ist es traurig, wenn immer wieder Leute auf den Zug aufspringen, die USA seinen kein Rechtstaat, obwohl es ihnen eigentlich nur um die politischen Elemente, wie z.B. die Dauer von Haftstrafen usw. geht. Eine solche Behauptung zeugt jedenfalls entweder von ziemlicher Unkenntnis der Thematik - und das sollte bei einem deutschen Landgerichtspräsidenten eigentlich nicht der Fall sein - oder von gewollter Polemik.
Ach ja, und ich sage das aus einer gewissen Kenntnis der Dinge heraus, wie die meisten hier wissen, da auch ich in den USA praktizierender Strafverteidiger bin. Und aus dieser Sicht heraus kann ich nur noch einmal betonen: gerade im Strafprozessrecht sind die beiden Staaten sich sehr ähnlich. Nur diese Erkenntnis passt nicht in die Unschuldslammlarmoyanz unseres Doppelmörders.