Bluelle schrieb:Kannst Du das irgendwie untermauern mit Beispielen oder so?
Ein Beispiel, das ich gerade im Kopf habe: Das holländische Ehepaar, das im Chiemgau von einem bis heute unbekannten Täter zuerst mit einer Pistole erschossen wurde - und dem dann noch mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten wurde.
borabora schrieb:Es gibt leider Menschen, die wenig bis gar keine Hemmungen haben, einen Menschen zu töten.
Da zitiere ich immer gerne den Psychiater Andreas Maneros:
Die meisten von uns werden mit ziemlicher Sicherheit keine Diebe, Betrüger oder Vergewaltiger. Das haben wir in der Hand. Aber keiner kann sich sicher sein, nicht zum Mörder aus Liebe zu werden.
http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/87997167Die besondere Tötungshemmung beim Stich mit einem Messer aus Wut ist also nochmal etwas anderes, als die allgemeine Tötungshemmung, die verloren geht, weil ein Täter aufgrund einer Kränkung, die nicht mehr anders gut zu machen ist, sein Selbstbild wieder herstellen möchte. Der Verlust des Selbstwertes ist für einen Menschen vom Typ Söring, der eher eine schwache Persönlichkeit ist, absolut existenzbedrohend. Er wird subjektiv zum "Opfer". Und die Tötung des "Täters" (des Kränkenden) zur Überlebensfrage.
Andreas Maneros:
Die meisten planen diese Tat nicht. Es geschieht im Affekt. Hinterher sagen sie: Für mich war das undenkbar.
Warum reite ich darauf herum?
Die Darstellung Sörings über das Gespräch mit Elizabeth' Eltern ist sehr dicht geschildert (S. 16 ff.). Für einen Jungen in diesem Alter hat Söring Ende 1986 ein sehr hohes Maß an Beobachtungsgabe und Reflexion. So schildert er sehr genau, wie ihn die Eltern "attackierten" und welche differenzierten Methoden sie dabei anwendeten. Bemerkenswert: Auch die Eltern hätten sich untereinander gestritten.
In real terms it was a three party competition between the two fighting about the method and at the same time in my direction.
Und dann - auch ziemlich glaubhaft bei einer Person wie Söring - berichtet er von seinem natürlichen Fluchtinstinkt:
I had only one instinct, I wanted out, I can not take such stress too well. I have never quarrelled with my father, but when my father sometimes scolded me as a child my reaction was always to runout. This is natural for me.
https://soeringguiltyascharged.files.wordpress.com/2018/03/soering-interview-with-german-prosecutor-30-december-1986.pdfDas ist gut nachvollziehbar, wenn sich das Gespräch so ereignet haben sollte. Und auch sehr genau beschrieben. Nur hätte Söring jetzt auch fliehen können? Er war ja nicht seinetwegen dort, sondern wegen Elizabeth'. Und wie würde er ihr gegenüber dastehen, wenn er jetzt kniff? Eigentlich waren nicht die Eltern die Gefährder seines Selbstwertes, die konnten ihm ja nichts. Aber sie waren Stellvertreter der Bedrohung, die davon ausging, dass ihm Elizabeth ihre Liebe entziehen könnte, wenn er sich von den Eltern demütigen ließ und die Flucht ergriff.
Und dann - unter diesem Druck - kann ich mir eine Tötungshandlung vorstellen, wie sie Söring begangen hat.
Aber das ist jetzt zugegebenermaßen ein nur sehr isolierter Blick auf das Geschehen ausgehend vom Geständnis von Ende 1986. Das erklärt weder die Briefe noch die anderen Geständnisse von ihm oder Elizabeth.