sooma schrieb:Ja, für mich z. B. schon. Deshalb verfolge ich Melusines Beiträge zur Korrespondenz und Literatur mit großem Interesse. Da ist ausgearbeitet, was mein Bauchgefühl und meine eigenen Erinnerungen an diese Zeit mir sagten. Schön, dass vielleicht dadurch hier jetzt auch (wieder) mögliche Geisteszustände Thema sein können - war vor nicht allzulange noch etwas anders.
Ich habe gestern nach ein ewig langes Posting geschrieben, aber dann doch nicht abgeschickt. Mein Problem ist es ein bisschen, gleichzeitig in meinem Kopf die Literatur-/Brief-Seite als auch die pragmatische Seite parallel zu durchdenken, ohne den Faden zu verlieren.
Ich habe wirklich einiges über die Weitergabe transgenerationaler Traumata (insbesondere 2. Weltkrieg, ihr könnt euch ja selber mal fragen, was die aktuelle Berichterstattung über Auschwitz
gefühlsmäßig mit euch macht) und Bindungsforschung gelesen, aber es ist noch zu unausgegoren, um es schon zu posten. Einer meiner Kollegen sagte gestern: "Aber es gibt doch auch noch einen freien Willen, man kann doch nicht alles auf die Kindheit schieben." und da hat er recht. Andererseits ist man mit 18 Jahren noch ein halbes Kind und hat sich weder geistig noch emotional noch finanziell noch sozial vollständig von seinen Eltern abgenabelt.
Und wenn man dann zum Beispiel einen Film wie "Einer flog über das Kuckucksnest" guckt, dann hat man bestimmt keine Motivation, sich helfen zu lassen, wenn das Leben aus dem Ruder zu geraten scheint.
Auf der einen Seite merke ich, dass es nicht geht, ein Buch oder einen Brief (oder einen Film) nach dem anderen "abzuhaken", sondern dass man alles mehrmals (und dann auch noch auf Englisch) lesen / gucken muss, damit einzelne Keywords klicken. Auf der anderen Seite führt das dazu, dass mein Unterbewusstsein manchmal morgens um 5 Uhr oder auf der Autobahn oder im Büro plötzlich einen Gedanken in mein Gehirn schießt, den ich dann versuche, festzuhalten, bevor er wieder wegfliegt.
Ich weiß, dass hier alles schon x-mal durchgekaut wurde, daher verzeiht bitte meine Verbissenheit. Manchmal suche ich mit der Suchfunktion nach einem Begriff und sehe dann, dass 2017 und 2018 schon dieselben Themen besprochen wurden. Das tut mir leid, ich will keinen verärgern.
Neulich hat jemand gefragt, warum sich jemand so emotional in dieses Thema reinstürzen kann. Ich habe eine PN bekommen, in der mir jemand schrieb, ich würde nicht nur gut analysieren, sondern mich auch "empathisch einfühlen". Und ich dachte nur: Empathisch, ich? Ich? Das ist doch "nur" eine "geistige Schnitzeljagd" für mich.
Ich habe erkannt, dass ich mich da selber belogen habe. Es ist eine emotionale Schnitzeljagd. In meinem Leben gibt es total viele Parallelen zu JSs Kindheit/Elternhaus/Leben (ich könnte spontan ca. 10 Stück aufzählen) und viele Umstände hatten ähnliche Auswirkungen auf mich. Ich glaube, ich wollte für mich selber herausfinden, was die Gründe für seine Gefühle (und damit auch meine Gefühle vor ca. 20 Jahren und teilweise bis heute) waren.
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Und ich kann einfach gedanklich nicht mehr zur Alleintäter-Theorie zurückkehren. Ich kann es einfach nicht.
Die EH-Alleintäterin-Drogendealer-Story ist für mich absoluter Humbug, sorry. Dagegen spricht schon mal JSs Weigerung, seine Fingerabdrücke abzugeben, die Flucht, der arrogante Abschiedsbrief an Gardner + Reid, das Beseitigen der Fingerabdrücke, sein Geständnis mit Täterwissen, die Narbe an der Hand vom Messerkampf, der Sockenabdruck, etc.
Die JS-Alleintäter-Theorie lässt unglaublich viele Widersprüche offen: ohne Brille gegen 2 Leute kämpfen und zielgerichtet tötliche Verletzungen setzen; blutiges Bettlaken; Mülleimer-Fahrt und Rückkehr zum Tatort; falsche Beschreibung der Kleidung, Position und Verletzungen von NH; EHs lücken- und fehlerhafte Schilderung des Kino-Alibis inkl. unglaublicher Logiklöcher (wie sollte er sie wiederfinden, wenn er nicht mal wusste, in welchem Kino sie war?; wäre er ernsthaft blutbefleckt auf der falschen Straßenseite direkt vor ein belebtes Kino gefahren?; Cola soll Blutspuren beseitigt haben, etc.)
Die Theorie, dass es beide gemeinsam getan haben könnten am Abend, ist für mich naheliegend, aber da bleibt dann die Frage offen, wie sie gleichzeitig in Loose Chippings sein und in Washington zusammenhängende Kinokarten kaufen, den Zimmerservice rufen und Telefonanrufe tätigen konnten. Ihr Pech war, dass der Rest ihres schönen Alibis durch die schlampigen Ermittlungen, widrige Umstände (Verkauf des Hotels) und generell den langen Zeitraum zwischen Tat und Prozess zerstört wurde, und so später weder belegt noch widerlegt werden konnte, ob die beiden gemeinsam um 21/22 Uhr im Hotel waren oder nur einer von beiden. Nach dem Tachostand-Debakel waren sie sofort verdächtig, in Washington wurde gar nicht erst ermittelt
Nur wenn ich mir vorstelle, dass beide es gemeinsam am Nachmittag getan haben, fallen für mich alle Puzzle-Teile an die richtigen Stellen. Nur dann funktioniert das Kino-Alibi einwandfrei. Nur dann passen die "Versprecher" in den Aussagen (er: "es war am späten Nachmittag" und "ich guckte zum Fenster raus" / sie: "es war so gegen 13/14 Uhr, als wir losfuhren"). Nur dann passen die vielen übriggebliebenen Puzzle-Teile ins Bild (Betätigung Lichtschalter, Anruf nach der Tat bei Frau Massie, gemeinsame Flucht, "our little nasty", Andeutungen in den Briefen).
Egal, ob in den Artikeln von Amy Lemley oder Nathan Heller oder im Film "Das Versprechen" - überall sehe ich Andeutungen, dass andere es auch so sehen.
Die Frage ist jetzt einfach nur, was JS daraus macht. Erzählt er weiter seine Ich-bin-unschuldig-Story? Wenn ich er wäre, würde ich eine Therapie machen (ernsthaft) und dann sagen, ich hätte verschüttete Erinnerungen aufgedeckt und könnte jetzt die Karten auf den Tisch legen.
Sorry, ich möchte mich absolut nicht über Therapien lustig machen, man sieht ja, wie schwer es zum Beispiel Prinz Harry fällt, über den Tod seiner Mutter (er war damals 12 Jahre alt) und seine jahrelangen Therapien zu sprechen. Und Harry hat wirklich nichts ausgelassen um zu provozieren (irgendwie fallen mir da gerade die Parallelen zu EH und JS auf, möglicherweise ist das Alter von 10/11/12 Jahren ein besonders kritisches Alter für einschneidende Ereignisse, das weiß ich nicht. Falls jemand psychologische Fachkenntnisse beisteuern kann, gerne her damit.)