Jens Söring als Einzeltäter und treibende Kraftborabora schrieb:So macht dieses Rettungsmotiv, wie so vieles, was Söring sagt, keinen Sinn.
Trimalchio schrieb:
Ich denke, das [edit: d.h. den Retter spielen] wollte er vielleicht wirklich. Aber nicht durch sein Geständnis, sondern durch die Tat.
borabora schrieb:
Das glaubst Du nicht wirklich?
Warum nicht? Die Frage lautet eher: Warum nun dieser Doppel-Mord? Ist denn die Motiv-Frage schon hinreichend beantwortet?
In meiner Analyse von Sörings Genealogie und Wappen hatte ich ja schon ausführlich auf das märchenhaft königliche Selbstbild unseres Schwanenritters verwiesen, das durch die Ralität nicht gestützt wird.
Da hat einer ein
existenzielles Selbstwertproblem. Hast du mal mitgezählt, wie oft im Verlauf des "Weihnachtsbriefes" (btw ein gesalzener Euphemismus!) Söring sich selbst einen wertloses Haufen Scheisse nennt ("I'm just tossing shit", "after a while she'll realize the pile of fake shit I am" (S.4), this little shithole-German. Back by popular demand, drowning himself and anaesthetizing himself with ludicrous visions of unachievable grandeur..." (S.5) "repetition of the phrase I am a shithole..." (S.6)?
Das darf man ihm wie wenig anderes getrost glauben. Das ist weit mehr als nur eine Metapher oder ein dunkles Passepartout, um EH umso heller erstrahlen zu lassen.
Und dieses Stück Dreck sieht nun die Chance seines Lebens. Elizabeth wird von ihm dafür als Werkzeug auserkoren und missbraucht. Eine kluge Wahl: Als mehrfaches Missbrauchsopfer war sie das ideale Objekt für weitere Übergriffigkeiten.
Auf fast vierzig Seiten schreibt Jens Söring in narzistischer Selbstbespiegelung nur über sich selbst, über seine Herkunft, seine Leseerlebnisse, seine Gedanken. Und trotz der überall in Grossbuchstaben eingestreuten Beteuerung "I LOVE YOU", kommt Elizabeth darin praktisch nicht vor, allenfalls am Rande, als Empfängerin seiner Gedanken. Ein Dokument der Selbstsucht, Gefühlskälte und Leere. Eine Selbstrechtfertigung. Aber sicher kein Liebesbrief. Jede halbwegs gesunde Frau hätte gefragt: "Und was bitte, JS, hat das mit MIR zu tun???"
Nicht so Elizabeth.
EH erscheint mir, je länger ich mich damit befasse, als das eigentliche Opfer in dieser
folie a deux.
Ich sehe es so:
Sörings eigene Worte schildern die extreme Sinn-, Bedeutungs- und Wertlosigkeit seiner jämmerlichen Existenz.
Ohne seine extreme Notdurft, dieser Nichtigkeit eine über die Maßen heroische Tat abzutrotzen, wäre es wohl nie zu dieser Katastrophe gekommen. Die treibende Kraft war imho ganz klar Söring. EH war zu dieser Zeit pharmakologisch viel zu sediert für Taten jenseits der Drogenkonsumkriminalität. Und keiner in der Umgebung verstand, was der Schwan mit diesem hässlichen deutschen Entlein anzufangen wusste.
Es ist auch wirklich schwer zu verstehen. Sein penetrantes Bookdropping, das bedeutungsschwangere "Nur Andeuten", noch in diesem Aufstapeln von Lesebrocken wirkt Söring wie ein fleissiges Apportierhündchen, das nicht aus der Spätpubertät erwacht ist.
Nichts daran ist wirklich cool oder genial oder ein neuer Wurf oder hat eigene literarische Qualität. Kein Shakespeare hat auf ihn abgefärbt, kein Camus.
Das Standfoto des Firmaments als Spaghetti mit Fleischbällchen.
So als müsse er die auf zahlreichen Seiten des später so genannten Weihnachtsbriefes wortreich geschilderte eigene Wertlosigkeit durch eine besonders wertlose Metapher bebildern. (typischer Fall von Hybris. Dieser Ubootmörder fand sein stumpfes helldunkel-Geschreibsel ja auch grossartig und umso brillanter, je langatmiger.)
EH
muss Drogen genommen haben, um das nicht zu merken oder um darauf abzufahren.
Er aber drängte sich der schönen Alkoholikertochter mit der Stupsnase und dem unzufriedenen mürrischen Blick gezielt auf. Sie hatte wohl, wie alle Alkoholikerkinder, ein Problem damit,
sich selbst zu reflektieren. Nimmt dankbar Sörings narzistischen Überschwang entgegen und verwechselt ihn nur zu gern mit Liebe. Voller Wohlwollen sieht sie sein Schriftstellerisches "Potential", und mit
Ihrer Prinzessinenrolle beflügelte sie seine Hoffnung den Retter spielen zu können.
JS wollte offenbar um jeden Preis aus der Bedeutungslosigkeit seines graue Maus Daseins heraustreten.
Das ist ihm gelungen. Bis heute halten viele den selbstverliebten Langweiler für etwas Besonderes.
Dafür bestärkte er gezielt ihre Leidensgeschichte und überhöhte sie zum Opfermythos. Er weckte ihre dunklen Seiten und goss Öl ins Feuer. Von nun an schrieb Söring die Dramaturgie und EH fühlte sich wichtig genommen, verwechselte - wieder einmal - Mißbrauch mit Liebe und willigte gern ein. Sie besorgte ihm nach bestem Können die Alibis, hielt auch nach den Morden zu ihm, bis sie die Bilder ihrer niedergemetzelten Eltern zu Gesicht bekam.
Der Preis dafür war aber extrem hoch. Und den bezahlten nicht nur ihre Eltern, deren Angehörige und Freunde, sondern auch EH selbst. Sie war für JS das geeignete Werkzeug, aus der Mittelmäßigkeit herauszutreten. Sein Doppelmord ist so gesehen ein Mord aus Langeweile. Aus der Unfähigkeit, Bedeutung zu empfinden. Ein Beispiel für die Banalität des Bösen.
Mit guten Freunden an der Seite wäre EH rechtzeitig in Entzug und Therapie gegangen und hätte ihre Kindheitstraumata vll. soweit verarbeiten können, dass sie mit dem verbleibenden Rest hätte leben können. Aber indem sie sich auf die Manipulationen durch JS einließ, wurde sie ein weiteres Mal (nach Mutter und Schweiz und Drogen) für fremde Interessen missbraucht.
Anders als der JS-Fanclub, der bis heute die Hauptschuld bei EH verortet, verliert sie kein Wort über den Zerstörer ihres Lebens und konzentriert sich auf ihren eigenen Anteil der Schuld. Das scheint ein Anzeichen grosser Reife zu sein.
Söring hingegen schreckt nichteinmal davor zurück, sich Schulkindern gegenüber als Justizirrtum auszugeben.
JS ist kein Opfer. Weder das Opfer der verführenden Schlange, noch das Opfer einer hinterhältig unfairen Justiz. Allenfalls ist er das Opfer der eigenen Mythen und Lügen, die nun weitererzählt werden müssen.
Und so steht sie da diese traurige Gestalt in der Echokammer, in der als Dauerschleife von falschem Geständnis, unfairem Prozess, fiesem Sockenabdruck, zwei fremden DNA-Männern und einem voreingenommenen Richter gelogen wird, bis seine Groupies und der Sheriff vor Verzückung in Ekstase geraten, weil man ja zu den Guten gehört, wenn man einen erfundenen Justizskandal hyped.
Zusammenfassung dieser Sicht: Söring war bei den Morden die treibende Kraft und der Hauptausführende.
Nicht erst durch das Geständnis, schon durch die Tat selbst wähnte und inszenierte sich JS dabei als der beschützende Held.
In Wirklichkeit missbrauchte er aber EH als Vorwand für die Überwindung seiner existentiellen Wertlosigkeit, brachte ihre Eltern um und zerstörte ihr Leben.
Seine Verurteilung als Doppelmörder erfolgte zu Recht. Ihre Strafe erscheint im Vergleich dazu unangemessen hoch.