Guten Morgen,
ich hirne über einige Dinge nach und möchte betonen, dass alles, was ich denke, absolute SPEKULATIONEN sind.
1.) Der Zeitpunkt. Irgendetwas muss genau dieses Wochenende besonders "günstig" gemacht haben.
Ken Englade schreibt (Vernehmung London, Montag, 9.6.1986):
In answer to his questions Elizabeth admitted that she conceived the idea of going to Washington and that they originally planned to go twice, the first time to set a precedent so it wouldn’t seem strange when they went again. But they didn’t have enough money to make two trips, so they had to make the first trip do.(Quelle: Beyond reason, Kapitel 30)
--> Sie waren also vorher noch nicht in Washington gewesen. Sie hatten ein Hotel mit Tiefgarage ausgesucht. Vermutlich haben solche Hotels im Telefonbuch/Gelbe Seiten inseriert und ihre Tiefgarage als Merkmal hervorgehoben. (Internet gab es ja noch nicht und ich versuche mich hinzuversetzen, wie ich damals solche Infos gesucht hätte. Vielleicht spielte es auch gar keine Rolle und sie brauchten nur irgendein Hotel, Hauptsache, es war in Washington D.C.)
Ich kenne mich mit dem amerikanischen Studiensystem nicht aus, aber auch dort gibt es Semester und Semesterferien? Es gab ja diesen "Spring Break" kurz vorher (einwöchige Uni-Pause). Das genaue Datum konnte ich leider bis jetzt nicht herausfinden und auch nicht, ob das von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich ist? Wie lange ging das Semester normalerweise?
Auf der Seite der Uni Virginia geht der Kalender leider nur bis 1995 zurück, aber das Semester scheint jedes Jahr so ungefähr Mitte Mai geendet zu haben (Quelle:
https://www2.virginia.edu/registrar/calenold.html).
Als fleißiger Student habe ich nun also folgenden Kalender vor mir:
Springbreak: Mitte März
DHs Geburtstag: Samstag, 23.3.1985
Ostersonntag: 7.4.1985
EHs Geburtstag: Montag, 15.4.1985
Ende Semester: Mitte Mai
JS hatte panische Angst, Elizabeth zu verlieren. Er wünschte sich, sie möge mit ihm in den Semesterferien nach Europa verreisen. Das Semester ging in großen Schritten vorwärts, es gab an der Uni vermutlich Abgabetermine für Seminararbeiten und ähnliches?
Wenn man sich dann den Kalender betrachtet, dann bleiben eigentlich nicht mehr viele Termine übrig, an denen man so einen Plan in die Tat umsetzen könnte. Andererseits scheint alles unglaublich schlecht durchdacht gewesen zu sein (sonst hätte er z.B. Ersatzklamotten mitgenommen, man hätte am Ende 6 Kinotickets gehabt, etc.). Es muss also irgendetwas vorgefallen sein, warum sie dachten "heute oder nie".
2.) Alibi: Sie hatten theoretisch auch für den Vormittag kein Alibi (sind angeblich in Washington herumgefahren). In ihrer Liste haben sie als erstes die "MOST machine" aufgeführt, die kein Geld ausgespuckt hat (zwischen 1 und 8 a.m.)
https://www.allmystery.de/bilder/km109429-98Ich vermute mal, so ein Geldautomat vermerkt das irgendwo, wenn eine Karte wieder ausgespuckt wird. Das wäre also ein Punkt, der sich später nicht wegdiskutieren lassen würde. Warum sollte man das aufführen, wenn es nicht passiert wäre?
Zum "Herumfahren in Washington". Laut Ken Englade haben sie am Vormittag das Messer gekauft:
The next morning, Saturday, she and Jens went shopping for a birthday present for Jens’s younger brother. Jens wanted to give him a knife, she said, a specific kind of knife that could be purchased only in a martial arts store. It was called a butterfly knife.
They went to a store in Washington, where they were told that District law prohibited the sale of butterfly knives. But the clerk was helpful, and he recommended a store in nearby Maryland. So they drove over there. They quickly found the kind of knife they were looking for, Elizabeth said, and, since she was carrying the cash, she paid for it.
By then, it was lunchtime, so they went to eat. Over lunch, she said, Jens told her he wanted to get together with some friends of his from Atlanta who were coming to Washington for a basketball game. This surprised her, she explained to Beever, because they had driven from Charlottesville specifically so they could have some time to themselves. Without putting up much of an argument, she agreed and told him to take the car. While he was gone, she would pass the time by going to a movie. (Quelle: Beyond reason, Kapitel 29)
--> So ein Messer zu kaufen war also nicht einfach. Vielleicht sind sie deswegen nach Washington gefahren. Es dürfte JS klargewesen sein, dass er als Hänfling zwar den Überraschungseffekt auf seiner Seite hat, aber dass er seine zwei Opfer schnell überwältigen muss. Ich könnte mir vorstellen (Spekulation), dass die beiden nicht deswegen vorrangig ausgerechnet nach Washington gefahren sind, um ein Alibi zu kreieren (sie hätten auch in jeder anderen Stadt angeblich ins Kino gehen können), sondern dass sie dort das Messer in der Anonymität der Großstadt kaufen wollten. Dieses Messer gab es offenbar nur in "Martial Arts Stores" und solche gab es nicht an jeder Ecke. Möglicherweise haben sie während des Lunch dann erst den Entschluss gefasst, mit diesem Messer (von dem sie vorher nicht wussten, ob sie es überhaupt hinkriegen würden, so eines zu kaufen) die Tat durchzuführen.
(Es ist sicher kein Zufall, dass JS diese Geschichte zwar anders erzählt, aber auch vom Lunch ausgeht, er schreibt:
"It was about 3:30 p.m. when Elizabeth and I decided to park again and have a late lunch. The restaurant where we stopped was decorated with a train motif: there were trains painted on the walls, drawn on the menus and printed on the napkins. Sigmund Freud would have had a fit over all that phallic imagery, I joked. We had a pleasant, if unremarkable meal and afterwards relaxed over a couple of soft drinks."Quelle:
http://web.archive.org/web/20050904201937/http://lucy.ukc.ac.uk/Soering/chapter04.html, Mortal Thoughts, Kapitel 4, Seite 59)
--> 15.30 Uhr könnte stimmen. Das Restaurant wird ziemlich genau beschrieben, das hat er sich also eingeprägt, falls er es wiedergeben muss. Dass es so spät war, lag vielleicht daran, dass die "Messer-Besorgung" eine Weile gedauert hatte.
EH wusste, wann ihre Eltern normalerweise anfangen zu trinken, also kommt für mich eine Tat tagsüber nicht in Frage. (Ich denke, es wäre schon am sichersten, so eine Tat im Dunkeln zu begehen, die Sonne ging um 18.30 Uhr unter:
https://www.wolframalpha.com/input/?i=dusk+30.03.1985+lynchburg+virginia).
Sie konnten sich beide ausrechnen, wie lange er ungefähr für die Fahrt hin- und zurück brauchen würde. Falls es wahr ist, dass EH das Alibi kreieren sollte, dann musste sich JS nun komplett darauf verlassen, dass sie von ihrem initialen Kino-Alibi (= er setzt sie um 17 Uhr (?) am Kino ab) ausgehend irgendetwas improvisiert.
Und es geht auch gleich etwas schief: Die EC-Karte funktioniert nicht und EH muss mit ihrem Bargeld auskommen. Angeblich rief sie später Christine an, weil ihre Bankkarte nicht funktionierte und sie nicht sicher war, ob sie sich nicht vielleicht die Nummer falsch gemerkt hat:
A. "Well, I was having so much trouble with the Most machine card I thought that my number must be wrong. I hadn’t remembered the number correctly, and I phoned her to find it."(Quelle:
https://soeringguiltyascharged.com/2019/09/22/the-truth-about-true-crime-with-amanda-knox-killing-for-love-part-1/, Trial transcript, page 177.)
--> Da diese Aussage aus der Verhandlung gegen JS stammt, bei der sie als Zeugin aussagte und keine Angst mehr hatte, belangt zu werden, könnte das also stimmen. Das hätte man nachprüfen können, hat man aber nicht.
Laut JS Weihnachtsbrief mochte er CK nicht, von daher wäre es also nicht in Frage gekommen, dass sie für ihn lügt und sagt, er hätte sie angerufen. Daher musste er (so argumentiert der Blog und das klingt logisch) diesen Anruf unter den Tisch fallen lassen (es hätte ihm sowieso nichts genützt, es hätte nur bewiesen, dass EH in Washington war, aber ihn nicht entlastet).
Laut Ken Englade sagte sie während der Verhandlung gegen JS (1990) auch aus, dass sie in der Rocky Horror Picture Show" ein bisschen Aufruhr machen wollten, damit man sich an sie erinnert:
“Jens was supposed to be back by then and he was to come in [to the theater] and we were to make a disturbance so people would remember us being there.”(Beyond reason, Kapitel 55)
--> So eine Überlegung wurde ja weiter vorne schon diskutiert. Sobald man wieder zusammen ist, macht man irgendeine Art Aufruhr, damit Leute sich an einen erinnern. Vorher muss man sich so unauffällig wie möglich verhalten und in der Menge untergehen. Sie hatten aber beide nicht vorhergesehen, was für eine blutige Angelegenheit so ein Mord sein würde und dass man sich am Ende nicht einfach vor einem Kino treffen und reingehen kann, als wäre nichts geschehen.
Andererseits war dieses Kino markant und sie hatten es vorab vereinbart, sich dort zu treffen, um während der Vorstellung einen kleinen Aufruhr zu machen. Sie hatten also berechnet, dass er ungefähr um 0.00 Uhr zurücksein würde.
Angenommen, sie wäre also um 0.00 Uhr zum Kino gegangen und er wäre nicht dort gewesen. Sie hat die Wahl: Zurück ins Hotel, auf der Straße warten oder ins Kino gehen. Unter diesen Umständen würde ich mich fürs Kino entscheiden. Wenn er noch kommt, wird er draußen warten, wenn er danach immer noch nicht da ist, kann sie ins Hotel zurückgehen und dort weiter warten. Da er noch nicht zurück ist, ist vielleicht etwas schiefgelaufen, das heißt, sie darf jetzt unter keinen Umständen auffallen, von daher scheidet "Kinokarte-Schnorren" oder "Im-Müll-Rumwühlen" aus. (Und wenn etwas schiefgegangen ist und er erwischt wurde, dann braucht sie sowieso keine zwei Karten.)
Jetzt aus seiner Sicht gedacht: Sie sind gegen 0.00 Uhr bei der Rocky Horror Picture Show verabredet, wo sie einen kleinen Aufruhr machen wollen. Er hat zeitlich alles unterschätzt, er steht total unter Schock, aber er hat es irgendwie geschafft, er ist nun mit Verspätung zurück in Washington. Nun muss er Elizabeth finden. Er hofft einfach auf gut Glück, sie noch am Kino zu treffen. Es ist eh schon nach Mitternacht, da wird er vielleicht nicht auffallen. Wenn er sie am Kino nicht findet, kann er als Plan B ins Hotel fahren.
Da er aber von dem ganzen Geschehen so geschockt ist, hat er keine Nerven mehr, sich von ihr die Alibi-Kinokarten zeigen zu lassen. Und als sie dann wieder zurückgefahren sind, war es zu spät, noch irgendwo welche aus dem Müll zu klauben. Wahrscheinlich gab es eine Deadline, bis zu der das Auto abgegeben werden musste. Da EH das Auto ausgeliehen hatte, hat sie es vermutlich auch zurückgebracht und versäumt, bei der Eintragung der Kilometer irgendwie den Angestellten zu becircen. Sie hätte ja auch später behaupten können, es wäre ein Schreibfehler/Zahlendreher gewesen. Wäre die Tat gut durchdacht gewesen, wäre ihnen dieser Fehler nicht unterlaufen.
Wenn man überlegt, dass die Fahrt ungefähr 3 Stunden dauert und sie sich um Mitternacht am Kino treffen wollten, könnte man vielleicht den Tatzeitpunkt auf ca. 20 Uhr festlegen. Dann wäre er gegen 17 Uhr abgefahren.
Das würde zum Kinokarten-Alibi und zu ihrer Aussage, er hätte sie am Kino abgesetzt und wäre dann losgefahren, passen:
https://www.allmystery.de/bilder/km109429-98Dass EH sich später nicht an die genauen Anfangszeiten der Kinofilme erinnern konnte, spielt in meinen Augen keine Rolle. Es war für sie sowieso egal, ja, es war sogar schädlich, genaue Informationen preiszugeben. Sie war schließlich nur für Anstiftung "before the fact" verurteilt, zu genaue Kenntnisse des Alibis NACH der Tat durfte sie offiziell nicht haben.
3.) Zum Auto:
Der Blog sagt deutlich, dass die Luminol-Anwendung nicht fachgerecht und nur im Fahrerbereich durchgeführt wurde. Aber: Eventuell war JS doch gar nicht so blutbefleckt, wie gedacht.
Er hatte ja angeblich ein Bettlaken umgewickelt. Mir kommt es so vor, als würde auf dem rechten Bett das Bettzeug fehlen:
https://www.allmystery.de/bilder/km109429-35Er hatte ja wirklich fast alle blutbefleckten Sachen (bis auf seine Unterhose) ausgezogen. Er hatte ein frisches Sweatshirt von DH angezogen. Eine Hose fand er nicht, ich wüsste auch gar nicht, wo er da hätte suchen sollen:
https://wset.com/resources/media/50db17cb-28a5-4682-a1ba-1d0132781080-medium16x9_CrimeScenephotobedroom.jpegNachdem er seine Fußabdrücke verschmiert hatte, muss er doch auch seine blutigen Socken ausgezogen haben. Evtl. waren da irgendwo ein paar Gartenschlappen an der Tür, die er anziehen konnte (Ken Englade erzählt ausführlich, dass Derek und Nancy gerne im Garten gewerkelt haben). Wer würde später feststellen können, ob ein Sweatshirt, ein Bettlaken, ein Handtuch und ein paar Schlappen fehlen?
Blut fängt ja irgendwann an zu gerinnen, er hatte nur eine Wunde an der Hand, die er in ein Handtuch eingewickelt hat.
Hände und Gesicht hatte er gewaschen, die blutigen Klamotten komplett ausgezogen, ein frisches Sweatshirt angezogen, Bettlaken ab Hüfte abwärts irgendwie rumgewickelt (und wenn dann etwas von der Hand drauf tropfte, dann müsste es ihm in den Schoß, aber nicht an die Lehne oder auf den Boden getropft sein).
Ich habe nochmal bei Ken Englade geschaut:
When she opened the door, the car’s overhead light went on, and she saw that Jens had a sheet draped across his waist. It was covered in blood. (Quelle: Beyond reason, Kapitel 29)
--> Das sagt ja nichts aus, wie das Blut genau verteilt war. Vielleicht hatte er sich auch sein blutiges Handtuch mittlerweile in den Schoß gelegt, nachdem die Wunde aufgehört hatte zu bluten, so dass es für sie wie viel Blut aussah. Aber in Wirklichkeit hatte er das Bettlaken um sich herum und im Schoß das blutige Handtuch.
Dieser Teil bleibt für mich mysteriös. Andererseits glaube ich mich zu erinnern (aus "Autopsie" oder so), dass man Luminol nicht mehrfach verwenden kann. Wenn man die Untersuchung also einmal versaut hat, kann sie nicht wiederholt werden, oder? Dann hatte er vielleicht doch einfach Glück gehabt, dass im Auto nichts gefunden wurde (was letztendlich aber für immer die Frage offenlässt, ob sie vielleicht doch dabei war und gefahren ist, aber wie würde das in den Ablauf passen?)