So, hier mal die häufig zitierte Studie des LKA Bayern von 2005:
https://www.polizei.bayern.de/content/4/3/7/vergewaltigung_und_sexuelle_n_tigung_in_bayern_bpfi.pdfZur Anzahl der Anzeigen wegen Falschbeschuldigungen in Relation zu den Anzeigen wegen sexueller Gewalt und Vergewaltigung:
Insgesamt ließen sich für das Jahr 2000 nur 140 Aktenzeichen
zu diesen Delikten aus dem PKS-Bestand herausfiltern20, die
dann tatsächlich alle auch ausgewertet wurden. Verglichen mit den 1754
als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung an die PKS gemeldeten
Straftaten war die Zahl der polizeilich zur Anzeige gebrachten Vortäuschungen
und falschen Verdächtigungen sehr gering.
(...)
Die Registrierung
in der Polizeilichen Kriminalstatistik unter den Schlüsseln für diese Delikte
erfolgt nach Auskunft mehrerer sachbearbeitender Dienststellen in der
Regel dann, wenn praktisch keine Zweifel mehr am Vorliegen einer
Vortäuschung oder falschen Verdächtigung bestehen, weil ein
Geständnis des „Opfers“ der angeblichen Sexualstraftat vorliegt oder die
Beweislage eindeutig ist.
Also nicht nur, wenn das Opfer Anzeige erstattet.
Zu den Fällen, die als Falschbeschuldigung registriert wurden zählen auch die, in denen Anzeige gegen Unbekannt erstattet wurde (30%) und die, in denen die Anzeige wiederum selbst eine Falschbeschuldigung war. Außerdem solche, in denen von Dritten zur Anzeige genötigt wurde, Dritte die Falschbeschuldigung begingen (ein Drittel der Anzeigen) u.s.w..
Diese Fälle zählen also nicht zu denen, in denen ein vermeintliches Opfer jemandem persönlich schaden wollte.
Dem gegenüber steht die subjektive Einschätzung von Sachbearbeitern:
„Alle Sachbearbeiter von Sexualdelikten sind sich einig, dass deutlich
mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden.
Viele angezeigte Fälle lassen zwar die Vermutung einer Vortäuschung
bzw. falschen Verdächtigung zu, berechtigen jedoch nicht zu einer
entsprechenden Anzeige.“
Bezug genommen wird hier auf die Vorgänge, bei denen auch nach Abschluss
der polizeilichen Ermittlungen nicht unerhebliche Zweifel an den
Aussagen des angeblichen Opfers bestehen bleiben. Ein Tatnachweis
für ein Vortäuschen oder eine falsche Verdächtigung ist aber insbeson-
dere deshalb meist nicht zu führen, weil ein Geständnis des angeblichen
Opfers nicht vorliegt. Trotz vieler Inkonstanzen in den Zeugenaussagen
und dem Vorliegen weiterer Kriterien, welche die Glaubwürdigkeit in Frage
stellen, bleibt letztendlich die Aussage des angeblichen Opfers neben
der des von ihm Beschuldigten stehen; andere Personen- oder Sachbeweise
liegen in ausreichender Beweiskraft in der Regel nicht vor.
... also wie war das nochmal mit der Unschuldsvermutung?
Auch interessant, was die Daten zu den falsch Verdächtigten hergeben:
Von den Opfern mit bekannten Daten zur Staatsangehörigkeit (N=98)
hatten 28 (28,6%) keinen deutschen Pass. Der Anteil von Ausländern an
der männlichen Bevölkerung Bayerns24 beträgt aber nur 10,3%. Ausländer
werden also häufiger Opfer einer Vortäuschung oder falschen Verdächtigung
als Deutsche.
(...)
Noch höher liegt der Ausländeranteil, wenn man die Personenbeschreibungen
der angeblich „unbekannten Täter“ auswertet: In 35 Fällen waren
Angaben zur mutmaßlichen Staatsangehörigkeit vorhanden, 16-mal
wurde ein Ausländer als Sexualstraftäter beschrieben (45,7%). Den Anzeigeerstatterinnen
schienen ihre Aussagen offensichtlich glaubwürdiger,
wenn sie einen unbekannten Ausländer beschuldigten.
Und dann kommt man zum Fazit:
Wie weiter oben bereits angemerkt68, werden Anzeigen wegen Vortäuschung
oder falscher Verdächtigung - mit wenigen Ausnahmen - nur
dann von der Polizei an die StA abgegeben, wenn das vermeintliche Opfer
gesteht, den Sachverhalt falsch geschildert zu haben, oder die Beweislage
bei Abschluss der Ermittlungen klar gegen die Aussagen des
„Opfers“ spricht.
Trotzdem wird jede Vierte dieser Anzeigen (N=35; 25,0%) gem. § 170 II
StPO eingestellt, weil aus sachlichen oder rechtlichen Gründen ein genügender
Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage fehlt.
(...)
Sexualdelikte werden häufig nicht angezeigt. Bezieht man Erkenntnisse
der Dunkelfeldforschung mit ein, die vermuten lassen, dass die Relation
angezeigte / nicht angezeigte Delikte im Bereich der sexuellen Gewalt
zwischen 1:3 und 1:10 liegen dürfte, kommen auf eine Anzeige wegen
Vortäuschung oder falscher Verdächtigung - bei diesen Delikten gibt es
kein Dunkelfeld - etwa 38 bis 12577 tatsächlich vorgefallene Vergewaltigungen
oder sexuelle Nötigungen.
(...)
So sehen sich etwa in
Bayern insbesondere die Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder
immer wieder mit Aussagen der (kriminal)polizeilichen Sachbearbeiter/innen
konfrontiert, die von sehr hohen Anteilen an Vortäuschungen
und falschen Verdächtigungen ausgehen. Ob diese Wahrnehmung der
Beamten der Realität entspricht oder nicht, kann nicht beurteilt werden,
da es an Untersuchungen und empirisch gesichertem Wissen fehlt. (Das
ist nichts Neues: Nur ganz ausnahmsweise konnten die Zweifel von Polizei
und Justiz an der Glaubwürdigkeit der Opfer, die sich wie ein roter
Faden durch den Umgang der Strafverfolgungsinstanzen mit diesen Opfern
– und der Kritik an ihm – ziehen, durch empirische Befunde bestätigt
oder widerlegt werden).
Berücksichtigt man für eine weitere näherungsweise Berechnung nur die
tatsächlich als Vortäuschung oder falsche Verdächtigung angezeigten
140 Fälle – 7,4% aller im Jahr 2000 insgesamt registrierten 1.894 Vorgänge,
die sich (zunächst) als Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen
dargestellt haben - und die gem. § 170 II StPO eingestellten Verfahren,
die von den Sachbearbeitern als „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine
Vortäuschung oder falsche Verdächtigung“ bewertet wurden, dann ist
aus Sicht der Ermittler immer noch etwa jeder fünfte Fall sehr zweifelhaft.
Hier greift man also nicht auf Daten zurück, sondern auf subjektive Bewertung, lässt aber andererseits die zuvor erwähnte Dunkelziffer tatsächlich erfolgter Sexualstraftaten außen vor.
Aber es gibt einen Lichtblick:
Fälle eines gezielten/geplanten Einsatzes von falschen Verdächtigungen,
etwa um sich an einem Mann zu rächen, waren die absolute
Ausnahme
https://www.polizei.bayern.de/content/4/3/7/vergewaltigung_und_sexuelle_n_tigung_in_bayern_bpfi.pdfMein Problem mit der Behauptung, dass "viele" Anzeigen Falschverdächtigungen wären, weil man die Tat nicht zweifelsfrei nachweisen kann: Das unterstellt, dass "viele", die Anzeige erstatten, das wissentlich böswillig tun, um einem Unschuldigen persönlich zu schaden. Das ist aber, wie die Untersuchung zeigt, nicht der Fall.
Puh, jetzt muss ich aber noch ein bisschen was anderes machen, bevor der Sonntag ganz rum ist.
:D