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@Scott78 ich zerlege meine Antwort jetzt mal in zwei Teile. Teil I (dieser) geht eigentlich an alle Therapieinteressierten. Ich schreibe ihn indes an Dich, weil ich denke, dass Dich das in expliziter Weise betreffen könnte. Tein II wird dann das, was ich an Deiner Stelle konkret unternehmen würde. Teil I ist dazu fundamental, weil er u. a. erklärt, wie (falsche) Erwartungen Therapien torpedieren können.
Psychotherapie (und was sie
nicht leisten kann)
Gerade auch in Punkto Depressionen ist das Ganze relevant, weil Depression etwas ist, das nicht fest umrissen ist. Das Krankheitsbild der Depression ist, laut medizinischem Verständnis, ein zwar durchaus ernstes, indes kein fest eingegrenztes. Es gibt eine Latte Leitsymptome, anhand deren Vorhandensein, über einen bestimmten Zeitraum, eine Depression diagnostiziert wird. Alles Andere, was der Patient an frei flottierenden Begleiterscheinungen mitbringt, ist nichts anderes, als die höchsteigene Persönlichkeit des Betreffenden, die in ihrer Gesamtheit durch diese Erkrankung tangiert bis massiv überschattet wird. Oft sind blinde Flecken zu erkennen, Nebenschauplätze, die sich zu der Indexerkrankung als Komorbiditäten hinzu gesellen und manchmal (so wie bei Dir
@Scott78 ) gibt es nicht einmal eine fixe Primärerkrankung. Der Betreffende weiß, spürt, erlebt, dass sein Leben an vielen Stellen nicht funktioniert, oft über Jahre, manchmal Jahrzehnte.
Das Selbstvertrauen leidet. Lebensfreude gerät zum Luxusgut, der Alltag häufig zu einer quälenden Anstrengung, die einem alles abverlangt. Man hat das Gefühl des ständigen Ringens, um den Ansprüchen einer Welt gerecht werden zu können, an der man einerseits so gerne im vollen Umfang teilnehmen möchte, die einem andererseits indes andauernd frustrierende Leistungsgrenzen aufzeigt. Oder man fühlt sich einfach nur leer, ausgebrannt, erschöpft, überfordert, traurig. Alles erscheint sinnlos. Verzweiflung, Resignation, manchmal Zorn oder Tränen; indes - es ist wie es ist. Manchmal kommt noch die Verständnislosigkeit der Umwelt hinzu. (Reiß dich halt mal zusammen.) Durch diesen Zustand, hält er lange genug an, werden weitere Mechanismen der Psyche aktiv, die die Grundproblematik verstärken. Selbstzweifel, Ängste, Suizidgedanken .. die Suche nach einem Ausweg. Es geht wohl oft gar nichts ums Sterben selbst, es soll "nur endlich aufhören".
Die Therapieangebote sind überlaufen. Aktuell mehr denn je. Die Patienten, die häufig sehr lange in Warteposition sind, ihr Menschenmöglichstes tun, um endlich eine Therapie und damit einen möglichen Ausweg aus der Misere zu finden, stehen enorm unter Druck, haben Hoffnungen, Erwartungen, Wünsche. Und jetzt komme ich mal mit einer Wahrheit um die Ecke.
Eine Psychotherapie wird - rein formal - nicht das Geringste ändern.(..und doch alles.)Was meint das? Nun, eine Psychotherapie (explizit auch ohne Medikamente), verändert weder an der Person an sich irgendetwas Greifbares, noch an der Erkrankung. Hier wurde geschrieben, dass Therapie keine Zauberei wäre. Nun ja, ein bisschen ist sie das doch. Nur, dass nicht der Therapeut zaubert, sondern der Patient. Der Therapeut zeigt ihm nur die Richtung. Der wesentlichste Kern einer Psychotherapie besteht nur aus einer einzigen Sache, die indes der alles entscheidende Punkt ist, der alles verändern kann, obwohl sich, rein formal, nicht das Geringste verändert hat - das Zauberwort, das da heißt, Perspektivenwechsel (und Rekontextualisierung). Was sich hier so locker liest, ist in Wahrheit ein Kraftakt, der die Demontage der bisherigen Lebenserfahrungen beinhaltet, aber nicht nur das, man muss sie genau betrachten und unter neuen Prämissen bewerten.
Einer der Standardsprüche in dem Kontext, "das halb leere, gegen das halbvolle Glas austauschen". Es geht im Wesentlichen darum, zu erkennen und be-greifen zu können, dass der eigene Ist-Zustand ein Logischer ist. Dass daran prinzipiell nichts "verkehrt" ist, sondern, im Gegenteil, das eigene, das perfekte innere System, seine Arbeit getan hat. Und es hat sie gut getan. Die Erkenntnis, dass die eigene Erkrankung eine (logische) RE-Aktion ist, die Schlimmeres verhindert hat. Die innere Logik, die von außen womöglich nicht erkennbar, in sich selber dennoch stimmig ist. Dieses innere Erkennen, dass man keineswegs minderwertig, unfähig, ausgeliefert und / oder unliebsam ist, sondern, im Gegenteil, eine Herkulesleistung vollbrachte, die bereits alleine darin besteht, es bis an diesem Punkt geschafft zu haben ohne rettungslos unter zu gehen. Die Rückeroberung (oder überhaut erst einmal Erkenntnis) der eigenen Wertschätzung, Selbstsicherheit bis hin zur Freundschaft mit sich selbst und dem eigenen "so Sein".
Das erst setzt die auch spürbaren Veränderungen in Gang, weil man aufhören kann, ständig mit sich selbst zu ringen. Der Kampf gegen die eigene innere Befindlichkeit, die als inakzeptabel und dadurch unaushaltbar erlebt wurde, wird aufgegeben und setzt damit Kräfte frei, die, im Optimalfall, zu einer inneren Ermächtigung beitragen, sich erst einmal "so" annehmen zu können. Und das, diese innere Ruhe, dieses "in sich Stehen, Akzeptieren und Betrachten" macht die Fäden deutlich, an denen man selbst, gleich einer Marionette hängt und die einen bisher schier zu zerreißen drohten, in Unzufriedenheit, Verzweiflung, Überforderung .. und all den Unbill, die den Alltag überschatten.
(Hier der Bogen
@Scott78 )
Die Akzeptanz des Ist-Zustandes. Das unbedingte innere Wissen, dass das nicht das Ende sein muss, aber, wenn es das wäre, dann könnte man lernen damit zu leben lernen und wäre trotzdem ein vollwertiger Mensch. Die inneren Verspannungen, bisher ausgelöst durch das ständige Opportunieren, gegen das eigene, innere Empfinden, sie geben nach und das, was so schrecklich schien, verwandelt sich ein inneres Feld, auf dem man sich bewegen und sich beobachten kann. Man lernt, zu mögen, was man vorfindet in sich. Sieht es nicht mehr als dysfunktional und feindlich, sondern als Grund, auf dem man festen Stand findet und aufbauen kann. Ein Ort im Innen, das eigene, tiefe Zuhause, das, vielleicht noch etwas karg und leer, darauf wartet, dass man es wagt, sich dort einzurichten.
Fragen reformieren sich:
Was wird von mir erwartet? > Was wünsche ich mir für mich?
Wie kann ich allen Ansprüchen gerecht werden? > Welchen Ansprüchen will ich (überhaupt) gerecht werden?
Warum funktioniere ich nur nicht? > Was kann ich jetzt für mich tun?
Warum bin ich so traurig? > Was könnte mich trösten?
Warum bin ich so leer? > Wann fühle ich mich denn nicht leer?
Eine Psychotherapie verändert - rein formal und äußerlich sichtbar - erst einmal rein gar nichts. Aber im Inneren wächst der Mensch heran, der dort tatsächlich Zuhause ist in sich. Und der kann ganz anders sein als der, den man selbst zuvor von sich erwartet hat. Und dieser Mensch, der wird sich selbstsicher vertreten können, denn er weiß, wie hart der Weg war, bis er endlich ist, wer er ist. Dieser Mensch schätzt sich wert, egal was irgendwer ihm dazu spiegelt. Dieser Mensch ist sich seiner selbst sicher und deshalb ist er kern|gesund.
Ergo: Psychotherapie ist nicht ein "wieder Hinbiegen", sie ist das Gegenteil davon. Sie ist das Entdecken des eigenen Selbst, der eigenen Stärken und auch Schwächen + deren wohlwollende Annahme), sie ist ein Weg, hin zu der Erkenntnis, dass tief in einem Selbst, alles so ist wie es sein soll.
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Für Dich
@Scott78 bedeutet das, selbst wenn Dein Zustand der Leere hirnorganische Ursachen haben sollte und (eventuell) unveränderbar wäre, könntest Du mehr Zufriedenheit für Dich erreichen und Deinen Fokus verändern. Weg von der Leere, hin zu.. das würde sich zeigen.
LG Mina