brigittsche schrieb:Hinzu kommt ja auch noch die ganz andere Medienstruktur damals. Da wird die Lokalzeitung drüber berichtet haben und evtl. auch mal ein überregionales Blatt. Aber das war es dann auch schon.
Es hat sich auch seit der Tatzeit eine ganz andere Betroffenheitskultur entwickelt, was ich gar nicht abwertend meine.
In der damaligen Zeit lebte noch eine wesentlich größere Zahl von Menschen, die Krieg, Bombenangriffe, Flucht, Vertreibung, Kriegsverbrechen und ähnliche schlimme Dinge erlebt hatten - man hatte auf die ganz harte Tour gelernt, sein Mitgefühl auf das nähere Umfeld zu konzentrieren, und diese Haltung hatte gewissermaßen eine ganze Generation geprägt.
Auch von jungen Menschen wurde vieles ferngehalten, mit gesenkter Stimme von einem Unfall oder Verbrechen in der Umgebung beim Abendbrot geraunt, so dass Kinder schon wussten, dass Nachfragen unerwünscht waren. Für heute junge Menschen wirkt das zurecht befremdlich, aber so prägte die Kriegsgeneration noch lang die Stimmung und die Verhaltensweisen im Land.
Keinesfalls wäre man 1979 auf die Idee gekommen, für ein Opfer, das man nicht persönlich kannte, irgendwo eine spontane Gedenkstätte mit Kerzen und Stofftieren einzurichten, und Notfallseelsorger im heutigen Sinn gab es nicht einmal für Angehörige, geschweige denn für Unbeteiligte.
Eine gewisse emotionale Härte gegen sich und seine Kinder war ein trauriges, aber verbreitetes Überbleibsel der 40er Jahre, das noch andauerte.
Insofern glaube ich, dass der Mord damals keinen Ort oder keine Region im gleichen Maße erschüttert hat, oder zu bleibender Anteilnahme durch Dritte geführt hat, wie das heute der Fall wäre.
Im gleichen Maße, wie heute der Mitmensch vielen egal ist, sorgt die True-Crime-Welle paradoxerweise für eine teils übergriffige Zuwendung zu Menschen, die sich dagegen nicht mehr wehren können. Unabhängig davon ist es wichtig, dass auch alte Verbrechen aufgeklärt werden.
Unbeteiligte aus jener Zeit werden aber dazu nur sehr begrenzt beitragen können. Viele werden damals davon erfahren, und es danach mit einem Seufzen abgehakt haben. Man hatte früher weniger Illusionen darüber, wie die Welt aussieht.
Es "musste ja weitergehen". So dachte man damals noch vielfach.