@talida Tut mir leid, das ich da ausführlicher drauf eingehe
talida schrieb:Am Ende ist es doch nur Auslegungssache, jeder § kann durch einen anderen § widerlegt werden, denn wenn jedes Gesetz so eindeutig wäre wie es den Anschein macht, dann wären alle Anwälte arme Leute.
Das ist wirklich ein Irrtum und ein viel verbreitetes Vorurteil.
Wäre das so, gäbe es überhaupt keine Rechtssicherheit. Gestritten wird gerade um Details, weil beiden Seiten klar ist: Je nach Bewertung dieses Details rollt der grosse Rest fast automatisch ab. Möglicherweise wird dieser Prozess (zB. bei der Besprechung der Mordmerkmale) das auch ganz konkret zeigen können.
talida schrieb:Aber dass in einem Falle eines Doppelmordes oder anderen Kapitalverbrechens eine Verurteilung auf Grund eines Formfehlers unmöglich gemacht wird ..... nein, damit komme ich nicht klar
Verständlich, und in diesem Fall bisher absolute science-fiction.
Aber: Es gibt Regeln, die
kennen die Polizei und die StA sehr gut, und an die haben sie sich zu halten. Daran ist erst mal nichts unvernünftig, man kann das Strafprozessrecht nicht jedesmal improvisieren oder neuerfinden. Die wissen genau welche Folgen es hat diese Regeln zu brechen. Das wissen die vollkommen unabhängig vom konkreten Fall, das haben sie gelernt, danach richten sie sich im ganzen Berufsleben.
Halten sie sich nicht dran gefährden sie die Ergebnisse ihrer Arbeit.
Es gibt also keinen Grund diese Regeln zu brechen (beim Verhör der HS sehe ich auch kein Anzeichen dafür). Diese Regeln sind sehr wichtig, denn sie bedeuten im Einzelfall für einen Menschen den Verlust der Freiheit. Daher ist es
ganz unabhängig vom einzelnen Fall für das Strafverfahren an sich so wichtig, dass eine Verteidigung die Argumente der Gegenseite einer genauen "Qualitätsprüfung" unterzieht.
Das ist weder unfair noch kommt es für die Beteiligten überraschend.
Das
muss die Arbeit der StA aushalten können. Warum denn auch nicht?
Genauso wie Fragen nach der Verhältnismässigkeit von Massnahmen wie zB. das hier erwähnte, noch unbestätigte monatelange Abhören der Privatwohnung - das sind Fragen die auch Dich betreffen können, wenn mal Dein Erbonkel ermordet wird und Du abends mit Deinem Mann alleine zuhause bist. Das muss auf den Prüfstand, denn geht hier etwas an Freiheit verloren, gewöhnt sich der Staat hier etwas an dann ist es erfahrungsgemäss kaum mehr zurück zu holen. Je stärker der Eingriff des Staates in unsere Privatsphäre umso genauer muss man ihm auf die Finger schauen. Muss!
Das auch zu:
talida schrieb:Nachdem hier schon verbissen nach Formfehlern bei dem Verhör gesucht wird, krieg ich schon die Krise. Wie in einem Game .. "such den Fehler".
In der Rechtswissenschaft ist es in diesem Sinne wie in jeder anderen Wissenschaft: Nicht nur was
für meine These spricht ist wichtig, sondern auch was dagegen spricht. Denn erst in der kritischen Würdigung und dem Bewähren am Gegenargument kann sich zeigen wie sehr die eigene Theorie die Wirklichkeit beschreibt, egal wie sehr man selbst von ihr überzeugt ist.
Gilt für Physiker wie für Juristen.
Gefühle und Ahnungen und darauf bauende Überzeugungen sind da Gift und führen eher zu Glückstreffern als
zu den Ergebnissen systematischen Arbeitens. Im übrigen:
Wäre es tatsächlich so, dass man dieses Verhör der HS nicht verwenden dürfte platzt deswegen doch nicht der Prozess!
Es fielen "lediglich" ihre Aussagen, Widersprüche etc. weg.
Die Vorwürfe aber bleiben, die Indizien und Aussagen mit der L. sie konfrontiert hat bleiben.
Kann das nachgewiesen werden, dem Gericht nachvollziehbar gemacht ist das wichtiger als was die Angeklagte dazu sagt. Ob dem Gericht dann keine, eine widersprüchliche oder eine nicht verwertbare Aussage der Angeklagten zur Verfügung steht ist sekundär. Die Angeklagte steht nicht wegen Lügen vor Gericht oder schlechter Schauspielkunst. Ihr wird vorgeworfen
zu einem konkreten Zeitpunkt an einem konkreten Ort ganz bestimmte Handlungen begangen zu haben.
Sprechen die Indizien usw. dafür, kommt der Richer zu dem entsprechenden Schluss (und solche Dinge wie unglaubhafte Aussagen nehmen dann in dem Urteil wirklich nicht den grössten Raum ein).
Aber dass ein Formfehler (wie hier zB. eine Nichtverwertbarkeit der Aussage)
automatisch den ganzen Prozess platzen lässt und die HS frei käme, ganz egal was sonst gegen sie spricht, ist eine falsche Annahme. Es würde der Verteigung vielleicht helfen, aber alleine damit ist nichts gewonnen.
talida schrieb:Ich denke hier etwas anders .. es gab da nämlich mal 2 ältere Leutchen die einfach nur in ihrem eigenen Haus in dem sie sich sicher fühlten ins Bett gingen...
Das ist doch selbstverständlich, ohne Opfer gäbe es gar keinen Prozess.
Bei jedem Verbrechen gibt es Opfer, und jedes Mordopfer ist zu bedauern. Um jedes Opfer weint jemand, sei es Kind oder Rentner. Hier tritt das einem etwas klarer zu Tage, weil man sich intensiver damit beschäftigt. Aber wenn der Tag heute zu Ende geht haben sind in Deutschland ein, zwei Leute ermordet worden. Da werden Polizisten Familien informieren usw.
Das selbe Leid. Wir wissen nichts davon, sehen es nicht. Es ist trotzdem da.
Es ist kein Argument in der Sache, sondern der
Grund in der Sache zu argumentieren.
Denn alleine die Aufregung über eine Tat weist keinem Täter irgendetwas nach.
Die Emotion ist für die beteiligten Juristen kein guter Ratgeber,
so wie für einen Arzt es auch keine gute Idee ist sich bei einer Herz-OP an einem Kind daran zu denken, dass im Gang die verängstigten Eltern warten und wie schlimm die gerade dran sind. Wenn die Leute da nicht kühl, sachlich, unemotional und mit nüchterner Distanz herangehen ist die Wahrscheinlichkeit grösser Fehler zu begehen.
Es geht nur nüchtern, distanziert und sachlich in diesem Rahmen. Anders geht es nicht. Man hat es über Jahrhunderte anders versucht und sind nicht ohne Grund in diesem Formalismus gelandet.
Und dann ist schliesslich noch ein Richer da, der für sich entscheidet wie er Aussagen, Indizien usw. bewertet. Ist ein Richter von der Schuld überzeugt, dann findet er immer einen Weg.
Ich kann mich gerade an ein Verfahren erinnern (RAF, Mordanschlag usw. vor fast 30 Jahren), da hatte die Anklage so gut wie nichts. Hauptbelastungszeugin an Altersschwäche vor Prozessbeginn verstorben, die vorhandene Aussage war widersprüchlich. Der Lebensgefährte der Angekl. war wohl Mitglied der RAF, sie wohl auch. Man fand Zeitungsausschnitte von der Tat.
Keiner, der im Gerichtssaal war zweifelte an ihrer Schuld, nicht mal ihre Unterstützer (die fanden die Tat sogar gut). Aber keiner (ausser den Bundesanwälten und dann dem Gericht) hätte sagen können "deswegen muss sie es gewesen sein".
Ergebnis Schuldspruch als Mittäterin, Mord, etliche Mordversuche, §129a usw. usf. Ist natürlich längst wieder frei - ihre Opfer sind immer noch tot.
Es gibt immer etwas was dem Gerechtigkeitsempfinden widerspricht...