Mordfälle Anja Aichele und Sibylle G., Stuttgart 1983 / 1987
05.06.2019 um 01:16
Oh je, soviel Information und Input...
Ich bin, obwohl aus dem Westen der Republik kommend,vor einiger Zeit eher zufällig auf den PDF-Artikel der „Stuttgarter Zeitung“ über „unaufgeklärte Fälle „verlinkt worden .
Da mich gerade die Schicksale der Sibylle und Anja berührt haben,hatte ich versucht,noch an weitere Informationen zu gelangen und bin letztenendes jetzt hier angekommen.
Vielleicht hat mein Interesse geweckt,daß wir altermässig gar nicht weit auseinander waren (Sibylle), die 80er in meiner Erinnerung durchaus noch gut präsent sind oder vielleicht,weil ich mich sogar noch dunkel an den „xy-Filmfall“ von 1988 zu „Muckensturm“ erinnern kann.
Nach Studium von ca. 2/3 dieses Threads würde ich gerne das Ein oder Andere loswerden:
Mein erster Gedanke, nachdem ich die Artikel zu beiden Fällen gelesen hatte, war: „ Die gehören ja sowas von zusammen....!“ und war erstaunt,daß die Ermittler das wohl auch mal in Betracht gezogen ,aber dann offenbar ziemlich schnell wieder verworfen hatten.
Aber wie hier im Forum bereits schon mal jemand bemerkt hatte: „ ...in diesen beiden (offensichtlich gutbürgerlichen) Teilen der Stadt passiert gefühlt vom Kriegsende bis in die 80er gar nichts, dann zwei Morde an praktisch identischen Zielpersonen innerhalb von vier Jahren nur ein paar Hundert Meter voneinander entfernt und und dann 25 Jahre wieder gar nichts ?“
Dieser Gedankengang scheint mir durchaus berechtigt-die erste Assoziation zu einem möglichen Zusammenhang war für mich neben der räumlichen Nähe die Schiene zur ev. Kirche (hier die Pfarrerstochter,dort der Konfirmanden-Club, auch das penible „Begraben“ im zweiten Fall,offensichtlich ganz in der Nähe des Elternhauses,könnte m.E. neben der Vertuschung auch einen religiös-rituellen Aspekt haben.
Da offenbar in beiden Fällen weder ein versuchter Raub noch ein sexuelles Motiv primär erkennbar ist,könnte diese scheinbare „Motivlosigkeit“ sogar als weiterer Zusammenhang gewertet werden.
Ich bin weder schlauer als die Polizei noch Psychologe und doch kann ich mir in beiden Fällen „Wut über eine Zurückweisung“ als mögliches Motiv vorstellen. Einem der laut Presse grausamsten Frauenmorde in der Geschichte NRW´s (Hagen,Januar 1979,“Bruni“) lag nämlich eben genau dieses Motiv zugrunde...
Vieles am Fall Anja erscheint mir seltsam und ich frage mich,ob das mögliche Täterprofil vielleicht nicht sogar kontraproduktiv war und die Ermittlungen in die entgegengesetzte Richtung gelenkt hat?
„Positiv besetzt“, „30-40 Jahre alt“,“ mit guten Ortskenntnissen in Siedlung bzw. Weinberg“...
Wenn ich richtig mitgelesen habe,ist Anja in der Woche ihres Todes gerade 17 geworden – ich frage mich,wieviele 30-40jährige Männer für ein gerade 17jähriges Mädchen „positiv besetzt“ sind?
Da fällt mir die Familie ein (Vater,Onkel,in ganz seltenen Fällen ältere Cousins), Lehrer,vielleicht der nette unmittelbare Nachbar,der die Familie jeden Sommer zum Grillen einlädt,Väter von Freundinnen und vielleicht Pastoren oder Leiter von kirchlichen Jugendgruppen,denn in den Achtzigern assozierte man mit „Kirche“ noch nicht mit negativen Dingen wie z.B. Mißbrauch“...
Wieviele Personen umschliesst dieser Kreis, 20, vielleicht 30? Dann noch die weitere Eingrenzung durch „Ortskenntnisse“ - hätte eigentlich eine Steilvorlage für die Ermittlungen sein können,war´s aber offenbar nicht,wie die DNA-Testungen Jahre später beweisen sollten..
Vielleicht wäre es tatsächlich sinnvoller gewesen, nach jemand „extrem negativ Besetztem“ Ausschau zu halten?
Nach dem Studium der zahlreichen Beiträge kämen für mich drei mögliche Szenarien in Betracht:
1.) Das Szenarium vom „negativ besetztem Täter“, wurde ja hier auch bereits diskutiert: Anja sieht beim Einfahren der langsam einfahrenden ersten Bahn (oder vielleicht schon an der Haltestelle) ein oder mehrere Personen,mit denen sie auf keinen Fall zusammen in der Bahn sitzen möchte. Vielleicht ein älterer Herr aus der Nachbarschaft,der sie immer so komisch anguckt,vielleicht Rabauken,von denen ihr bekannt ist, daß sie Personen,insbesondere Frauen,in öffentlichen Verkehrsmitteln schon einmal belästigt haben. Sie lässt die Bahn sausen,die Fahrt in der Folgebahn verläuft ruhig und unauffällig,deshalb fällt niemandem was auf. An der Bushaltestelle angekommen sieht sie diese Rabauken wieder ,da der betreffende Bus,wie ja bereits jemand herausgefunden hatte,nicht im „Muckensturm“ endet,sondern in den Folgestationen durchaus auch soziale Brennpunkte anfährt. Es gibt noch keine Handys und damit entfällt die Möglichkeit,mal schnell den Papa anzurufen ,der in zwei Minuten da wäre und sie abholt,so wie´s meine Kinder heutzutage mit Sicherheit tun würden. Sie entschliesst sich zum Gang durch den Weinberg,weil sie nicht glaubt,verfolgt zu werden,wenn sie einen Bogen um die Person oder die Truppe macht... Diese Theorie würde übrigens erklären,warum die DNA-Massentestung von Ziegelei-bzw. Siedlungsbewohnern erfolglos war. Möglicherweise wäre eine Auswertung in nur wenig erweitertem Radius zielführender gewesen.
2.) zweites Szenarium: sie hat tatsächlich neben dem Besuch der Konfirmanden-Gruppe noch ein kurzes Treffen mit ihrem vermeintlichen Schwarm eingefädelt,oder irgendwie eine Info erhalten,wo an diesem Freitagabend eine Möglichkeit bestünde,ihn zu sehen ,vielleicht durch ein Briefchen,über das sie schon den ganzen Tag sinniert hatte.Dafür könnte der relativ spontane Aufbruch von zu Hause sprechen.Diese Person war in der Tat in irgendeiner Art und Weise motorisiert,so daß niemand der anderen Fahrgäste der Bahn Anjas Anwesenheit bestätigen kann. Sie möchte aber nicht von Eltern oder Nachbarn gesehen werden,vielleicht weil diese Person tatsächlich deutlich älter ist und bittet,schon „unten an der Treppe“ rausgelassen zu werden und „vielleicht noch die paar Minuten zu Fuß“ hoch begleitet zu werden. Der Mann interpretiert die Aufforderung zum „Mondscheinspaziergang“ allerdings völlig anders und ein zu aufdringlicher Annäherungsversuch eskaliert....
3.) Drittes Szenarium ,und das wäre für mich die Tragischste aller Varienten. Anja fühlt sich durch das stattgefundene kurze Rendez-Vous vor der Haltestelle oder Tanzschule,wo auch immer, so beschwingt,daß sie die normal geltenden Vorsichtsregeln außer Acht lässt ! Wer frisch verliebt ist,fühlt sich stark und unangreifbar! Sie merkt,daß ihr die Zeit etwas davon gelaufen ist (wenn sie wirklich um 21:30 zu Hause sein wollte) und trifft auf dem dunklen Weg hoch zur Siedlung zufällig auf einen oder mehrere herumlungernde Typen,die die Gelegenheit nutzen wollen,aber nicht mit Widerstand gerechnet haben.
Und zum Abschluß kurz einige Gedanken zum „Hallo-Sager“ von der Haltestelle (und warum er möglicherweise nie gefunden wurde): ich fahre selbst täglich Bahn. Wenn ich mir vorstelle, auszusteigen und auf der andere Seite der Tür eine junge Frau ,bereit zum Einstieg,steht,kann es mehrere Gründe haben,warum sie mir auffällt: vielleicht weil sie hübsch ist,aber vielleicht auch,weil sie ungewöhnlich gekleidet ist. „ Hell-beige“-Farben (wie Mantel und Hose beschrieben wurden) passen möglicherweise eher in den Sommer als zu einem stürmischen Abend im März!
Der Zeuge (so wird es bei xy dargestellt) verlässt die Bahn,nimmt Anja wahr und hört im weitergehen,wie jemand „Hallo“ sagt. Da sich das aber freundlich und keinesfalls bedrohlich anhört,dreht er sich nicht mehr zum Sprecher um und geht weiter, hat 30 Sekunden später die Angelegenheit wieder vergessen. Als er in den nächsten Tagen hört,daß genau die junge Frau ,die er sah, einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist,geht er zur Polizei,die ihn natürlich direkt fragt,was ihm alles aufgefallen ist,jede Kleinigkeit zählt. Er denkt nach und erwähnt,ein „Hallo“ gehört zu haben! ----- Möglicherweise stand dieses „Hallo“ aber nie im Zusammenhang mit Anja! Möglicherweise hatte ein anderer Wartender jemand Aussteigenden wiedererkannt und diesen freundlich begrüßt. Da aber der Aufruf der Polizei demjenigen galt,der vermeintlich Anja kontaktiert haben soll (und den es gar nicht gibt!), fühlte sich niemand der Fahrgäste oder Wartenden der ersten Bahn angesprochen...
Da ist viel Spekulation dabei und wie gesagt,ich maße mir keineswegs an, daß irgendeine meiner Thesen der Wahrheit nahe kommt. Trotzdem erscheinen mir alle drei möglichen Varianten nicht so ganz unplausibel...