@WillyWilly schrieb:Du hast offensichtlich alle 20 Mietparteien und Anwohnewr befragt ob dich jemand gesehen hat.
Natürlich habe ich das getan, wie sonst könnte ich mir sicher sein? Bezeichnenderweise sehe ich von meine Nachbarn aber auch nur sehr selten einen die Wohnung/das Haus verlassen oder betreten. Ich hatte gestern abend auch in meinem Bekanntenkreis (die allesamt in unterschiedlichsten Wohnsituationen leben) eine Umfrage gestartet, ob sie ihre Nachbarn gestern beim Betreten oder Verlassen ihres Hauses/der Wohnung beobachtet haben. Das Ergebnis: von 23 Befragten konnte das nur ein einziger bejahen für einen (!) seiner vielen Nachbarn.
Das ist auch nur natürlich und logisch: Zwar ist die Chance einen Zeugen zu haben, relativ hoch, wenn es viele Nachbarn gibt. Dennoch bedarf es bei einem kurzen Ereignis wie Betreten/Verlassen eines Hauses auch einer erheblichen Portion Zufall, dass ein Nachbar zu Hause ist (viele Leute arbeiten tagsüber) und im richtigen Moment aus dem Fenster schaut oder selber sein Haus/Wohnung verlässt, um dieses kurze Ereignis beobachten zu können. Es ist ja nicht so, dass die Menschen alle zu Hause an ihren Fenstern hocken und die Nachbarn beobachten. Und die Tatsache, dass sie nicht gesehen wurde, heißt ja nicht, dass sie "aktiv" nicht gesehen wurde, weil ein Zeuge ihre Wohnungstür andauernd im Auge behielt, sondern dass eben niemand zum fraglichen Zeitpunkt hinausgeschaut hat.
Fazit: Aus der Abwesenheit von Zeugen darauf zu schließen, dass Nelli nicht nach Hause gekommen ist, wenn andere Indizien klar darauf hinweisen, hier nämlich der Mantel in der Garderobe, Handtasche, Handy, Schlüssel usw., dass sie das doch tat, ist wenig plausibel.
Willy schrieb:Nun behauptest Du sie trug nach dem sie den Mantel auszog andere Kleidung ?
Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Mir ging es ausschließlich um den Wechsel von Mantel zu blauer Sportjacke. Der Mantel hing in der Wohnung aufgeräumt im Kleiderschrank. Sie hatte stattdessen aber eine blaue Sportjacke an, die keiner der Familienmitglieder als regelmäßig verwendetes Kleidungsstück in Erinnerung hatte.
Dass sie den Mantel auf ihrem Weg zum Frauenarzt trug ist völlig unstreitig nachgewiesen, weil es von ihr ein Foto in diesem Mantel von einer Überwachungskamera gibt. Da das Foto nach 9.00 Uhr entstand und sie bereits um 9.30 Uhr ihren Termin bei Frauenarzt hatte, hatte sie da auch keine Möglichkeit mehr, in der Zwischenzeit nach Hause zu gehen und den Mantel zu wechseln.
Folglich geschah der Kleidungswechsel später - und zwar frühestens nach dem Verlassen der Apotheke und dem Telefongespräch um 11.07 Uhr. Nach den gegebenen Umständen ist es am naheliegendsten, dass sie nach Hause gegangen ist - dort dürfte sie dann um ca. 11.30 Uhr angekommen sein - und dort sich umgezogen hat und eventuell noch andere Dinge erledigt. Das passt gut zur Sichtung um 12.00 Uhr auf dem Fahrrad in der Pestalozzistr.
Eine Entführung auf dem Nachhauseweg ist hingegen hochgradig unwahrscheinlich, allein schon wegen des Zeugenrisikos, aber eben auch, weil es bedeuten würde, dass der Täter noch mit ihr Nachhause fährt, ihr irgendwie den Mantel ausziehen muss (dazu müssten zumindest vorübergehend etwaige Handfesseln wieder gelöst werden) und dann die andere Jacke überziehen. Letztere muss erstmal gefunden werden und auch der Mantel will sorgfältig im Kleiderschrank verstaut sein. Und dann wird auch noch das Fahrrad in den Kofferraum verladen, die Handtasche aber wohl dann auch bewusst zurückgelassen. Alldieweil das Auto vor dem Hause parkt für einen nicht unerheblichen Zeitraum. Dieses Szenario lässt sich darüber hinaus nur schwerlich mit einer der beiden Zeugenaussagen vereinbaren. Die 12.00 Uhr-Sichtung passt ganz offensichtlich nicht, und die 11.30 Uhr-Sichtung ist zeitlich jedenfalls sehr knapp und ließe sich wenn überhaupt nur mit mindestens zwei Tätern realisieren.
Auch das Entführungsszenario aus dem Haus weist deutliche Schwächen auf. Nicht nur der Mangel jeglicher Hinweise auch auf eine Entführung (siehe unten), sondern auch die Tatsache, dass das ein viel größeres Zeugenrisiko darstellt (auch wenn sich dieses letztlich nicht realisiert hätte) und schließlich die in diesem Fall unmögliche Sichtung um 11.30 Uhr (da wäre sie vermutlich gerade erst nach Hause gekommen).
Kurzum, eine Entführung aus dem Haus oder auf dem Nachhauseweg ist nach allen bekannten Tatsachen unplausibel.
Willy schrieb:Warum sollte die Zeugin Glaubwürdig sein ?Sie hat eine Frau mit einer bl.Jacke gesehen .Nachdem 3 Versionen durch die Presse verbreitet wurden hätte ja die Zeugin eingehender befragt werden können welche der Jacken sie gesehen haben will.Dann hätte man bei Erkennung eine Tatsache geschaffen so aber nicht.
Hier nochmal Aussages von Östermann dazu, wie sie in der Presse wiedergegeben wurden:
Östermann: »Wir halten diese Zeugin für sehr glaubwürdig, weil sie Nelli Graf persönlich kannte und sich an die von ihr getragene Sportjacke mit Aufdruck vom SC Halle erinnern konnte. Auch ihre Einschätzung der Tageszeit erscheint aufgrund anderer Fakten sicher.«
Unabhängig davon erklärt der Kriminalhauptkommissar noch einmal, wieso die jüngste Zeugin, die Nelli Graf am 14. Oktober um kurz nach 12 Uhr auf dem Fahrrad in Richtung Pestalozzistraße gesehen haben will, als überaus glaubwürdig eingestuft wird.
"Die Zeugin hat jeden Freitag denselben Tagesablauf und kann sich aus diesem Grund genau erinnern, dass Nelli Graf den Künsebecker Weg mit dem Rad in Richtung Alleestraße fuhr, um dann aber vorher nach links in die Pestalozzistraße abzubiegen." Offensichtlich kam sie also von zu Hause und nicht etwa aus der Stadt oder vom Einkaufen.
Darüber hinaus werden Polizisten (und auch Juristen) in sogenannter Zeugen- und Vernehmungspsychologie geschult. Dies ermöglicht es, die Glaubwürdigkeit von Zeugen besser einzustufen als einem Laien, allein aufgrund von dessen Verhalten und konkreten Formulierungen während der Vernehmung.
@shirleyholmesshirleyholmes schrieb:Ich tippe mir die Finger wund und zitiere die Kripo, die keine Spuren für einen MORD im Haus gefunden haben. Eine Entführung aus dem Haus heraus, evtl. sogar aus der Garage heraus, kann nach einigen Tagen überhaupt nicht mehr festgestellt werden.
Ich wiederhole das gern nochmal. Zunächst darf ich Herrn Östermann zitieren:
Nein, es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass es im Haus der Familie Graf zu einer Auseinandersetzung oder einem Geschehen gekommen ist, das im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Frau Graf zu sehen ist. Wir haben weder Spuren gefunden, noch sonst irgendwelche Indizien oder Hinweise.
Nochmal im Überblick:
- überhaupt keine Anhaltspunkte (nicht nur "keine", sondern "überhaupt keine")
- oder einem Geschehen (ganz allgemein und im Gegensatz zur Auseinandersetzung, also auch ein Treffen mit sonst einer Person ober überhaupt sonst ein Ereignis irgendwelcher Art, was in Zusammenhang mit dem Verschwinden stehen könnte)
- weder Spuren
- noch sonst irgendwelche Indizien oder Hinweise (nicht nur "sonst" sondern "sonst irgendwelche")
- außerdem Spuren, Indizien und Hinweise, was nun wirklich jeden Bereich denkbarer Ansätze erfasst
Im Klartext: Die Polizei hat nun wirklich rein gar nichts gefunden, was auch nur annähernd einen Hinweis auf eine Entführung von Zuhause gibt. Und das ist auch absolut logisch, denn das Fahrrad dann noch mitzuentführen, ergibt wirklich überhaupt keinen Sinn. Zumal in einem bewohnten Stadtgebiet man ja auch doch ein erhebliches Zeugenrisiko hätte. Dazu kommt der Jackenwechsel und die zurückgelassene Handtasche.