Verschwundenes Mädchen
Der Fall Peggy und die Leiche im Wald
Helmut Reister, 09.01.2014 16:16 Uhr
War die Kripo ganz nahe an der Aufklärung des Schicksals von Peggy dran war, ohne es zu merken? - In den Unterlagen der Ermittler, die nun in der Kritik stehen, findet sich ein seltsamer Vorgang.
Bayreuth - War es Mord, eine Entführung, vielleicht auch nur ein Unfall? Die Staatsanwaltschaft Bayreuth, die bei der Suche nach der spurlos verschwundenen Peggy (9) aus Lichtenberg sogar ein Grab öffnen ließ (AZ berichtete), stellt den Fall noch einmal komplett auf den Kopf. Zu viele Fehler wurden bei den ursprünglichen Ermittlungen gemacht, zu vielen Spuren nicht nachgegangen.
Ob das Mädchen tot ist oder noch lebt, weiß deshalb keiner. Michael Euler, Rechtsanwalt des geistig behinderten Ulvi K. (36), der in einem fragwürdigen Indizienprozess vom Landgericht Hof zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hat die Wiederaufnahme des Verfahrens durchgesetzt. Rund 2000 Seiten umfasst die Akte.
Darin listet Euler eine Vielzahl von Widersprüchen und Ungereimtheiten bei den damaligen Ermittlungen auf: „Vielen Spuren wurde nicht oder nur halbherzig nachgegangen.“ Auch Herbert Potzel, Chef der Bayreuther Staatsanwaltschaft, kann nicht ausschließen, dass das Mädchen noch lebt, muss sich bei der Einschätzung des Falls aber kriminalistischen Erfahrungswerten beugen. „Höher“, sagte er, „ist die Wahrscheinlichkeit, dass Peggy einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.“
In den Ermittlungsakten ist ein Vorgang zu finden, der einerseits die Behäbigkeit der Soko belegt, andererseits aber auch, dass die Kripo möglicherweise ganz nahe an der Aufklärung des Schicksals von Peggy dran war, ohne es zu merken.
Es ist der 10. Mai 2001, etwa 18.20 Uhr, drei Tage nach dem Verschwinden Peggys: In der kleinen Gemeinde Oberweißenbach macht Heinrich Müller (59, Name geändert) bei einem seiner Waldspaziergänge eine unheimliche Entdeckung. Der Polizei, die er unmittelbar danach telefonisch informiert, gibt er zu Protokoll: „Ich entdeckte etwa fünf Meter links von diesem Waldweg jemanden liegen. Neben dieser Person lagen Kleidungsstücke. Es war ein Mädchen. Ich konnte ein puppenhaftes Gesicht erkennen. Es lag regungslos auf dem Rücken. Ich war zuerst total fertig, schließlich dachte ich sofort an das verschwundene Mädchen aus Lichtenberg.“
Später präzisierte er diese Aussage noch und war sich sicher, dass es sich um Peggy gehandelt habe: „Ich sah direkt in ihr Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen.“ Ihm seien aber weder Blut noch Verletzungen aufgefallen. Als Müller knapp eine Stunde später Polizeibeamte zu der fraglichen Stelle in den Wald führte, war das Mädchen, das er gesehen hatte, weg.
Für die Polizei war der Fall damit zunächst erledigt. Etwa ein Jahr später beschäftigte sich die Kripo erneut mit der Beobachtung. Müller, der hartnäckig auf seiner Darstellung beharrte und auch nicht den Eindruck hinterließ, sich wichtig zu machen, wurde erneut eingehend befragt und sagte auch unter Hypnose aus. Gutachter stuften ihn als absolut glaubwürdig ein. „Aus der Begutachtung geht eindeutig hervor, dass die Beobachtung real war und nicht von ihm erfunden worden sein konnte“, hält Rechtsanwalt Euler fest.
Doch was könnte mit dem leblosen Mädchen in der einen Stunde geschehen sein? Euler mutmaßt: „Vielleicht kam der Spaziergänger gerade dazu, als der oder die Täter das Mädchen im Wald verscharren wollten und nahmen es aus Angst vor einer Entdeckung wieder mit.“
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.verschwundenes-maedchen-der-fall-peggy-und-die-leiche-im-wald.dfe782bc-9222-4250-8306-a2895f85514d.html (Archiv-Version vom 12.01.2014)