Nach langer Zeit melde ich mich kurz mal wieder. Ich habe die Abstinenz genutzt und fleissig gelesen und zusammengetragen, was der breiten Öffentlichkeit an Informationen über den Fall verfügbar ist.
Hier hat sich ja nicht viel geändert.
Aber der Reihe nach:
@ProtectmeProtectme schrieb:Das Zeitfenster wurde ja nun schon mehrfach geprüft, wie lang es von Naila nach Lichtenberg dauert und es wurde mehrmals " bewiesen", dass die Angaben nicht stimmen können, was die Fahrtdauer angeht.
Das ist schlicht falsch. Die Fahrtdauer hat kein Mensch je angezweifelt. Nur die Startzeit in Naila und die daraus resultierende Ankunftszeit in Lichtenberg.
Da gibt es also 2 Meinungen und nur 1 Wahrheit.
In der Berichterstattung zum ersten Prozess aus dem Oktober 2003 ist zu finden, dass die Tachoscheibe schon damals Beweismittel war und dass sie belegte, dass der Schulbus am 07.05.2001 um exakt 13:14 Uhr am Henri-Marteau-Platz vorbeifuhr. 9 Jahre später präsentiert die Bürgerinitiative dann die ultimativ-originale Tachoscheibe und will sie als neuen Beweis zur Wiederaufnahme des Verfahrens nutzen. Nun reden wir von einer Ankunftszeit in Lichtenberg von 13:25 Uhr bis 13:30 Uhr.
2 subjektive Wahrheiten also, was ist die eine objektive Wahrheit?
Solche kurzen "Untersuchungen" kann man in diesem Fall viele anstellen.
Protectme schrieb:Meine Eltern und ich kennen Ulvi persönlich. Meine Eltern hatten vor der ganzen Geschichte auch lockeren Kontakt zu seinen Eltern!
Das ist schön für Dich, aber was soll das aussagen? Jeder Mensch hat soziale Kontakte und doch kann Keiner in das Hirn des Anderen schauen.
Protectme schrieb:Es ist doch einfach so: Es musste dringend ein Verdächtiger her bzw ein Täter, nachdem so viel Zeit verstrichen war und die Polizei unter enormen Druck stand. Und schon hatten sie ihren Deppen!
Auch wieder so ein schönes Beispiel. Klingt gut, ein wenig polemisch und vor allem: stimmt nicht. Die Polizei hat geduldig über eine ewig lange Zeit jeden Stein im Umkreis von einigen km von Lichtenberg umgedreht, hat sich mit ausgependelten Hinweisen ebenso befasst wie mit inflationär aus dem Boden geschossenen Gerüchten. Und sie hat mit der Präsentation von Ulvi als Täter (Monate nach dem ersten Geständnis, weil dieses erst sehr sorgfältig überprüft wurde) einen Riesenrüffel von Beckstein eingefangen. Da war nix mit "die Politik brauchte einen Täter" oder "die Polizei wollte endlich Ergebnisse aufweisen". Ich versteh schon, dass solche Parolen gut wirken, so hat man sein Gegenüber gleich mal auf der emotionalen Schiene gepackt. Aber der Realität entspricht das lange nicht.
Protectme schrieb:Und nachdem er sich vor Kindern entblößt hat, war doch alles super! Der Rest war ihnen Rille.
Und wieder: nein. Erstens reden wir hier ausdrücklich nicht von reinem Entblössen und ein/zwei Ausrutschern. Wir reden (und das steht im Urteil und wurde noch nicht mal von Ulvi oder seinen Verteidigern bestritten) von zahlreichen Missbräuchen, die über Jahre hinnweg auftraten und deren Intensität zunahm. Da ist von Selbstbefriedigung vor Kindern die Rede und von Aufforderung zum Oralverkehr. Von gegenseitigen zur Befriedigung des Täters dienenden Berührungen. Und im Fall von Peggy von zumindest versuchter Vergewaltigung.
Und von massiven Einschüchterungen der Kinder durch den Täter. Laut Frau Kulac soll auch "mal etwas mit dem Sohn von Ulvis Schwester gewesen sein" (das sagte sie vor Gericht aus, bevor sie von ihrem Recht Gebrauch machte und schwieg). Und laut einem Opfer soll Vater Kulac Ulvi mal in flagranti erwischt und ihm eine Ohrfeige gegeben haben.
Das Alles kann man nicht zusammenstreichen und den beteiligten Kindern auch noch Eigeninitiative vorwerfen.
Der Fehler, der immer wieder gemacht wird ist, dass man Ulvi gleichsetzt mit einem Kind. Und das war er nicht. Er war ein erwachsener Mann mit den Bedürfnissen eines erwachsenen Mannes. In sexueller Hinsicht ebenso wie in seiner Freizeitgestaltung, seinen sozialen Kontakten und seinem Freiheitsdrang. So hatte Ulvi zum Beispiel über einen längeren Zeitraum eine erwachsene offizielle Freundin, die auch im Prozess aussagte. Ulvi kannte also das "normale" Sexualleben in einer Beziehung. Zudem hatte er einen erstaunlich großen und unüberwachten Aktionsradius und offensichtlich Geld genug zur Verfügung, um nicht nur regelmäßig auswärts zu speisen, sondern sich an einem normalen Wochenende schon mal 15 Bier trank. Und er nahm so regeläßig Drogen wie Speed und Haschisch, dass er dem Gericht völlig schlüssig die unterschiedliche Anwendung und Wirkung erklären konnte.
Wo frage ich jetzt mal rhetorisch steckt da ein 12-jähriger Junge?
Ja, da bringt man gerne den symbolischen IQ von 67 aufs Tablet. Aber auch hier ist das nur die halbe Wahrheit. Denn je nach Gutachter bzw. Schwerpunkt des jeweiligen Tests schwanken die Angaben über Ulvis Intelligenzquotienten zwischen 67 und 90. Viel aussagefähiger sind hier doch die ergänzend gemachten Angaben der Gutachter. Ulvi kann vorausplanen, kann seine "Eigenarten" zu seinem Vorteil nutzen, wird als intelligent bezeichnet. Dass er deutliche Mängel im Sozial- und Sexualverhalten hat, er jedes Objekt zur Befriedigung benutzte und er sich der Tragweite seiner Taten nicht bewusst war, trug dazu bei, dass er beim Vorwurf der sexuellen Missbräuche schuldunfähig eingestuft wurde.
Mir geht es beileibe nicht um eine Dämonisierung. Jedoch ist es übel zuzuschauen, wie blauäugig viele Leute hier bereit sind, die rosarote Brille aufzusetzen und dann gerne noch den Schwarzen Peter in Richtung Opfer und deren Familien zu schieben.
Protectme schrieb:Erst Jahre später, als das Buch erschien " Der Fall Peggy " und Sachen ans Tageslicht gekommen sind, die der Öffentlichkeit bis dahin verborgen blieben, kam der Stein ins Rollen, wieder den Fall aufzunehmen.
Sorry,
@Protectme, dass ich Deinen Beitrag so auseinanderpflücke, aber er zeigt halt so schön, dass schnell ausgesprochene Worte nicht richtig sein müssen. Wieder haben sich hier (mangels objektiver Recherche?) Fehler eingeschlichen. Holger E. war schon kurz nach dem Verschwinden Peggys Gegenstand der Ermittlungen, sonst wären Lemmer und Jung wahrscheinlich gar nicht auf ihn gestossen. Und der Wiederaufnahmeantrag wird schon seit 2009 angekündigt, seit November 2010 durch Hr. Euler.
Ich weiss nicht, wer der wirkliche Täter ist. Dass Peggy Opfer eines Verbrechens wurde ist klar. Und dass mit den mehrfach wiederholten auffallend stimmigen Geständnissen sich der Polizei plötzlich eine Lösung des Falles anbot, die als Einzige damals passte und logisch war, kann man weder der Polizei noch den Richtern vorwerfen.
Ulvis Unterbringung in der Psychiatrie ist kein Knastaufenthalt. Wie man bei Facebook lesen kann feierte er kürzlich ausgelassen Kirchweih und genoss tanzend das Fest *wuff*. Er hat Freigang, Unterhaltungsprogramm, Sport, Arbeit, Beschäftigung, Therapie, Aufsicht - besser gehts nicht. Aus Sicht von Ulvi aber auch aus Sicht der Umwelt.
Dass man so offen Freiheit für Ulvi fordert ist in meinen Augen ebenfalls auf mangelnde Information zurückzuführen. Aber das nur nebenbei.
@Frau.N.ZimmerDie Online-Petition ist in ihrer Formulierung schon ein Witz. Eigentlich krass, dass in einer so ernsthaften Sache mittlerweile jeder Hinz und Kunz Stimmung machen kann und meint, die Bevölkerung könne aus Sympathie und Mitleid mehrfach bestätigte Urteile kippen. Was das unter Umständen zur Folge hat sah man schön am Fall Unterweger.
Dass es nur so wenige Unterzeichner der Petition gibt empfinde ich als Erleichterung. Nicht nur, dass die Verharmlosung von nur wenigen Leuten betrieben wird, es gibt anscheinend viel mehr Leute, die realistischer an die Sache rangehen. Heisst im Umkehrschluss, dass die Unterstützer von Ulvi einfach nur so gut im Lärm machen sind, dass die Berichterstattung auch mal einknickt.
Und zum Schluss: Holger E. wird meiner Einschätzung nach zum Mord an Peggy nichts aussagen und mangels neues DNA-, Faser- oder sonstiger Spuren wird auch diese Spur bzgl. Peggy im Nichts verlaufen.
Sorry für den langen Beitrag, kommt nicht wieder vor.