@pfiffi Heute wollte ich noch mal den Artikel über das Testament für Dich suchen und bin dabei auf dieses Interview hier gestoßen:
Münchener Merkur, 14.03.2010:
Ex-Chef der Mordkommission: „Jeder hat das Mörder-Gen in sich“
München - Jeder kann zum Mörder werden, da ist sich Josef Wilfling sicher. Totsicher. 22 Jahre hat der die Münchner Mordkommission geleitet. Hier spricht er über zerstückelte Leichen, Triebtäter und das Mörder-Gen.
© Klaus Haag
Der ehemalige Mordermittler Josef Wilfling hat ein Buch über seine Arbeit geschrieben - und die menschlichen Abgründe, in die er 22 Jahre lang blickte.
Neid, Habgier, Wollust, Zorn. Kaum jemand kennt die biblischen Todsünden besser als Josef Wilfling. 22 Jahre hat der Ex-Mordermittler in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele geblickt. „Abgründe – Wenn aus Menschen Mörder werden“ heißt auch sein Buch, das ab Montag im Buchhandel liegt. Der ehemalige Leiter der Münchner Mordkommission erzählt die Fälle, die ihn besonders bewegt haben. Dabei nahm er nicht eine Akte in die Hand. Die Fälle sind allein aus der Erinnerung niedergeschrieben, aus Datenschutzgründen leicht verändert – aber trotzdem zutiefst authentisch. Ein Gespräch über das, was man eigentlich nicht glauben mag.
Ihr Buch trägt den Titel „Abgründe“. Warum?
Ich habe viel erlebt in meinem Beruf, und vieles war im Normalbereich. Aber es gab Fälle, die jenseits meiner Vorstellungskraft lagen, Abgründe eben. Auch wenn man schon 15 Jahre bei der Mordkommission gearbeitet hat: Was in diesem Buch beschrieben ist, hätte ich mir vorher nicht vorstellen können. Wenn mich einer gefragt hätte, ob ich es für möglich halte, dass einer in einer Nacht zwei Menschen enthauptet bei lebendigem Leibe, dann hätte ich gesagt: Du hast einen Vogel! Wer sich so was ausdenkt, gehört in die Psychiatrie!
Der Untertitel ist: „Wenn aus Menschen Mörder werden“. Gibt es darauf überhaupt eine Antwort?
Ich habe bisher keine gefunden. Dass jeder zum Mörder werden kann, davon bin ich überzeugt. Jeder hat das Mörder-Gen in sich. Das ist nur eine Frage der Lebenssituation. Ich würde für mich ausschließen, dass ich zum Sexual- oder Raubmörder werde. Aber nicht, dass ich in eine emotionale Situation gerate, in der ich die Kontrolle über mich verliere. Beispiel: Ein unbescholtener Mann kommt nach Hause, erwischt seine Frau mit einem anderen im Bett, geht in die Küche, holt ein Messer und ersticht sie. Der hatte vorher noch nie etwas angestellt. Jeder hätte Stein und Bein geschworen, dass der niemals zum Mörder wird. Oder man bedroht jemanden in seiner Existenz. Es gab Fälle mit Ärzten, Priestern – oder biederen Hausfrauen, wie in einem Fall im Buch. Eine brave Lehrerin wird plötzlich zur Mörderin und ersticht ihren Ehemann.
Diese Aussagen werden viele schockieren.
Ich weiß. Aber es ist meine Überzeugung. Dass es Menschen gibt, die unter keinen Umständen zum Mörder werden – wer ist denn so arrogant, dass er das sagen kann.
Im Buch hinterfragen Sie sehr intensiv die Psyche der Täter. Dabei fällt eine sehr interessante Aussage: „Auch wenn man es mit noch so schrecklichen Verbrechern zu tun hat. Niemals darf man ihnen ihre letzte Würde nehmen.“
Auch die schlimmsten Mörder bleiben Menschen. Ich habe nie Hass empfunden und festgestellt: Wenn man dem Mörder diese letzte Würde nimmt, öffnet er sich nicht. Wenn er Verachtung spürt, ist es vorbei. Als Ermittler muss man seine Emotionen beherrschen, objektiv und neutral bleiben, sonst kann man gleich aufhören. Das merkt man auch, wenn man so einem gegenübersitzt. Wie der versucht, seine Tat zu rechtfertigen, wenn’s gar nicht geht. Wie soll einer denn rechtfertigen, dass er in einer Nacht zwei Menschen getötet hat – wegen lumpiger 140 000 Euro. Und trotzdem hat auch der versucht, das irgendwie zu erklären, um einen letzten Rest an Menschenwürde zu bewahren.
Sie sprechen den Fall im Kapitel Habgier an, bei dem ein Polizist seine Ex-Freundin und deren Freund betäubt, mit einer Axt köpft und zerstückelt.
Ich habe diesen Fall ganz bewusst aufgenommen, weil die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Mit Recht erwartet die Bevölkerung, dass Polizisten besonders vertrauenswürdig, gesetzestreu und moralisch gefestigt sind. Deshalb war dieser Fall damals ein besonderer Schock für uns alle.
Ein Gruselkabinett ist das Kapitel „Perversitäten“. Selbstverstümmelung, Sodomie, Männer, die sich bei Sexspielen strangulieren. Täter: Ingenieure, Anwälte, Ärzte – im Alltag angesehene Menschen. Steckt denn in uns allen ein Triebtäter?
Nicht in jedem von uns, aber die Szene ist ungeheuer groß. Wenn man wüsste, wer welche Ferkeleien zuhause treibt, wer welche Perversitäten pflegt, würde einem anders. Wobei man natürlich fragen muss: Was ist eigentlich pervers? Da kann man verschiedene Sichtweisen haben.
Ein heikles Thema, das Sie da im Buch anfassen...
Ich habe lange gekämpft, ob ich das Kapitel reinschreibe, weil ich wusste, dass es für Aufsehen sorgt. Aber dann habe ich mich dafür entschieden. Das Buch heißt Abgründe, und Abgründe tun sich nicht nur bei Tötungen auf, sondern schon im Vorfeld. Denken Sie an Sexualmörder, die meistens als Exhibitionisten anfangen. Oder Wäschefetischisten. Diese sexuellen Perversitäten münden oft in Tötungsdelikte. Ich habe versucht, den schmalen Grat – ist eine Perversität strafbar oder nicht – in meinem Buch zu beschreiben.
Wo liegt dieser Grat?
Ein Fall hat mir als katholisch erzogenem 20-jährigen Polizisten, der aus der Kleinstadt kam, einen Schock versetzt. Da komme ich nach München und die Fußstreife bringt einen Mann mit zwei Hühnern, die er missbraucht hat. Die Hühner waren erschöpft, aber sonst ging es ihnen gut. Was macht man mit so einem? Oder autoerotische Unfälle. Da gibt es eine gewaltige Dunkelziffer. Wir kommen ja immer nur dann, wenn es einen erwischt hat, wenn er dranbaumelt an der Decke. Das sind Fälle, die werden öffentlich gar nicht bekannt. Und ich wollte zeigen, dass es auch da tiefe Abgründe gibt.
Unglaublich ist auch der Fall des Arztes, dessen Liebhaberinnen sich für Sexspiele freiwillig nackt im Wald an den Baum fesseln ließen. Der Arzt war strafrechtlich nicht zu belangen.
Ich habe ja eigentlich ein sehr positives Verhältnis zu Frauen. Aber das hat mein Frauenbild schon ein bisschen verrückt. Der Arzt hat Kartons daheim gehabt mit tausenden von Bildern. Das war unglaublich, was der für hübsche Frauen rumgekriegt hat. Das war ein gutaussehender Arzt mit Geld – der hat die Frauen gewechselt wie unsereiner das Hemd. Strafrechtlich war da gar nichts zu machen. Er hat das als besondere sexuelle Hingabe gesehen und das so schön erklärt, dass man es fast geglaubt hat.
Aber noch viel öfter instrumentalisieren Frauen uns Männer, oder?
Ich hatte mehrere Fälle, bei denen Frauen den Täter instrumentalisiert haben – den Liebhaber oder sogar den besten Freund ihres Opfers. Ich erzähle im Buch den Besenstielmord. Die Frau konnte mit dem Täter machen, was sie wollte, der hätte für sie Legionen umgebracht. Frauen lassen sich ganz selten instrumentalisieren. Frauen sind wie Katzen, Männer wie Hunde.
Sie haben aber kein gutes Bild von Männern!
Das stimmt. Frauen sind viel stärker als wir. Ich habe auch immer lieber mit Frauen zusammengearbeitet.
Sie beschreiben viele Vernehmungen, bei denen Sie mit Lügen, Wahrheiten und einer Mischung daraus konfrontiert wurden. Spürt man, wann einer lügt?
© Klaus HaagJosef Wilfling, Ex-Leiter der Münchner Mordkommission, im Gespräch mit Merkur-Redakteur Wolfgang Hauskrecht (r.).
Man muss gewisse Dinge lernen: Erstens erfahren wir vom Täter meist nur seine subjektive Wahrheit. Zweitens ist das Problem nicht, zu erkennen, ob einer lügt. Das Problem ist: Wie führe ich den Lügner zum Lichte der Wahrheit – egal ob Täter oder Zeuge. Menschen können so stur lügen, dass man schier verzweifelt. Es gibt eine ganz wichtige Grundregel bei Vernehmungen: Bezichtige niemals einen Beschuldigten der Lüge, wenn du es ihm nicht stichhaltig nachweisen kannst, sonst lügt er erst recht.
Dann machen TV-Kommissare aber einiges falsch.
Jaja, das ist meistens ein totaler Schmarrn. Das Geheimnis des guten Vernehmens ist, dass man lügen lässt. Dann geht man halt ins Detail. Kein Mörder kann solange die Lüge aufrechterhalten, wie wir ins Detail gehen können.
Also den Täter in Widersprüche verwickeln...
Es gibt ein schönes Sprichwort von Theodor Heuss: Wer immer die Wahrheit sagt, kann sich ein schlechtes Gedächtnis leisten. Da ist was dran. Wer wirklich immer die Wahrheit sagt, kann sich letztendlich nicht widersprechen. Das geht nicht, probieren Sie es aus.
Sie erzählen den Fall eines Sexualtäters, der erst gestanden hat, als er Angst bekam, Sie als Bezugsperson zu verlieren. Verrückt!?
Da war ich auch überrascht. Für den war ich die einzige Kontaktperson. Ich habe viel mit ihm gesprochen, ihm zugehört. Da hat sich eine Verbindung aufgebaut. Als er gemerkt hat, dass ich mich jetzt endgültig zurückziehe, hat er sich gesagt: Ich belohne ihn nun mit der Wahrheit, dann können wir noch eine Zeit zusammen sein. Das war mein erster großer Fall, und da habe ich gelernt: Wenn psychisch auffällige Personen sich entschlossen haben zu reden, dann reden sie – schonungslos! Ohne Rücksicht auf Verluste! Da erfährt man Sachen, die müsste der gar nicht erzählen, all die sexuellen Fantasien und Straftaten, die er begangen hat und die sonst nie rausgekommen wären.
Haben Sie das danach gezielt eingesetzt?
Natürlich. Als ich anfing bei der Mordkommission, hatte ich keinerlei Ahnung, wie man eine Vernehmung aufbaut. Ich habe mich gewundert, warum die Kollegen den so lange erzählen und lügen lassen. Das Vernehmen hat mich fasziniert – das Reden mit dem Täter, dieses psychologische Katz-und-Maus-Spiel. Deshalb habe ich darauf meinen Schwerpunkt gelegt. Während die anderen die Wälder abgesucht haben, habe ich gesagt: Ich kläre den Fall am Schreibtisch. Das hat oft geklappt.
Haben Sie noch Kontakt zu von Ihnen überführten Mördern?
Das muss man strikt vermeiden. Aber der Serienmörder Horst David hat mir jahrelang schöne Ansichtskarten aus dem Gefängnis geschrieben. Ostern, Weihnachten. Er hat sich bedankt für die faire Behandlung, was mich gefreut hat. Er hat uns Mordermittlern keinerlei Vorwürfe gemacht.
Sie haben geantwortet?
Wenn ich in Straubing war, bin ich zu ihm hin und habe mit ihm geredet. Dann bin ich eines Tages in einem Interview gefragt worden, ob ich glaube, dass er nur sieben Frauen ermordet hat oder mehr. Und habe ehrlich meine Einschätzung gesagt. Ich glaube, dass er viel mehr Frauen ermordet hat. Dann war er beleidigt und hat nicht mehr mit mir gesprochen. Aber damit kann ich leben.
Haben Sie mit allen Fällen abgeschlossen?
Mit allen. Das ist schon eine Beruhigung. Am schlimmsten wäre es für mich, wenn einer verurteilt würde und es würde sich dann später rausstellen, dass er unschuldig ist.
Ist Ihnen das passiert?
Nein, niemals!
Sie haben auch im Fall Böhringer ermittelt, dem Mord an der Münchner Parkhaus-Millionärin. Ihr Neffe Benedikt T. kämpft verzweifelt um Wiederaufnahme des Verfahrens und beteuert seine Unschuld.
Ich war noch nie so sicher, dass einer der Täter ist, wie bei dem. Ich bin absolut sicher, tausendprozentig. Es gab eine unerschütterliche Indizienkette, so klar wie selten. Und ich bin schockiert: Der Mann verteidigt sich genaugenommen mit dem Geld des Tatopfers, das finde ich moralisch unglaublich. Wir haben korrekt ermittelt, und ich bin hier total im Reinen mit mir. Der hat seine Tante umgebracht.
Im Buch wird auch Systemkritik laut. Sie bemängeln, Volljährige würden zu oft nach Jugendstrafrecht verurteilt, gefährliche Täter kämen zu oft wieder frei.
Meine tiefe Überzeugung ist: Wer 18 ist, sollte nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Das kann mir keiner erzählen, dass der noch Entwicklungsdefizite hat. Ich kann auch nicht verstehen, dass man gefährliche Täter wieder auf freien Fuß setzt, obwohl man weiß, dass sie noch gefährlich sind. Deshalb habe ich mein Buch auch dem kleinen Peter gewidmet.
Sie meinen den Fall des Sexualmörders Martin Prinz, der in Nürnberg einen Buben ermordet hatte, nach Verbüßung seiner Strafe freikam und dann in München den neunjährigen Peter ermordete. Prinz kam frei, weil das Jugendstrafrecht, nach dem er verurteilt wurde, damals noch keine nachträgliche Sicherungsverwahrung vorsah.
Peter könnte noch leben, wäre die Gesetzeslage anders gewesen. Aber es hat erst ein Kind sterben müssen, damit man zur Besinnung kommt. Und die heutige Rechtslage ist auch nicht optimal. Sprechen Sie mal mit Richtern, welche Hürden es noch immer gibt. Es gibt Bereiche, da sind keine Kompromisse möglich, da gibt es nur ein Entweder-oder. Ich glaube, dass 80 Prozent der Bevölkerung so denken wie ich.
Werden Sie sich noch weitere Fälle von der Seele schreiben?
Ich habe mir nichts von der Seele geschrieben. Als Mordermittler darf man nicht so sensibel sein, dass man das tun muss. Ein Chirurg kann auch nicht am OP-Tisch in Tränen ausbrechen. Ich brauche für ein Buch immer ein Konzept. Sollte mir wieder was einfallen, könnte es schon sein.
Interview: Wolfgang Hauskrecht
Das Interview war hier auch schon mal Thema, allerdings in einer weit aus kürzeren Fassung, glaub ich. Ich finde das sehr interessant, weil ich glaube, dass dies etwas über die Vorgehensweise von Herrn W. offenbart. Deine Meinung hierzu würde mich interessieren.
http://www.merkur-online.de/lokales/muenchen/stadt-muenchen/abgruende-wilfling-interview-moerder-gen-672051.html