Origines schrieb:Das ist ja ein altes Spiel: Abhörmaßnahmen nach §§ 100a ff. StPO produzieren Massen an Gesprächen, Daten usw. Die Polizei verschriftlicht und dokumentiert in den Akten, was sie für fallrelevant hält, insbesondere nur bestimmte Kontakte zu mutmaßlichen Teilnehmern oder Tätern, bestimmte E-Mails usw.
99% sind dann nicht fallrelevant. Und werden nicht verschriftlicht.
Und dann kommt der Verteidiger und sagt, in den nicht dokumentierten Gesprächen könnten entlastende Momente enthalten sein, die müssten auch ermittelt werden. Die Polizei müsse nachverschriftlichen. In seltenen Fällen sieht das auch das Gericht so, damit kann man dann StA und Polizei piesacken.
Ich sehe in keiner Weise ein "Piesacken". Hier geht es schlicht und einfach um die Voraussetzungen zu einem fairen Verfahren, es muss Waffengleichheit soweit möglich erreicht werden. Und das erreicht man nur, wenn auch die Verteidigung Zugriff auf diese abgehörten Gespräche hat.
Und wenn es Zusammenfassungen zu den Gesprächen gibt, was wahrscheinlich auch meist der Fall sein wird, dann müssen die natürlich auch der Verteidigung zugänglich gemacht werden.
Natürlich kann man dann - wie hier erfolgt - der Verteidigung unnötig das Leben schwer machen und Zusammenfassungen, die den Ermittlern zur Analyse vorgelegen haben, einfach verweigern, aber natürlich ist das in keiner Weise eine Herstellung der Waffengleichheit. Entsprechend hat der BGH auch entschieden, das auch diese Zusammenfassungen - soweit sie vorliegen - der Verteidigung übergeben werden müssen.
Für mich hätte das von vornherein - ohne Aufforderung - die StA der Verteidigung zur Verfügung stellen müssen, im dem dort behandelten Fall erfolgte es erst durch den BGH. Für mich ist es schon geradezu böswillig, wenn man das der Verteidigung nicht überlässt, man wirft der Verteidigung bewusst Felsen in den Weg, weil man sehr genau weiß, dass die Verteidigung für diese Arbeit die notwendigen Mittel gar nicht zur Verfügung hat. Hier wurden die fast unbegrenzten Kapazitäten des Staates gegen die sehr begrenzten Möglichkeiten der Verteidigung voll ausgespielt. Gepiesackt wurde hier in Wirklichkeit die Verteidigung. Da musste der BGH natürlich einschreiten.
Natürlich darf man sich da nichts vormachen, auch 82.000 Zusammenfassungen dürften die Mittel der Verteidigung in der Regel sprengen, eine wirkliche „Waffengleichheit“ gibt es normalerweise nie, die Anklage ist fast immer im Vorteil, man darf diese Waffengleichheit aber nie von vornherein unmöglich machen - wie in dem obigen Fall geschehen.
Origines schrieb:Sehe ich es richtig, dass der Verteidiger dann einen Beweisantrag stellen könnte, das ein bestimmter Teil (z.B. ein bestimmten Gespräch) als Beweismaterial in die Verhandlung eingeführt wird?
Warum denn nicht? Natürlich kann sie dann davon profitieren, wenn sie die Nadeln im Heuhaufen gefunden haben, eigentlich hätte sie die StA/Ermittel schon finden müssen, denn sie haben auch Entlastendes zu suchen/berücksichtigen. Das Gericht muss es in seiner Entscheidung auch berücksichtigen/erwägen, dass verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör.