@meermin@d.b.coober
@allmeermin schrieb:Nach entsprechender Beratung hätte es für Bence sicher Möglichkeiten gegeben ein anderes Studium aufzunehmen. Und wenn er die Tante mit zur Studienberatung genommen hätte wahrscheinlich auch mit ihrer Zustimmung rechnen können.
Wenn man sich gemeinsam informiert hätte, wäre die Schmach durchgefallen zu sein wahrscheinlich gar nicht mehrt so gross gewesen und man hätte gemeinsam nach vorne schauen können.
Natürlich. Allerdings darf man die besondere Situation, in der sich B. T. befunden hat, außer Acht lassen. Es stellt sich hier allerdings schon die Frage, ob jemand die "Ausbildungslüge" allein für ein ausreichendes Motiv halten würde. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eher nicht. In einem anderem Kontext, z. B. Studentenberatung sind solche Konstellationen vielleicht nicht unbedingt Alltag, aber kommen doch häufiger vor, als man vielleicht annehmen würde. Im Urteil muss es allerdings zur Auswegslosigkeit hochdramatisiert werden, da sonst das Konstrukt überhaupt nicht passt.
Das gleiche gilt für die "Enterbungslüge". Es gilt zwar nicht als zweifelsfrei belegt, aber es gibt doch sehr starke Hinweise darauf, dass Streitigkeiten, wie sie sich eine Woche vor der Tat ereignet haben, an der Tagesordnung waren. Es gelingt aus meiner Sicht nicht, auch nur ansatzweise zu belegen oder herauszuarbeiten, was jetzt zum Tatzeitpunkt das Besondere an der Situation gewesen sein soll. Weiterhin wird es zwar geschickt aufgebauscht, aber es steht noch nicht einmal fest, dass B. T. von dem Testament gewusst hat.
Hier gibt es auch noch ein interessantes Detail: wie aus dem Schriftsatz zur Strafanzeige zu entnehmen war, handelt es sich bei dem Testament um ein 11seitiges, handgeschriebenes Dokument. Damit ist wohl klar, dass der Inhalt keineswegs schnell und eindeutig zu erfassen gewesen wäre. Ganz davon abgesehen, dass das Gericht über massive Logikfehler massiv hinweggeht. Es wird nämlich an keiner Stelle auch nur ansatzweise schlüssig erklärt, welchen Sinn das Lesen des Testaments überhaupt hätte haben sollen - nach der Tat. B. T. hätte hier nur
im Nachhinein erfahren können, ob der Mord, den er gerade begangen hat, sinnvoll für ihn war oder nicht???? Es kommt aber noch besser:
das Gericht führt selbst aus, dass B. T. ein für ihn ungünstiges Testament gar nicht hätte verschwinden lassen können, da er nicht habe wissen könnte, wer davon bereits wusste und wer nicht. In dieser Weise setzt sich das fort.
B. T. wäre ja der allerpefekteste Verdächtige, wenn er nicht ein Alibi hätte. Es wird schnell behauptet, er hätte keins, aber die Fakten sprechen eindeutig dagegen. Tatsächlich hat B. T. ab 19.34 Uhr ein ziemlich sicheres Alibi, nachweisbar über den Einzelverbindungsnachweis seines Festnetzanschlusses und Zeugenaussage. Hier kann man dann erleben, wie der Tatzeitpunkt relativ willkürlich frei in den Zeitraum flottiert, in dem B. T. eben kein Alibi hat, obwohl sich hieraus ein elementares und nicht wezudiskutierendes Tathemmnis ergibt:
B. T. konnte gar nicht wissen, ob seine Tante alleine war oder nicht. Und das sind für einen Mörder doch eher schlechte Voraussetzungen. Aber auch an dieser Stelle versagt B. T. tragischerweise, weil er nicht den perfekten Verdächtigen abgibt, sondern nur einen guten.
An dieser Stelle ist ein Einschub erforderlich. Ganz grundsätzlich gehe ich eher von der Unzuverlässigkeit von Zeugenaussagen aus. Hierzu ist ja auch einiges hier geschrieben worden. Im Zweifelsfall würde ich eher Fakten den Vorzug geben. Fakt ist aber, dass der Sachverständige den wahrscheinlichsten Todeszeitpunkt für 17.00 Uhr angegeben hat. Nur leider passt dieser, wahrscheinlichstes Todeszeitpunkt nicht in das Konstrukt, weshalb hierüber völlig hinweggegangen wird. Stimmt die Zeugenaussage des Zeugen W., der gegen 18.15 Uhr noch mit Ch. B. telefoniert haben will, so ist der Sachverständige an dieser Stelle schon widerlegt bzw. es steht fest, dass überhaupt keine klare Aussage über den Todeszeitpunkt mehr getroffen werden kann. Damit steht aber auch fest, dass sich die Frage nach dem Alibi völlig erledigt hat. Es ist noch nicht einmal sicher, dass Ch. B. am Montag ihren schrecklichen Tod gefunden hat und nicht erst am Dienstag.
Damit es einigermaßen passt, muss das Gericht einen Tatzeitpunkt um 19.00 Uhr
annehmen. Die Kammer versteigt sich dann zu der Aussage, dass für den gesamten Tatablauf 5-7 Minuten "allemal ausreichend" gewesen seien. In diesen 5-7 Minuten soll der Täter Ch. B. punktgenau und allein angetroffen und ermordert haben. Ob die Handtasche vom Täter ausgekippt worden ist oder ob das während der Tat passierte, kann nicht genau geklärt werden. Das Gericht muss aus Zeitgründen von der zweiten Annahme ausgehen. Der Täter steht jetzt also da, mehr oder weniger atemlos und vor ihm liegt das blutende Opfer. In einer leichten Turneinlage, schafft es der Täter ohne Fussspuren zu hinterlassen auf die Treppe und geht in den Flur. In der Etage angekommen, richtet er einige Unordnung an, stiehlt mind. 1.500 €, von denen nicht klar ist, wo er sie gefunden hat, denn das Gericht erspart sich jede Mutmaßung darüber, wo Ch. B. das Geld aufbewahrt haben könnte. Dies ist aber relevant: denn der Täter hatte keine Zeit großartig zu suchen oder sich mit dem Tresor zu befassen, auf dem der Schlüssel steckte. Eine Durchsuchung des Opfers scheidet aus Zeitgründen aus. Aber vielleicht hatte er ja Glück, und das Geld lag auf dem Schreibtisch. Er nimmt also das Geld und nimmt sich dann die Testamente vor, liest das 11seitige und die anderen Schriftstücke, verschließt den Umschlag wieder und verlässt dann den Tatort. Auf welchem Weg ist unklar. Er kann natürlich den Weg über die Treppe genommen haben, wird hierbei aber wieder mit seinem Opfer konfrontiert und muss es dann schaffen, eine 90-Grad-Kurve zu nehmen, ohne Blutfussspuren zu hinterlassen. Das Blut kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht getrocknet sein. Vielleicht nimmt er aber einen anderen Ausgang. Hierzu ist aber dann nicht klar, ob der Täter über diesen Weg den Tatort überhaupt ungesehen hätte verlassen können. Der Weg von 4. Etage nach unten dauert laut Gericht ca. 2 Minuten. Danach muss er schleunigst nach Hause, damit er um 19.34 Uhr überhaupt telefonieren können. Zeitreserven um die Mordwaffe verschwinden zu lassen, seine Kleidung zu säubern oder hinderlichen Zeugen aus dem Weg zu gehen hat er nicht. Das ist eine absurde Vorstellung geht man von einem Ersttäter aus.
In diesem Stil ist das gesamte Urteil aufgebaut, das auch ein paar Hinweisreize enthält, die beim Leser oder allgemein Rezipienten Voreingenommenheit erzeugen sollen; die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen entbehren aber nahezu jeglicher Grundlage und lassen sich nur einigermaßen widerspruchsfrei interpretieren, wenn man so wieso davon ausgeht, dass B. T. der Täter ist.
Völlig ins groteske gerät die Darstellung bei der Interpretation des Nachtatverhaltens. Hier unternimmt B. T. einiges, um uns davon zu überzeugen, dass er der Täter ist. Obwohl er 12 mehr als 12 Stunden Zeit hat, fällt ihm nichts besseres ein, als das Fahrrad in Tatortnähe und vor den Augen seiner Kolleginnen und Kollegen zu reinigen. Wohl wissend, wär er der Täter, dass er aufgrund der bekannten Persönlichkeit von Ch. B. und der Erbschaftsgeschichte einer der Hauptverdächtigen sein würde. Aber damit nicht genug. Sehr zuvorkommend und auch auf die Bedürfnisse von etwas langsam denkenden Ermittlern zugeschnitten, gibt er noch weitere Hinweise, indem er am Tag nach der Tat ausnahmesweise, aber in dankenswerten Bemühungen die Ermittlungen voranzubringen, sehr auffällig gekleidet zur Arbeit erscheint und überdies auch noch sehr schlampig arbeitet - nämlich eigentlich gar nicht. Bei den folgenden Ermittlungen ist er so nett, eine Menge weitere Hinweise auf seine Täterschaft zu liefern und sogar seinen Rechtsbeistand wieder wegzuschicken. Spätestens an dieser Stelle hätte er den Titel "Mordverdächtiger des Jahres mit besonderen Verdiensten um die Bedürfnisse der Mordkommission München" verdient. Da die ja bekannt Schwierigkeiten mit der korrekten Verwertung von Tatgeständnissen haben, bedient sich B. T. eines anderen Weges um sehr deutliche Hinweise auf seine Täterschaft zu legen. Chapeau!
Weitere Punkte, die das Gericht verkaufen will und die nur auf den ersten Blick plausibel sind, sind die Reizwörter "ausgehfertig" (über Ch. B.), "in genau dieser Kombination" (über die Zeitungen) und den getarnten Charakter der Wohnung in der 4. Etage.
Aus der Tatsache, dass Ch. B. offenbar Straßenkleidung trug, wird gefolgtert, dass sie ausgehfertig gewesen sei. Der Schluss ist aber bestenfalls einigermaßen naheliegend, aber überhaupt nicht zwingend. Wäre sie wirklich auf dem Weg gewesen, ihre Wohnung zu verlassen und wird an der Tür abgefangen, hätte ich erwartet, dass die Alarmanlage schon aktiviert gewesen ist.
Wie wahrscheinlich ist es, dass man in München bei jemanden der Zeitung liest, genau diese Kombination von Zeitungen findet? Die Süddeutsche Zeitung ist die auflagenstärkste Zeitung der Stadt, und es ist überhaupt nicht überraschend, bei einem Zeitungsleser dieselbe zu finden. Welche ist wohl die Tageszeitung mit der zweihöchsten Auflage? Richtig, die Abendzeitung. An dritter Stelle folgt dann die "TZ", die aber nicht gefunden worden ist; es wird aber sofort erklärlich, warum der Zeuge, der die Zeitungen an die Tür gehängt hat, "AZ" und "TZ" verwechselt: die sind eben so häufig. Abgeschlagen an vierter Stelle, und an dieser Stelle ein echtes Kompliment an die Stadt München, folgt dann erst die Bild-Zeitung. Hieraus folgt, dass die Kombination SZ, AZ und Bild, die zweitwahrscheinlichste Kombination an Zeitungen ist, die man rein zufällig in München finden würde. Zunächst ist es also überhaupt nicht verwunderlich, dass man dise Kombination findet. Das zunächst so überzeugende Argument, mit den Stadtteilausgaben verfliegt bei näherer Betrachtung der Umstände leider völlig. Dabei muss ich gestehen, dass mir dieses Indiz immer am besten gefallen hat, weil es so etwas Columbo-mäßiges hat. Unglücklicherweise gelingt es aber nicht zu beweisen, dass es im Tankstellenshop einen Fehlbestand einer AZ-Ostausgabe überhaupt gab. Nachgewiesen werden konnte ein Fehlbestand für eine SZ; bedauerlicherweise fand sich bei B. T. aber keine Ostausgabe der SZ, sondern eine Südausgabe. Nach Aussage des Grossisten läge dies zwar bei einem Verpackungsfehler im Bereich des möglichen, aber da er die Möglichkeit eines Verpackungsfehlers überhaupt einräumt, wird das Indiz schon sehr deutlich abgeschwächt, wenn nicht gar vollständig entwertet. Folgerichtig wird dann nach weiteren Spuren (Fingerabdrücke/DNS) auf den Zeitungen gesucht, um die Zeitungen mit der Parkgarage in Verbindung zu verbringen. Es wurden aber keinerlei Spuren gefunden und wir lernen über die Aussage von zwei Sachverständigen, dass Fehlen von Spuren nicht bedeutet, dass die Gegenstände nicht berührt worden sind. Interessanterweise wird aber vom Gericht das angebliche Fehlen von Spuren anderer Menschen an der Kleidung von Ch. B. und im Büro auf einmal gegen B. T. gewertet, was schon ein starkes Gefühl von Willkür aufkommen lässt. Konsequenterweise hätte hier die Kammer der eigenen Logik folgen müssen und alle diesbezüglichen Indizien aus ihrer Begründung herausnehmen müssen. Das Problem wäre dann nur, dass, außer der Motivkonstruktion, und dem bemerkenswerten Aussageverhalten von B. T. nichts mehr übrig bleibt.
Zur "versteckten" Wohnung: aus der Tatsache, dass die Wohnung versteckt liegt, schließt das Gericht, ja was eigentlich? Aus meiner Sicht kann man, folgt man den Gesetzen der allgemeinen Logik, nur einen Gelegenheitsraubmord ausschließen. Der Personenkreis, dem das Vorhandensein der Wohnung mit für Eigentumsdelikte attraktiver Ausstattung, bekannt gewesen sein dürfte, ist aber keinesfalls als klein zu bezeichnen. Zunächst einmal wussten davon alle aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter der Parkgarage. Wahrscheinlich auch ein Großteil von deren Angehörigen. Hinzu kommen Freunde, Bekannte und deren Angehörige. Weiterhin wussten auch offenbar mehrere Handwerker (nebst Angehörige) von dieser Wohnung. Es ist also überhaupt nicht einsichtig, warum die Zahl der Verdächtigen auf einen sehr exklusiven Kreis beschränkt wird - außer, dass dann die Suche einfacher wird. Da mehrfach betont wurde und wird, wie einfach das ungesehene Ein - und Ausdringen in diesem Bereich ist - sofern man sich nur halbwegs auskennt - folgt aus der Lage der Wohnung eher, dass sie sich als Einbruchsobjekt gerade zu anbietet: reiche Beute, alleinstehende Frau, abgelegen und nicht öffentlich einsehbar, prima Fluchtmöglichkeiten. Kurz: nahezu das ideale Objekt für einen Einbruch!
Selbst wenn man denn den Stammtisch-Abend für einen günstigen Tatzeitpunkt hält; sei es für einen Mord oder einen Eindruch oder Raub, hat von dieser Gewohnheit wahrscheinlich fast der gleiche Personenkreis gewusst, der auch über die Lage der Wohnung informiert war.
Jetzt kann man hieraus nicht folgern, dass B. T. unschuldig ist. Aber es steht fest, dass die Konstruktionen und Annahmen des Gerichts nicht haltbar sind, bzw. jedweder materieller Grundlage entbehren. Das einzige was derartige gerichtliche Spekulationen von wilden Spekulationen unterscheidet, ist, dass ein gerichtliches Siegel drauf steht. Dazu kommt noch, dass ich jetzt nur einige Details herausgegriffen habe und sich diese Liste aber noch fortsetzen ließe.
@Interested hat mich mit seinen Ausführungen auf eine Idee gebracht, die ich aber noch nicht zu Ende gedacht habe; dazu dann später mehr von mir.