Quiron schrieb:Ich sehe das leider ähnlich wie HansM. Wo immer es möglich war, hat der Oberste Gerichtshof zu Ungunsten der beiden Angeklagten entschieden. Dies, um den Weg in die Freiheit nach Möglichkeit zu verbauen.
Es hat doch mehr oder weniger den Unsinn abgeschrieben, was die StA behauptet hat, eigener Gehirnschmalz des obersten Gerichtshofs ist diesem nicht zu entnehmen.
Bzgl. des Kapitels "Verleumdung" gebe ich Ihnen jedoch Recht. Aber hier liegt der oberste Gerichtshof in einer Linie wie die Deutschen Gerichte bzw. Ermittler. Auch wenn der Fall nicht wirklich vergleichbar ist, da es sich im Fall Gaefken doch etwas anders liegt, musste erst der EGMR erst kommen, um hier klare Worte zu sprechen.
Was sagt dann nach dem abschließenden Urteil die Polizeigewerkschaft:
Die Entscheidung dürfe jedoch nicht zur Folge haben, dass die Polizei in Vernehmungen nicht mehr intensiv nachfragen dürfe, sagte Witthaut.
Quelle:
http://www.ftd.de/politik/deutschland/:schmerzensgeld-fuer-kindermoerder-polizeigewerkschaft-nennt-gaefgen-entschaedigung-dicke-kroete/60087605.html (Archiv-Version vom 04.09.2012)Die Folgen des "intensive Nachfragen" kennen wir von anderen Unrechtsurteilen in Deutschland insbesondere vom Fall Rupp.
Das liegt auf der gleichen Ebene wie im vorliegenden Fall.
Die Staaten scheinen hier allgemein ein Problem mit ihren Verhörmethoden zu haben. Hier wäre daher sogar eine Entscheidung des EGMR erstrebenswert, der weitaus größere Ausstrahlung haben dürfte - auch hier in Deutschland, als nur durch ein Urteil des obersten Gerichtshofs in Italien. Der EGMR müsste sich damit befassen, wann ein "intensives Nachfragen" noch mit den Menschenrechten vereinbar ist.
Quiron schrieb:Über ihre Motive kann ich nur rätseln, denn was sie persönlich davon haben, will sich mir nicht erschließen.
Richtig, aktuell kann man über die Motive rätseln, was diese wirklich gedacht haben, ist reinste Spekulation.
Aber was sehen wir aktuell schon?
Das Verfahren ist nach Florenz verlegt worden. Das ist prinzipiell noch verständlich, aber warum ist eigentlich die StA ausgewechselt worden? Das sehe ich doch als sehr ungewöhnlich an, hier muss sich eine neue StA in den Fall mit seinen Einzelheiten komplett neu einarbeiten, prozessökonomisch erst mal ein Unding.
Quiron schrieb:Aber wen schert es? Der Oberste Gerichtshof wird wegen der Kompetenzüberschreitung nicht zur Verantwortung gezogen werden, von wem auch?
Amanda Knox wird nicht ausgeliefert und muss nicht wieder hinter Gitter, so weit so gut. Aber das ist auch alles. Entschädigung für die unrechtmäßige Haft wird ihr nicht gewährt, ebenso bleibt sie auf allen sonstigen Kosten sitzen. Bis das Verfahren vor dem EGMR verhandelt wird können noch Jahre vergehen. Bis dahin wird sie finanziell ausgeblutet sein. In dieser Zeit ist sie Reisebeschränkungen unterworfen und Seiten wie truejustice werden weiter ungestraft ihre Gülle verbreiten können.
Sie betrachten hier die Zwischenzeit, bis hier der EGMR Abhilfe geschaffen hat, da gebe ich Ihnen natürlich vollkommen Recht. Diese Zeit ist für die Angeklagten fatal, schlimmeres kann es da schlicht und einfach nicht geben.
Aber das Urteil wird zuerst von einem Richter in den USA untersucht werden müssen und längerfristig durch den EGMR. Es schert also sehr wohl längerfristig die Gerichte.
Quiron schrieb:Raffaele Sollecito ist in einer weit ungünstigeren Position. Francesco Maresca wird umgehend seine Klauen in die Familie Sollecito schlagen und aus ihr herauszusaugen versuchen, was immer das italienische Recht zulässt. Alles im Namen der Familie Kercher natürlich, aber im Endeffekt für sein eigenes Konto. Und kein europäischer Gerichtshof kann ihn daran hindern.
Ich gebe Ihnen da vollkommen Recht, dass Herr Sollecito in einer deutlich ungünstigeren Position ist. Schließlich ist er es der im ungünstigsten Fall erneut ein Haft absitzen muss.
Bzgl. den Klauen von Francesco Maresca, die dürften - was das finanzielle angeht - unscharf sein, denn "Was immer das italienische Recht zulässt", dürfte ähnlich dem Deutschen an dieser Stelle sein und zwar gar nichts.
Quiron schrieb:Und ich fürchte, das Ansehen Italiens geht vielen Richtern am Allerwertesten vorbei. So war es jedenfalls bei Giancarlo Massei, so war es beim Obersten Gerichtshof. Werden sie denn irgendwie belangt, wenn das Ansehen Italiens Schaden nimmt?
Die Richter natürlich nicht unbedingt. Man sieht aber, wie das Urteil des obersten Gerichtshofs bei Hellmann angekommen ist. Aktuell ist er dem Spot der Welt ausgesetzt, dass das an ihm nicht spurlos vorüber geht, sieht man an seinen Äußerungen. Aber hier ist es natürlich großteils unberechtigt. Berechtigt insofern, dass er Aufklärungen, die zum Nachteil der Ermittlung und StA gewesen wären, schlicht und einfach soweit es irgend ging, nicht geleistet hat. Prinzipiell war das aber noch mit der freien Beweiswürdigung vereinbar
Quiron schrieb:In Deutschland gibt es (vorwiegend) voneinander unabhängige Instanzen. In Italien gibt es (vorwiegend) Seilschaften.
Ich glaube, dass es überall eine gewisse Form von Seilschaften gibt. Theoretisch ist das Rechtssystem in Italien sogar unabhängiger von der Regierung selber als hier in Deutschland.
Aber auch in Deutschland gilt das Sprichwort "Eine Krähe ....", das hatte wieder mal der Fall Kachelmann gezeigt. Kritik von Seiten des Gericht gegenüber der StA Mangelware. Auch die anderen Fälle - wie der Fall Rupp - zeigen das.
Und noch schlimmer ist es in Deutschland, dass eine weitere Überprüfungsinstanz - im Gegensatz zu Italien - fehlt. Dann erhalten die zu Unrecht verurteilten nur dann Recht, wenn zufällig ein Zivilverfahren parallel angestrebt wird (Fall Harry Wörz). Eigentlich ein Unding.
Die Protokollierung von Zeugenaussagen gibt es in entsprechenden Fällen hier in Deutschland überhaupt nicht. Das worüber wir hier so genau diskutieren können und belegen können, wie unrechtsmäßig Massei geurteilt hat, gibt es hier daher nur bedingt.
Hier in Deutschland hätten es u.U. die Angeklagten viel schwerer gehabt überhaupt erst mal aus dem Gefängnis zu kommen.
Aus diesen Gründen habe ich auch gegenüber den Urteilen Deutscher Gerichte mittlerweile extremste Skepsis gegenüber. Wenn man beispielsweise den Doppelmord und Koblenz sieht und dort der Richter als belastendes Indiz die Beschaffung eines Alibis sieht, dreht sich bei mir der Magen um. So wie es aussieht, hat die Verurteilte sich erst um ein Alibi gekümmert, als sie wohl gemerkt hat, dass sie als Verdächtige galt. Da könnte man der Auffassung sein, das ein wirklicher Täter sich höchstwahrscheinlich schon viel früher ein Alibi verschafft. Ich glaube (oder ist es mehr ein Hoffen) persönlich, dass hier zwar insgesamt die Richtige verurteilt wurde, aber die notwendige Sicherheit hat mir das Urteil in keiner Weise gegeben.