Das ist natürlich immer eine Frage der Interpretation. Z.B. heißt es da:
“The even more amazing aspect was that of accepting without any critical sense, the argument put forward by the experts on the possible contamination of the exhibits, a thesis completely unlinked to any scientific data that could concretely support it. The unproven hypothesis of contamination has been taken as an axiom, ... where the collected data did not allow to come to such a conclusion. It was excluded even by the experts that there had been contamination at the laboratory. Professor Novelli said that the source, the vehicle of the contamination had to be proven”.
Ich habe zwar eine etwas andere Übersetzung, aber wesentlich ist doch hier: Wer behauptet denn, dass die Kontamination bewiesen werden muss?
Nicht der oberste Gerichtshof, sondern einzig und allein Novelli.
Novelli ist kein Richter, noch nicht mal ein Jurist, seine Behauptung, dass die Kontamination bewiesen werden muss, ist juristisch erst mal ohne Belang.
Der oberste Gerichtshof spricht doch nur davon, dass man ausreichend Konkret die Kontamination behaupten muss. Dieser Grundsatz entspricht genau dem, was in einem Rechtsstaat Konsens ist. Es betrifft die Frage, was die beweisbelastete Partei nachweisen muss und wie die nicht beweisbelastete Partei Beweismittel angreifen muss.
Und dann kommt es eben darauf an, wie konkret die nichtbeweisbelastete Partei die Beweismittel angreift. Ein Beweismittel ist dann ausreichend angegriffen, wenn die Tatsachenbehauptung der nicht beweisbelastenden Partei soweit konkret ist, dass sie einem Gegenbeweis zugänglich ist.
Nehmen wir mal die Kontaminationsmöglichkeit der BH-Schnalle. Nehmen wir mal an, die DNA-Spur als erwiesen an, was sie in Wirklichkeit nicht ist. Dann hat im vorliegenden Fall anhand des Videos die Tatsache-Behauptung aufgestellt, dass hier eine Kontamination stattgefunden haben könnte. Diese Darstellung wäre schon konkret genug, denn sie wäre einem Gegenbeweis zugänglich, beispielsweise in folgender Art:
1. Herr Sollecito war nie in der Wohnung, daher darf auch seine DNA dort nicht gefunden werden
2. Die Handschuhe waren nicht kontaminiert.
Beides kann die StA in der Praxis nicht beweisen, weil beides zutrifft.
Natürlich darf man das zusätzlich nicht ganz schwarz-weiß sehen, wenn das behauptete Szenario zwar möglich wäre, aber extrem unwahrscheinlich, würde die StA den Nachweis nicht führen müssen.
Quiron schrieb: Im konkreten Fall ist die Beweiskette nicht gesichert, weder bei dem BH-Verschluß, wie man im Video erkennen kann, noch bei dem Messer, das wohl einige Zeit unbeaufsichtigt in einer leeren Kalenderverpackung(!) auf der Polizeistation herumgelegen hat. Man kann da wohl kaum von einem pauschalen Urteil sprechen.
Ganz genau. Der oberste Gerichtshof tut so, als hätte es das Hellmann-Urteil nicht gelesen.
Und auch der C&V-Report ist alles andere als pauschal und dürfte daher den gleichen Stellenwert besitzen, wie im Hellmann-Verfahren.
Und im Endeffekt liegt es doch mit allen anderen Punkten genauso. Der Nachweis, dass die Behauptung des Gerichtshof, der auf dem Unsinn der StA gewachsen ist, nicht stimmt, ist aus meiner Sicht relativ einfach zu führen und die StA und Nebenklage steht zum Schluss ganz dumm da.
Und die Frage, die ich mir immer wieder stelle, war das die wirkliche Intention des obersten Gerichtshofs, weil es dieses Treiben mit der Gesichtswahrung einfach nicht mehr mitmachen will und so ein Zeichen setzen will? Prinzipiell böte sich natürlich dieser Fall am besten wegen des starken öffentlichen Interesses an und genaugenommen wegen der fast schon offensichtlichen Unschuld der Angeklagten, denn dann ist das Risiko ein anderes Urteil zu erhalten äußerst gering.
Wir werden sehen. Ich sehe den Fall jedenfalls alles andere als pessimistisch an.
Und wenn alle Stricke reißen, dann gibt es da noch den EGMR. Der behandelt seine Fälle in der Reihenfolge nicht nach dem Eingangsstempel, sondern nach der Intensivität der Verletzung der Menschenrechte, der Aussicht auf Erfolg und der Folgen der Menschenrechtsverletzungen.