@Siegfrieden Siegfrieden schrieb:Wir können nur interpretieren, aber ich vermute, dass er alles, was er auf der Polizeiwache sagte, meinte.
Wir müssen nicht vermuten, wie müssen nur den Kontext verstehen. So wie "alles" sich nicht auf alles bezieht, as er je im leben gesagt hat, sehe ich es nicht als "alles", was er auf der Polizeiwache gesagt hat, sondern auf "alles", was er zugunsten von Amanda Knox ausgesagt hat. Man hat ihm nämich unterstellt, dies auf Veranlassung bzw. unter dem Einfluss von Amanda Knox getan zu haben. Dies weist er in seinem Tagebucheintarg zurück.
Siegfrieden schrieb:Aber wie kann man sich die Verschwörung vorstellen?
Indem man es sich zunächst nicht als verabredete Verschwörung vorstellt.
Du hast gefragt, was wahrscheinlicher ist: ob ein einzelner Mensch lügt, oder eine Gruppe von Menschen. Die Frage ist leider falsch gestellt, denn sie geht von mathematsicher Berechenbarkeit aus, wo es diese Berechenbarkeit nicht gibt.
Die Voraussetzung dafür, daß Amanda Knox bewusst (über den Verlauf des Verhörs vom 5./6. November) lügt, besteht doch darin, daß sie den Mord an Meredith Kercher tatsächlich begangen hat. Wie groß ist nun die Wahrscheinlichkeit, daß eine Person, die in ihrem Vorleben keinerlei Veranlagung aufgewiesen hat, Konflikte mit Gewalt zu lösen, oder überhaupt das Gesetz zu übertreten, plötzlich jegliche moralische Schranken durchbricht und einen Mord begeht? Das ist ein gewaltiger Schritt, für den es eben diese Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung braucht, oder eine andauernde Provokation von Seiten des Opfers.
Von den ganzen anderen unwahrscheinlichen Begleitumständen einmal abgesehen, die zutreffen müssen. Die fehlende Gelegenheit, die unpassende Mordwaffe, die unzuverlässigen Mitwisser. Wie du nach allem, was du hier bereits erfahren hast, auf eine Quote von nur 60% kommen willst, die für Unschuld spricht, ist mir ein Rätsel. Es ist eher so, wie
@Nscho-Tschi sagt, in Zahlen ausgedrückt sind es 100%.
Auf der anderen Seite erfolgen die Vergehen, die die Beamten der Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter begehen, nur in kleinen Schritten, die jeder für sich als ethisch akzeptabel betrachtet werden. Dieser Prozess hat nicht erst mit dem Fall Meredith Kercher im Jahre 2007 begonnen, schon schon Jahre bzw. Jahrzente zuvor. Du erinnerst dich hoffentlich noch an die Diskussion, die wir über den Fall Magnus Gäfgen geführt haben. Die Übertretung von Vorschriften - hier das absolute Folterverbot - wird rationalisiert, mit Rechfertigungen wie jenen, daß es um das Leben eines Kindes geht. Da kann doch ein wenig Folter bzw. Folterandrohung doch nicht so falsch sein. So wird diese Abweichung zum Normalzustand erhoben. Dann folgt der nächste Schritt, dann wieder einer und so weiter, und so weiter. Weil diese Schritte jeder für sich so minimal sind, ist die Wahrscheinlichkeit um so größer, daß jemand der Versuchung erliegt. Jedenfalls sehr viel größer als ein Mord aus dem Nichts.
In Deutschland im Fall Gäfgen wurde dem zum Glück von Beginn an ein Riegel vorgeschoben. In Italien leider nicht. Dort scheint mir die Übertretung lästiger Vorschriften, die doch eh nur die (vermeintlichen) Verbrecher schützen, schon seit Jahren zur Regel geworden sein. Man praktiziert es derart gewohnheitsmäßig, daß man es in der täglichen Arbeit gar nicht mehr wahrnimmt. Die älteren Kollegen geben die Praxis an die jüngeren weiter. Da heißt es dann mitmachen, oder der pedantische Außenseiter sein und die Karriere vergessen.
Und plötzlich kommt da so ein Fall wie der von Amanda Knox und alles läuft aus dem Ruder. Plötzlich drohen diese Praktiken öffentlich zu werden, weil jemand die Stirn hat, die Polizisten anzuprangern und es dafür Zuhörer gibt. Plötzlich wird es bewusst, daß man ja jahrelang die Vorschriften verletzt hat. Jeder hat etwas zu verlieren. Also werden die Reihen geschlossen. Also wird kollektiv gelogen. Es gibt ja genug Leute, die einer Gruppe eher glauben, als einer Einzelperson.