Nscho-Tschi schrieb:Weiß jemand, was im Verfahren wirklich passiert ist?`
Das dürfte der Geheimhaltung unterliegen.
Möglich ist, dass Nencini von der Abstimmung überrascht wurde. Vielleicht hatten die Berufsrichter schon versucht, die Stimmung pro-Angeklagte zu bringen, aber bei solch einer Verfestigung der Meinung - und dazu hatte Nencini im Vorfeld mit dazu beigetragen, war das vielleicht schlicht und einfach nicht mehr möglich. Vielleicht hatten die Laienrichter dann irgendwann auf Durchgang geschaltet und die Berufsrichter reden lassen. Man darf auch nicht vergessen, dieser Film "Murder on Trial in Italy" ist - soweit ich weiß - Ende 2012 auch in Italien gezeigt worden. Nach einem solchen Film ist genaugenommen ein faires Verfahren nicht mehr gegeben. Eigentlich müssten solche Produktionen bis zum endgültigen Abschluss verboten werden.
Sollte die Absimmung so gelegen haben, wird wohl nie mehr ein italienisches Gericht in einer Zusammensetzung, bei denen Laienrichter in der Überzahl sind, ein vernünftiges Urteil zustande bringen.
In Deutschland gibt es im Zivilrecht zumindest die Möglichkeit, dass dann das oberste Gericht ein endgültiges Urteil sprechen kann, wenn die Sachlage geklärt ist und keine weitere Beweiserhebung mehr notwendig ist. Dann kann das oberste Gericht die Sache zum Abschluss bringen und u.U. genau zum anderen entgegengesetzten Urteil kommen, als das niedere Gericht.
Im Strafrecht ist das in Deutschland nicht möglich, da Zeugenaussagen ausgerechnet im Strafrecht nicht protokolliert werden. Aber hier sind die Berufsrichter bei solchen Verfahren auch in der Überzahl.In Italien wäre das jedoch anders, vielleicht ist so eine endgültige Entscheidung durch den obersten Gerichtshof möglich, aber dazu müsste man genauer das Recht in Italien kennen.
Dass Herr Sollecito nicht gleich in das Gefängnis gesteckt wurde, ist in diesem Zusammenhang vielleicht so zu interpretieren, dass Nencini im zweiten Schritt hierüber abgestimmt hat, um noch das schlimmste verhüten zu können, denn eigentlich hätte hier auch eine direkte Inhaftierung drohen können. Vielleicht hat Nencini das Gericht noch davon abringen können.
Das ist aktuell die optimistischste Möglichkeit das Urteil zu erklären.
Die pessimistische ist natürlich, dass eine Verurteilung von vornherein abgesprochen war.
Aber hier würde ich Italien nicht verstehen, da so etwas dann unweigerlich zu einer Konfrontation mit dem EGMR führen würde. Einen größeren Justizskandal kann es dann eigentlich nicht mehr geben, Italien hätte sich vor der Weltöffentlichkeit in extremster Weise blamiert und allen gezeigt, dass von Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land keine Rede sein kann. Von einer erneuten Inhaftierung hätte Italien gar nichts und ein Auslieferungsantrag könnte durchaus zu Spannungen zwischen Italien und den USA führen, denn Richter in USA werden hier den italienischen Gerichten dann genau auf die Finger schauen und den Auslieferunsantrag höchstwahrscheinlich ablehnen. Italien hätte bei einem abgesprochen Urteil viel zu verlieren ohne wirklich etwas zu gewinnen.
Alles unter den Teppich zu kehren und die Angeklagten im Gefängnis verrotten lassen - was theoretisch auch eine Möglichkeit wäre - ist durch den EGMR hier kaum möglich. Außer Italien schafft es, die Beiden vor einer Entscheidung des EGMR in den Selbstmord zu treiben, was auch nicht unmöglich ist, denn solche Situation ist psychisch extremst belastend.