@ThoFra @AnNevis ThoFra schrieb:Das Quälen der Angehörigen - sofern man annimmt, dass dies vom Täter beabsichtigt war - würde ich nicht als 'ursprüngliches' Motiv sehen, sondern könnte mir eher denken, dass der Täter im Laufe der Entführung merkte/evtl auch aus Fraukes (weiteren) Umfeld 'zugetragen bekam', welches 'Wechselbad der Gefühle' Fraukes Anrufe/SMS bei ihren Angehörigen/ Chris verursachten und er dies zunehmend mehr genoss.
Das entspricht auch meiner Vermutung.
Außerdem gehe ich davon aus, dass es bei dem Täter während der Entführung eine Art dynamischer Weiterentwicklung seiner Machtbedürfnisse gab.
Als eine Vermutung:
Der Täter wollte unbeschränkte Macht über FL/eine Frau haben. Er wollte sie "besitzen", wie man unter halbwegs normalen Umständen eine Frau niemals besitzen kann.
Eine Frau, die ihn nicht verlassen, nicht einmal kurzzeitig von ihm weggehen kann. Die ihm immer verfügbar ist, die ihm immer zuhören muss und es nicht wagen kann, von ihm gelangweilt zu sein, ihm zu widersprechen oder mit einem anderen Ausdruck von Widerwillen zu reagieren. Die sich seinen Wünschen anpassen und jede Eigenständigkeit aufgeben muss, weil ihr als Entführungsopfer der eigene Wille genommen wird.
Eine Frau, für die es (in ihrer Gefangenschaft) keinen anderen Mann und überhaupt keinen anderen Menschen gibt, der ihre Aufmerksamkeit von ihm ablenken kann. Es gibt keinen Rivalen mehr, sondern nur noch zwei Menschen, die ohne Ablenkung aufeinander fixiert sind: ihn, den allmächtigen Täter, und sie, das hilflose Opfer.
Vielleicht war das die Situation, die der Täter sich "erträumte", von der er aber enttäuscht war, als sie Realität wurde.
Ein Opfer, das zunächst verzweifelt war, aber dann vielleicht immer apathischer wurde (durch die psychische und physische Erschöpfung, vielleicht auch durch die Sedativa, durch Flüssigkeitsmangel etc.) Vielleicht reichte es dann dem Täter nicht, FL "nur" körperlich in seiner Gewalt zu haben, und er wollte sie auch "psychisch" besitzen.
Vielleicht brachte es ihn auf, dass FL in ihrer Apathie sich ihm entzog, und vielleicht waren die Anrufe (der Wechsel von Hoffunung und Enttäuschung) für ihn ein Mittel, sie dieser Apathie zu entreißen und sie stärker auf ihn "auszurichten".
Vielleicht wollte er, dass sie ihn bat und ihn weinend anflehte, ihm schmeichelte, ihm Versprechungen machte etc. und damit
seine Macht in einer aktiveren Weise anerkannte.Ich glaube, dass solche Allmachtsphantasien nicht auf eine längere Dauer (und damit meine ich Tage und vielleicht auch nur Stunden) zu befriedigen sind. Deshalb wäre es für mich vorstellbar, dass der Täter das Verlangen nach immer stärkeren, immer eindringlicheren Erfahrungen seiner Macht entwickelte. Dass er nach weiteren Steigerungen seines Erlebens dieser Macht suchte.
AnNevis schrieb:Was war das Motiv und welche Indizien weißen darauf hin?
Das oben von mir Ausgeführte ist eine Spekulation, für die es keine Belege gibt. Ansatzpunkte für meine Spekulation sind:
1. Das letzte Gespräch lässt sich nach meiner Auffassung nicht mehr durch eine Hinhaltetaktik erklären.
Indem er FL deutlich länger als in den vorausgegangenen Telefonaten sprechen lässt, wird ihre desolate Verfassung und damit deren Ursache deutlich. Das kann nach meiner Meinung den Täter nicht völlig überrascht haben. Warum ist er nicht bei den kurzen Gesprächen mit den sehr knappen und von ihm vermutlich weitgehend vorgegebenen Sätzen geblieben? Ich sehe in dieser Abweichung nicht den geringsten Nutzen für den Täter.
Außerdem wurde in diesem letzten Gespräch - zum ersten Mal - ihre Rückkehr nicht mehr in Aussicht gestellt. Und das wäre aber nach meiner Meinung bei einer Fortsetzung der Hinhaltetaktik ein zentrales Element gewesen.
2. Bei Gewaltverbrechen, die keinen "externen" Zweck haben wie Raub, Lösegeld etc., spielt offenbar
Macht als Motiv eine dominierende Rolle. Psychologen weisen immer wieder darauf hin, dass es bei Vergewaltigungen meistens nicht "einfach nur"um ein vollkommen hemmungsloses sexuelles Begehren geht, sondern um den Wunsch nach Macht und Demütigung.
Im Fall Mirco sprach der Gutachter von "Gefühlen der Allmacht", die der Täter habe erleben wollen. (
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/urteil-im-fall-mirco-lebenslange-haft-fuer-den-moerder-11373968.html)
Ich erinnere mich auch an einen Fall nicht sexuell motivierter brutaler Gewalt: Zwei ca. 17jährige Schüler, die ein, ich glaube behindertes, Nachbarkind umbrachten, weil das Töten für sie das ultimative Machterlebnis bedeutete. (Ich habe jetzt in der Eile keinen Bericht über diesen Fall gefunden, über den Die Zeit damals einen ausführlichen Artikel veröffentlichte.)