@Slaterator @AnNevis Slaterator schrieb:Aber es war nicht aus der Luft gegriffen, dass der Täter von einem solchen oder ähnlichen Verhalten ausgehen konnte, auch ohne es bestätigt zu wissen. Die Polizei ermittelt ja im Normalfall bei verschwundenen, erwachsenen Personen nur dann, wenn ein Verbrechen oder der Verdacht einer Freiheitsberaubung naheliegt. Deshalb konnte der Täter auch annehmen, dass die Polizei bei einem Lebenszeichen zunächst einmal abwarten würde.
AnNevis schrieb:Bei dieser Motivation muss er nicht das Umfeld zwingend kennen, vielmehr muss er wissen oder mutmaßen, wie die Polizei üblicher Weise bei derartigen Vermisstenfällen reagiert/agiert.
Es stimmt, bei Vermißten, die Opfer eines Verbrechens werden, ist es nicht selten, dass die Polizei erstmal keinen Anlass für Ermittlungen sieht.
Im Fall FL war das aber völlig anders: Die Kripo hat
ungewöhnlich früh mit Ermittlungen begonnen. In weniger als 48 Stunden nach FLs Weggang aus dem Pub lag der Kripo bereits der Absendeort der 1. SMS vor.
In diesem sehr kurzen Zeitraum musste die Kripo also die Staatsanwaltschaft eingeschaltet haben, ein Ermittlungsrichter die Herausgabe der Funkzellendaten angeordnet und der Netzbetreiber der Kripo die Informationen übermittelt haben - und das alles, obwohl FL volljährig war, die Authentizität der 1. SMS weder von Polizei noch den Angehörigen bezweifelt wurde und es keinen einzigen Hinweis auf Gewaltanwendung gab.
Wenn wir uns die Perspektive eines Täters
ohne Informationen vergegenwärtigen:
Er konnte nicht wissen, dass die Kripo die Ermittlungen eher widerwillig und unter großem Druck der Angehörigen aufgenommen hatte.
In der Lokalpresse (vgl. Beitrag von
@JaneDoe-01 vom 01.08.2019 um 20:05 auf S. 3788) war am Freitag bereits zu lesen, dass die Kripo ein Verbrechen nicht ausschloss und die 1. SMS aus Nieheim versandt worden war; eventuell war das online schon am Donnerstagabend möglich.
Was hätte einen Täter
ohne Informationen zu der Annahme veranlassen sollen, dass die Kripo
aufgrund der Anrufe den
bereits bestehenden Verdacht auf ein Verbrechen aufgibt?
Bei einer genaueren Betrachtung waren diese Anrufe weitaus eher zu einer
Bestätigung des Verdachts geeignet.
Donnerstag, 22. Juni 2006, 22.25 Uhr, Gedächtnisprotokoll von Mitbewohner Chris: "Hallo Christos, ich wollte sagen, dass es mir gut geht und dass ich bald nach Hause komme. Sage Mama und Papa und den anderen Bescheid." aus: Stern-Artikel
https://www.stern.de/panorama/stern-crime/paderborn--das-mysterioese-verschwinden-von-frauke-liebs-6832006.htmlBei einer nur sehr oberflächlichen Kenntnisnahme ließe sich das Gespräch so zusammenfassen: FL hat sich gemeldet, versichert, dass es ihr gut geht und sie bald nach Hause kommt. Einem solchen Verständnis zufolge konnte man diesen Anruf als Entwarnung deuten.
Dafür musste man dann allerdings ignorieren, was gegen eine solche Auffassung sprach - und das war nicht wenig.
1.
"Das war wie ein Text, den sie langsam und monoton vorgetragen hat. Total benommen, wie auf Drogen, gar nicht sie selbst." - so Chris' Beschreibung (aus: Stern-Artikel).
2.
"Sie legte direkt wieder auf. Ich konnte keine Frage stellen. " (Aussage von Chris im Stern-Artikel)
3. Chris' Anrede mit Christos:
"Christos? Das sagte sie nur zu mir, wenn sie sauer war. Wenn ich genau zuhören sollte." (Chris im Stern-Artikel)
Auch der 2. Anruf war nicht überzeugender. Zwar konnte ihn FL selbst entgegen nehmen, aber sie wiederholte nur das, was in der unmittelbar zuvor versandten SMS stand, ergänzt durch "Frag nicht" und "Kann ich nicht sagen".
Dem Täter waren die Schwächen der Anrufe bestens bekannt. Ohne Informationen hätte er doch damit rechnen müssen, dass die Telefonate den Verdacht der Kripo gerade bestärkten. Dann aber hätten ihm die weiteren Anrufe sehr leicht zum Verhängnis werden können.
Ich will das Verhalten der Paderborner Kripo keineswegs anprangern. Fehler machen ausnahmslos alle, und im Fall der Paderborner Kripo gibt es sicher Gründe, die diesen Fehler nachvollziehbar machen. (Und ich glaube auch keineswegs, dass FL bei einer anderen Entscheidung der Kripo hätte gerettet werden können. Da ich davon ausgehe, dass der Täter über Informationen verfügte, glaube ich, dass der Täter im Fall weitergehender Ermittlungen sich nicht mehr gerührt und die Kripo dann keine Möglichkeit gehabt hätte, ihn zu fassen.)
Aber die Entscheidung der Paderborner Kripo, aufgrund der Anrufe von einem freiwilligen Verschwinden FLs auszugehen, war ein Fehler und keineswegs für den Täter erwartbar.