LissyB schrieb:Deuten jedoch Begrüßung und Verabschiedung, das Weitergeben an die Schwester, das Laufenlassen des Telefonats nach dem „Ja“ etc. zwingend darauf hin, dass , sagen wir, eine akute Bedrohung für FL vorlag?
Auf Fraukes Aufforderung, sie solle doch wieder nach Hause kommen, erwidert FL: "Das geht nicht, ich lebe noch!"
Für diesen Satz gibt es hier im Threat zwei Interpretationsweisen: Man kann ihn verstehen als "Das geht nicht, weil ich noch lebe" oder als "Das geht nicht, aber noch lebe ich."
Gleichgültig, für welche Deutung man sich entscheidet: Der Satz macht, glaube ich, deutlich, dass FL eine "akute Bedrohung" für ihr Leben sah.
LissyB schrieb:Ich kann nur meine Frage wiederholen: Wieso beendete der Täter das Gespräch nicht nach dem „Ja“?
Der Täter ließ in diesem letzten Gespräch noch weitere Äußerungen zu, die jede noch so schwache Hoffnung auf ein freiwilliges Wegbleiben zerstörten:
"Das geht nicht, ich lebe noch!"
"Bitte frag mich nicht. Ich würde gerne bei euch sein. Ich würde gerne nach Hause."
Wenn ich die Telefonate miteinander vergleiche, stelle ich einen merkwürdigen Bruch fest:
Das erste Telefonat entspricht dem, was man von einem Entführer, der ein freiwilliges Verschwinden vortäuschen will, erwarten würde.
Aber mit dem zweiten Anruf taucht für mich ein weiteres Motiv des Täters auf, das schließlich jenes erste Motiv überlagert. Hier wird (wie in den Telefonaten an den nächsten beiden Tagen) ihre Rückkehr noch "heute" angekündigt. Mit konsequenter Vortäuschung von Freiwilligkeit hat das nach meinem Verständnis nichts mehr zu tun.
Zwar gibt es in diesem zweiten, dritten und vierten Gespräch noch kein Eingeständnis ihres Festgehaltenwerdens oder irgendwelche emotionalen Äußerungen, die auf das Elend ihrer Lage hinweisen, aber diese dreimaligen und immer enttäuschten Rückkehrankündigungen (an drei aufeinanderfolgenden Tagen) beunruhigen ihre Angehörigen und Freunde immer mehr.
Danach gibt es nur noch einen (letzten) Anruf, in dem keine Rückkehr mehr angekündigt wird und der ihre Eltern und Freunde in der Gewissheit zurücklässt, dass FL in größter Gefahr ist.
Warum hat der Täter dem ersten Anruf nicht 2 Tage später ein Telefonat folgen lassen, in dem FL nur mitteilte, es ginge ihr gut, man solle sich keine Sorgen machen, in spätestens 5 oder 7 Tagen sei sie wieder zu Hause?
Nach meiner Ansicht war der Täter offensichtlich darum bemüht, möglichst keine Spuren zu hinterlassen und hat in allem sehr überlegt gehandelt. Deshalb unterstelle ich ihm auch bei diesem "Bruch" in den Telefonaten Absicht und Überlegung. Nach meiner Meinung also ging es dem Täter immer weniger um die konsequente Vortäuschung von Freiwilligkeit.
Und man sollte, glaube ich, auch beachten, dass trotz der größeren Offenheit FLs im letzten Gespräch nichts verraten wurde, was Hinweise auf den Täter, den Festhalteort gegeben hätte. (Das allerdings muss ich einschränken: offensichtlich nichts, was von dem Täter zu diesem Zeitpunkt als ein solcher Hinweis wahrgenommen werden konnte.) Worauf ja auch rayden schon hinwies:
rayden schrieb: zum Anderen war es dem Täter wie auch ihr selbst eventuell klar, dass es eh das letzte Telefonat sein würde, und er hat deshalb etwas mehr zugelassen, daher dann auch dieses ausführliche Gespräch, in dem sie nach ihren Eltern fragt, mit Karen sprechen kann, sagen kann, dass sie alle ganz doll liebt, usw. . Aber konkretere Fragen schmettert sie einmal mehr alle ab.
Ich bin überhaupt nicht der Meinung, der Täter habe vor allem FLs Angehörigen quälen wollen (das war nach meiner Ansicht nur ein "angenehmer Nebeneffekt" für ihn).
Aber FL hätte er mit solchen Telefonaten sehr quälen können: das "Katz- und Mausspiel" durch die Hoffnungen und Enttäuschungen der Rückkehrankündigungen, aber auch durch die kurze Nähe zu den Menschen, die ihr am nächsten standen. Diese Nähe musste FL ihre Gefangenschaft, ihr Ausgeliefertsein an den Täter umso grausamer empfinden lassen.
Ich glaube, man muss nicht unbedingt davon ausgehen, dass der Täter alles von Anfang an genau geplant hatte. Ich halte auch eine dynamische Entwicklung für möglich, die seinen Wunsch steigerte, sein Opfer immer mehr zu quälen.
Vielleicht hat der Täter FL entführt, weil er sie uneingeschränkt "besitzen", sie "für sich allein haben" wollte. Vielleicht hat ihm ihr körperlicher "Besitz" (der nicht zwingend Vergewaltigungen einschließt) nicht mehr genügt und er wollte sie auch psychisch "besitzen".
@frauZimt schrieb hier mal (leider finde ich das Zitat jetzt nicht), dass der Täter FL vielleicht habe hungern und dursten lassen, um ihre Hinwendung zu ihm (flehentliche Bitten) zu erzwingen. Nach meiner Ansicht konnten die Telefonate ein Mittel sein, ihr seine Macht zu vergegenwärtigen, ihr zu zeigen, dass ihr Leben und einfach alles von ihm abhing. Vielleicht hatte er die Vorstellung, dass er so für FL immer wichtiger und gottähnlicher würde, während die Bedeutung der Menschen, die sie liebte, durch ihre Unfähigkeit, ihr zu helfen, immer mehr verblassen würde.
Die Kripo, die sicher mehr weiß als sie veröffentlicht hat, geht mit Sicherheit davon, dass FL eine Woche festgehalten und dann wahrscheinlich ermordet wurde (zumindest aber durch den Täter verursacht gestorben ist).
Welche Motive kommen für einen solchen Täter in Frage?
Ein Lösegeld oder eine andere Erpressung wären ein rationaler Zweck für eine Entführung, die Qual des Entführungsopfers das in der Sicht des Täters "notwendige" Mittel zu diesem Zweck. Ein solcher Täter wäre skrupellos, aber man müsste nicht davon ausgehen, dass ihm die Qual seines Opfers irgendeine Freude bereitet. Diese Motive können wir aber ausschließen.
Anders sehe ich es im Fall FL. Hier lag nach meiner Meinung der Zweck dieses Verbrechens für den Täter allein darin, FL in seiner Gewalt zu haben.
Selbst wenn der Täter zunächst nicht die Absicht gehabt haben sollte, FL umzubringen: Welcher halbwegs "normale" Mensch würde das Zusammensein mit einem Menschen genießen können, den er nur durch Gewalt bei sich behalten kann? Wer würde völlig ungerührt die Qual dieses Menschen erleben?
Das ist mir nur vorstellbar bei einem Menschen, der hemmungslos auf seine eigenen Wünsche und Wahrnehmungen ausgerichtet ist und dem Empathie und Gewissen fehlen.