Malinka schrieb:Für mich ist das der springende Punkt: hätte eine andere Möglichkeit
für Fraukes fortbleiben in Erwägung gezogen werden können, so hätte
man gewiss nicht so schnell Alarm geschlagen.
Isabella rief Chris ja extra vorher an um zu erfahren ob Frauke verschlafen hätte oder krank
geworden ist. Sie ging ja davon aus, dass Frauke nachhause gegangen ist.
Auch hat Isabella am Abend zuvor selbst wahrnehmen können, dass
Frauke müde war und auch (ihrer Meinung nach) ganz bestimmt nachhause wollte
und nicht erst irgendwo anders hin.
Als Chris ihre dann sagte, er hätte geglaubt Frauke hätte bei Isabella übernachtet,
war Isabella klar, dass etwas nicht stimmen kann.
Nicht nur diese Tatsache, auch der fehlende Akku, das nicht eingehaltene Versprechen
von Frauke per SMS und die Tatsache, dass Frauke zuverlässig war haben dazu geführt,
dass Frau Liebs so reagiert hat.
Ich stimme Dir vollkommen zu! Laß uns doch mal das Argument umdrehen.
Vll. sagt ja das Ausbleiben einer "Erklärung", "Abwesenheitsmeldung beim Arbeitgeber", "Krankmeldung", etc.
am Mittwoch mehr über die Sozialisation des Täters als über die von FL aus.
Dazu folgende Überlegung: Es wurde ja schon öfters erwähnt, FL hatte "eine beste Freundin", eine
"zweitbeste Freundin", etc. Nennen wir es mal "abgestufte, enge soziale Bindungen". Dieses Phänomen ist
bei Jugendlichen erfahrungsgemäß stark ausgeprägt, nimmt aber mit zunehmendem Alter ab. Einfach
weil man menschlich reift und dabei unabhängiger von einer Gruppe und Personen wird. Eben, was man unter
dem Begriff "selbstbestimmt" zusammenfassen kann und was einem der Gesetzgeber zugesteht.
Wenn man volljährig wird und z.B. noch zur Schule geht, kann sich ab dann die Entschuldigungen für die
Fehlstunden selber schreiben. Bei uns am Gymnasium gab es daher jährlich eine von dem Lehrerkollegium
zusammengestellte "Hitliste" mit den schrägsten Entschuldigungen (anonymisiert), die in der Schule veröffentlicht
wurde und auch den Eltern zugänglich war. Damit sollte auf dieses Problem aufmerksam gemacht werden, allerdings
stellte das tatsächlich keinen wirksamen Hebel dar.
Speziell der Gelegenheits-Schwänzer von unliebsamen Fächern sieht es so nicht gern, wenn die engsten Freunde z.B.
bei den Eltern anrufen und fragen, was mit dem jeweiligen Freund denn heute loswar.
Bei einem späteren Arbeitgeber wird zwar verlangt, dass man sich bei Krankheit etc. abmeldet, aber die Kollegen
und Vorgesetzen telefonieren einem normalerweise nicht gleich hinterher. Hängt sicherlich von der Position
und aktuellen Aufgabe ab. Wichtig aber ist allein das ärtzliche Attest und die Abmeldung.
Nun war es bei FL aber nicht so. Sie war zwar schon lange volljährig und verfügte über abgestufte, enge soziale
Bindungen (eher jugendlich-typisch) und war wohl auch nicht so der Typ für's Schwänzen. "Zuverlässig" halt.
Wir müssen also vll. die Situation aus dem Blickwinkel des Täters sehen. Wenn er am Mittwoch die Kontrolle
über FL hatte, sehen wir in der Situation ein Verhalten, welches eher die Sozialisation des Täter spiegelt. Es
könnte also sein, dass
- er deutlich älter war als FL (eben selbstbestimmter). Vielleicht auch ein Einzelgänger ohne enge soziale
Bindungen
- er entweder eine selbstbestimmte Tätigkeit im "normalen Leben" hatte (also keine Abmeldungen vornimmt, wenn
er was anderes machen will), oder aber über gar keine Anstellung verfügt und somit die hinterlegten Prozesse
gar nicht im Blick hat.
- er schon in jungen Jahren eine soziale Isolation erfuhr, vll. notorischer Schulschwänzer war und über den Prozess
des Verfassen und der Wirkung von nachgereichten "Entschuldigungen" bereits einschlägige Erfahrungen hatte.
Ich würde so denken, dass er erst mit dem Bekanntwerden der Suchaktion auf dieses Problem so richtig aufmerksam
wurde. Seine eigene Sozialisation hatte ihm den Blick für diese wichtigen Aspekte versperrt, weil es in seinem
eigenen Leben einfach "anders" funktioniert hat.