Malinka schrieb:Wenn die Anrufe als Reaktion auf die Berichterstattung kamen und nicht Teil eines Planes waren, dann muss der Täter ja von etwas aufgeschreckt worden sein.Sonst hätte er nichts weiter tun müssen als die Füße still halten.Denn mit oder ohne Anrufe, wie du schon selbst oben geschrieben hast, kann man nicht sicher sein ob das ganze nicht doch auffliegt weil irgendetwas dazu führt wie z.b.rumschnüffelnde Nachbarn oder die Flucht von Frauke.Da die Anrufe aber ein zusätzliches Risiko entdeckt zu werden bedeuten, muss sich das Risiko ja auch lohnen. Somit müssen die Anrufe einem solchen Täter einen Vorteil bringen. Das geht aber nur, wenn der Täter sich ohne die Anrufeim Nachteil gesehen hat.
Offenbar hat der Täter FL erst anrufen lassen, nachdem ein Appell an sie veröffentlicht wurde, sich zu melden. Diesem Appell konnte der Täter entnehmen, dass die Polizei noch nicht von einer Entführung ausgeht, und indem FL, wie in dem Appell gefordert, sich meldete, konnte der Täter die Polizei in der Annahme bestärken, FL sei freiwillig verschwunden. Ich nehme an, dass dieser Appell den Täter erst auf die Idee brachte, FL telefonieren zu lassen.
Der Täter muss also durch die Berichterstattung der Medien nicht "aufgeschreckt" worden sein, sondern kann im Gegenteil den Appell als großartige Chance begriffen haben. Das Risiko, FL telefonieren zu lassen, war nicht allzu groß, denn es gab noch keine Fahndungsmaßnahmen. Aber sehr groß war der Gewinn für den Täter: Der Anruf führte dazu, dass die Polizei auch in den nächsten Tagen keinen Anlass sah, von einem Verbrechen auszugehen. Ohne dieses Lebenszeichen hätte es anders ausgesehen und der Täter wäre dem enormen Druck einer Fahndung ausgesetzt gewesen.
Malinka schrieb:Was für mich wiederum bedeutet, dass bereits Dienstag Nacht etwas passiert sein muss was ihn hätte auffliegen lassen können. Sonst bräuchte der Täter in deiner Überlegung meiner Meinung nach keine Kontakte stattfinden lassen.
Ich gehe davon aus, dass der Täter eine Fahndung zu fürchten hatte. Er hatte FL Dienstagnacht entführt, und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es keine Spuren gab, die zu ihm führen konnten. Ich nehme an, dass der Täter nur zur Peripherie von FLs Bekanntenkreis gehörte und sie keinen Telefon-, Email- und SMS-Kontakt zu ihm hatte (und er bei einer späteren Überprüfung ihres engeren Umfelds nicht in den Fokus der Ermittler geraten würde). Aber er hat vermutlich öfter versucht, in ihrer Nähe zu sein und etwas über sie zu erfahren - und vor allem: Dienstagnacht muss es ja zu einem unmittelbaren Kontakt zwischen beiden gekommen sein. Ob er sie gewaltsam in sein Auto gebracht hat oder mit dem "freundlichen" Angebot, sie nach Hause zu fahren: Er muss auf sie gewartet haben, ihr vielleicht schon den ganzen Abend mit dem Auto gefolgt sein etc., vermutlich sie auch schon in den vergangenen Tagen oder Wochen gestalkt haben. (Ich halte es nicht für abwegig, dass er nicht erst seit Dienstag auf die Gelegenheit wartete, sie entführen zu können.)
Zwar wurde der Täter nicht bei der Begegnung mit FL beobachtet, aber es gab sicher Leute, die ihn oder sein Auto, während er auf FL wartete, wahrgenommen hatten. Aber ohne den Hintergrund einer Entführung sind das Beobachtungen, die man sehr schnell als völlig belanglos vergisst. Wäre FLs Verschwinden sehr früh als Entführung eingestuft worden, hätten sich einige vielleicht noch an einen Mann, der längere Zeit irgendwo herumsaß, erinnern können.
Und auch während der Entführung hätte ihm eine Fahndung sehr gefährlich werden können. Nachbarn, Bekannte etc. hätten vielleicht Begebenheiten kritisch zur Kenntnis nehmen können, die ihnen unter normalen Umständen überhaupt nicht weiter auffielen.
Es ist also völlig nachvollziehbar und vernünftig, dass der Täter FL das erste Telefonat führen ließ. Aber dann setzt ein, was ich als merkwürdigen Bruch seiner Strategie empfinde. Mit dem ersten Lebenszeichen von FL hatte er das Ziel, eine Fahndung zu verhindern und sich damit eine weitaus größere Sicherheit zu verschaffen, erreicht.
Warum dann weitere Anrufe? Zumal Anrufe, die an FLs freiwilligem Verschwinden immer größere Zweifel weckten - vor allem durch die nie eingehaltenen Ankündigen, in wenigen Stunden nach Hause zu kommen. Zwar verzichtet er keineswegs auf Vorsichtsmaßnahmen (Fahrt in die entlegenen Gewerbegebiete, Kontrolle der Telefongespräche etc), aber es lassen sich keine "normalen" Vorteile erkennen, die er damit gewinnt.
Warum konnte er sich offenbar sicher sein, dass die Polizei ihre Ansicht inzwischen nicht geändert hat? Hätten der Polizei z. B. am Abend des letzten Telefongesprächs die Funkzellenauswertungen der vorangegangenen Gespräche vorgelegen, wäre sie gar nicht auf eine Ortung angewiesen gewesen, sondern hätte sofort bei Beginn des Telefonats die Ausfahrten aus den Gewerbegebieten im Osten und die Auffahrten zur B64 durch Straßensperren kontrollieren können. Nichts dergleichen geschah, und ich halte es für wahrscheinlich, dass der Täter sich entsprechende Informationen über FLs Bekanntenkreis verschaffen konnte. (Die Familie war ja zunehmend verzweifelt über die Untätigkeit der Polizei, und von dieser Verzweiflung wussten sicher viele. Der Täter brauchte ja keine detaillierten Informationen, es reichte für ihn doch völlig aus, dass die Polizei nichts weiter unternahm.)
Aber selbst wenn der Täter um das nicht so große Risiko wusste - ein Risiko war es immer noch. Was brachte den Täter also dazu, FL dennoch telefonieren zu lassen?
Ich finde, gerade das letzte Gespräch liefert dafür einen Anhaltspunkt. Es dauert länger als sonst, und FL muss in seinem Verlauf nicht verbergen, dass es ihr sehr schlecht geht. Auch kann sie ihren Eltern eine sehr emotionale Mitteilung zukommen lassen: „Sag ihnen, dass ich sie ganz doll liebe." Ebenso darf sie ihre Sehnsucht nach ihrer Familie aussprechen: "Ich würde gerne bei euch sein. Ich würde gerne nach Hause."
Warum ließ der Täter sie ein solches Gespräch führen? Den einzigen Sinn kann ich nur in dem sehen, was dieses Gespräch für FL und ihre Familie bedeutete. Ihrer Familie wird mit brutaler Klarheit deutlich, dass FL festgehalten wird, es ihr sehr schlecht geht, sie dringend Hilfe braucht und sich nach ihrer Familie sehnt. Fl wird eine kurze Nähe zu den Menschen, die ihr am nächsten stehen, erlaubt, was sie ihr Ausgeliefertsein an den Täter umso grausamer empfinden lassen muss.
Und das ist auch der einzige Sinn, den ich in ihren immer enttäuschten Ankündigungen, in wenigen Stunden, wieder zu Hause zu sein, erkennen kann. Der Täter kann große Hoffnungen entstehen lassen und diese Hoffnungen mit der gleichen Leichtigkeit zerstören. Er kann FL und ihre Familie fühlen lassen, dass er unbeschränkte Macht über sie besitzt. Und es liegt auch eine besondere Grausamkeit darin, FLs Familie ihre Hilflosigkeit in dieser Eindringlichkeit (besonders im letzten Gespräch) erfahren zu lassen: das Wissen, dass Frauke gerettet werden muss und auch irgendwie gerettet werden könnte - und dann das verzweifelte Scheitern aller Versuche.
Die Entführung und der Tod ihrer Tochter wären ohnehin schon unsagbar grausam gewesen, aber wenn der Täter diese Qual noch "optimieren" wollte, dürfte ihm das gelungen sein.