@schluesselbund schluesselbund schrieb:Und im Heu wären spuren von Übernachtungen erkannt worden. Letztlich soll man sich in der Küche auch an Nahrungsmittel bedient haben.
@jaska jaska schrieb:Heukuhlen
Verschobene Dachziegel
Verbrauchte Vorräte (kein Brot mehr, frisch angeschnittenes Rauchfleisch)
Rauchender Schornstein am Samstag
Begegnung am Backofen am Samstag
schlechter Zustand, aber Überleben der Tiere
Abdecken der Leichen
Durchsuchung 1 Schrankes
Verstecken der Reuthaue
Die hier vorgebrachten Punkte können einen Verbleib bis Sonntag nicht nachweisen. Wesentliche Quellen sind die drei überlieferten Berichte der Ermittler
- das Augenscheinsprotokoll von OAR Wiessner vom 05.04.1922
- der Bericht von KOI Reingruber vom 06.04 und
- die Zusammenfassung von StA Pielmayer vom 26.11.1926.
Hinzuziehen kann man noch diverse Zeugenaussagen, wobei deren Wahrheitsgehalt schwer nachprüfbar bleibt.
Zu den Punkten im einzelnen:
1. Die Heukuhlen
OAR Wiessner äußert sich hierzu wie folgt:
"Auf diesem Boden liegt verstreut ein Haufen Stroh u.in diesem Stroh fanden sich Eindrücke, wie wenn dort eine oder mehrere Personen längere Zeit gelegen wären."
StA Pielmayer fasst das noch einmal wie folgt zusammen:
"Auf dem Boden über dem Maschinenhaus lagerte Stroh, in welchem Vertiefungen ersichtlich waren, als wenn jemand im Stroh gelegen hätte."
Beide Ermittler lassen mit ihren Formulierungen auch klar erkennen, dass es keinesfalls als gesichert anzunehmen ist, dass der Täter (Anm: auch wenn ich im Folgenden der Einfachheit halber vom Täter im Singular schreibe, sind selbstverständlich auch mehrere Täter möglich) im Heu gelegen hat.
Daher lässt sich daraus weder schließen, dass die "Eindrücke" tatsächlich dadurch entstanden sind, dass dort jemand gelegen hat und nicht etwa andere Ursachen hatten, noch dass wenn tatsächlich jemand dort gelegen wäre, diese Person der Täter war oder er das nach der Tat getan hat. Schon gar nicht kann man daraus schließen, wie lange das nach der Tat noch der Fall gewesen wäre.
2. Verschobene Dachziegel
Das Verschieben der Dachziegel ist eine Handlung, die höchstwahrscheinlich vom Täter vorgenommen wurde. Unklar ist aber, wann er das getan hat. Ich stimme dahin gehend zu, dass ein Verschieben nach der Tat wahrscheinlicher ist, als vorher, aber ausschließen kann man das gerade nicht. Unabhängig davon sind die verschobenen Dachziegel auch als angenommene Nachtathandlung kein Nachweis dafür, dass der Täter länger als bis Samstag früh auf dem Hof blieb.
3. Verbrauchte Vorräte (kein Brot mehr, frisch angeschnittenes Rauchfleisch)
Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass die Ermittler Brot überhaupt nicht erwähnen. Jedenfalls wird dessen Fehlen in den Berichten nicht explizit erwähnt und insofern dem scheinbar keine größere Bedeutung beigemessen. Denkbar ist auch, dass tatsächlich noch ein - mglw. kleiner - Brotvorrat vorhanden war, der vielleicht noch einen Tag gereicht hätte und ein entsprechender Backtag anstand. Insofern ist die nichterwähnung von Brot nicht weiter aussagekräftig. Einen konkreten HInweis darauf, dass den Ermittler gerade das fehlen von Brot auffiehl, gibt es in deren Berichten nicht.
Unterstellt es gab tatsächlich kein Brot mehr am Tatort als die Ermittler eintrafen, ist bereits fraglich, wer das Brot verbraucht hat. Ich gebe hier zu bedenken, dass die Ermittler an einen hochgradig kontaminierten Tatort kamen. Zum Zeitpunkt des Eintreffens der Gendarmerie waren bereits viele Personen aus dem Dorf am Tatort gewesen und hatten sich diesen angesehen und sich zum Teil auch um die Tiere gekümmert. Es ist absolut denkbar, dass hier Dörfler sich bedient haben. Einen Hinweis darauf gibt es zB in der - zugegebenermaßen späten - Aussage des Freundl:
"Im Motorenhaus, welches im Stadel eingemauert war, stand ein Zuber eingesurtes Fleisch. Schlittenbauer forderte mich auf von dem Fleisch etwas wegzunehmen und zu essen."
Gerade bei Brot halte ich es für vorstellbar, dass es, um nicht weiter hart zu werden, an die Dörfler weitergegeben wurde, bevor noch die Ermittler eintrafen, gerade dann wenn der Vorrat
größtenteils aufgebraucht war und ein Backtag bald anstand. Das gleiche gilt auch für das Rauchfleisch, wobei hier bereits in Betracht zu ziehen ist, dass das Rauchfleisch auch schon von den Opfern angeschnitten wurde. Die Erwähnung bei Wiessner und Pielmayer lässt korrekterweise völlig offen, ob der Täter dafür verantwortlich war. Es wird lediglich - auch wieder korrekterweise - in Betracht gezogen.
Unabhängig davon wäre aber das Verbrauchen von Brot und Rauchfleisch kerin Hinweis auf ein längeres Verweilen am Tatort. Bereits nach der Tat kann der Täter einiges verzehrt haben. Denkbar ist die weitere Mitnahme von Reiseproviant. In jedem Fall lässt sich damit nicht ein Verbleib bis Sonntagfrüh begründen.
4. Rauchender Schornstein am Samstag
Der rauchende Schornstein aus einer Aussage von Plöckl, die dieser ausweislich einer Aktennotiz auf einer anderen Aussage bereits am 05.04.1922 getätigt hatte. Sie wird inhaltlich von Pielmayer wie folgt wiedergegeben:
"Will der Zeuge Plöckl doch sogar gesehen haben, dass am 1. April 1922 abends, also zu einer Zeit, zu welcher die Tat schon verübt sein musste, der Backofen geraucht hat."
"Ein Zeuge, Michael Plöckl, der am Samstag, den 1.April morgens, sodann am gleichen Tag des Abends wieder am Hinterkaifeck Anwesen vorbeigegangen ist, will bemerkt haben, dass am Morgen die Backofentüre geschlossen, abends aber ungefähr halb offen war und dass am Abend der Kamin etwas geraucht haben soll; auch will er an dem Wald, der in der Nähe des Anwesens bis nahe an die Strasse geht, am Abend ein aufblitzendes Licht, wie etwa von einer Taschenlaterne kommend, bemerkt haben."
Ich gehe davon aus, dass Pielmayer hier die Aussage, die ihm mit an Sicherheit grenzdere Wahrscheinlichkeit vorlag, korrekt wiedergibt. Und angesichts dieser Zusammenfassung ist eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Aussage berechtigt. Als Plöckl die Wahrnehmungen gemacht haben will, wusste er noch nichts von dem Tod der Hinterkaifecker. Insofern war für ihn zunächst einmal das Wahrgenommene nichts ungewöhnliches. Ungewöhnlich - und damit bemerkenswert und erinnerungswürdig - wird es erst durch den Tod der Hinterkaifecker. Daher ist es absolut denkbar, dass sich ein Erinnerungsfehler eingeschlichen hat und eine frühere Wahrnehmung aus einer Zeit, als die Hinterkaifecker noch lebten, auf diesen Samstag projeziert wurde. Jedenfalls ist ohne sonstige konkreten Hinweise es völlig unklar, wieso sich Plöckl diese Belanglosigkeit merken und so exakt auf dem Samstag datieren konnte. Ich verweise wieder einmal auf diesen aufschlussreichen
Aufsatz von Erdfelder, der ein guter Einstieg in die Problematik des Augenzeugen ist. (Am Rande sei auch angemerkt, dass Plöckl nicht unmittelbar nach der Wahrnehmung befragt wurde, sondern vier Tage später.)
Unabhängig davon, stellt sich auch die Frage, wie Plöckl diese Wahrnehmung zum konkreten Zeitppunkt gemacht haben will. Aus Pielmayers Zusammenfassung wird nicht ganz klar, wann Plöckl da lang ging, aber es war auf jeden Fall der abend. Sonnenuntergang dürfte um 18:45 Uhr gewesen sein. Im Übrigen war Viertelmond. Laut einer - zugegebenermaßen sehr späten - Aussage (1984) seiner Schwester Sophie Fuchs - hatte Plöckl noch ein Gewitter auf dem elterlichen Hof abgewartet, bevor er dann an HK vorbei nach Hause ging. Dies soll um 23:00 Uhr gewesen sein. Unter diesen Sichtverhältnissen - nachts, Viertelmond, wahrscheinlich bedeckt - ist es schon fraglich, wie Plöckl den Rauch vom Backhäuschen gesehen haben kann.
Korrekterweise gibt Pielmayer diese Aussage auch entsprechend als unbelegte Behauptung des Plöckl wieder ("[w]ill [...] doch sogar gesehen haben", "will bemerkt haben").
Schließlich aber wäre auch das rauchende Backhäuschen kein Beleg für einen noch am Samstag darin verweilenden Täter. Das Backhäuschen war von der Straße aus zu sehen und leicht zu erreichen. Wenn die Aussage von der Schwester des Plöckl hinsichtlich des Unwetters zutreffend ist, ist uf jeden Fall in Betracht zu ziehen, dass hier überraschte Reisende auf der Straße dort Schutz suchten und - falls schon durchnässt - sich auch kurzfristig wärmen/trocknen wollten. Das erscheint mir in diesem Zusammehang auch naheliegender, als davon auszugehen, dass der Täter sich dort zu schaffen machte und damit sein Entdeckungsrisiko weiter unnötig erhöhte. Der hätte - für was auch immer - den Ofen in der Küche nutzen können.
5. Begegnung am Backofen am Samstag
Für eine Begenung am Backofen gibt es keinen belastbaren Beleg. Plöckls Aussage, so wie sie bei Pielmayer wiedergegeben wird, enthält eine solche Begegnung nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass Pielmayer eine solche erwähnt hätte. Der Zusammenfassung ist ganz klar zu entnehmen, dass Plöckl nur eine unterschiedliche Türstellung und etwas Rauch bemerkt hat sowie ein aufblitzendes Licht am Waldrand (nicht am Backofen). Was den Lichtblitz angeht, so kann man annehmen, dass dafür eine Person verantwortlich ist. Wer das war und warum da dieses Licht blitzte, lässt sich aber dieser Aussage nicht entnehmen. Am wahrscheinlichsten ist auch hier ein Reisender auf der Straße, der sich kurz den Weg in der Dunkelheit beleuchtet hat, um Strom (falls tatsächlich elektrisch) oder Öl zu sparen.
Nach kritischer Analyse der Quellen stellt sich die Begegnung am Backofen als ein Mythos heraus, der höchst wahrscheinlich durch Dritte (oder auch durch Plöckl selber) später hinzugedichtet wurde.
6. schlechter Zustand, aber Überleben der Tiere
Zu der Frage, ob die Tiere gefüttert wurden, gibt es unterschiedliche Aussagen, ebenso zu der Frage, ob und ggf. wie lange die Tiere ohne Fütterung hätten überleben können. Es gilt zu bedenken, dass bei einer letzten Fütterung bspw. am Samstag morgen, die Tiere nur drei Tage ohne Futter auskommen mussten, bei einer letzten Fütterung Samstag nacht knapp vier Tage. Dabei muss man zugrundelegen, dass die Tiere damals genügsamer waren als heute, insbesondere auch einen geringeren Wasserverbrauch hatten. Generell macht eine spätere Fütterung das Überleben wahrscheinlicher, aber diese ist nach den vorliegenden Informationen nicht zwingend.
7. Abdecken der Leichen
Das Abdecken der Leichen hat wenig Zeit in Anspruch genommen. Kind und Magd waren einfach und schnell mit herumliegenden Sachen abgedeckt. Lediglich der Stapel im Heu war etwas aufwendiger, weil hier die Türe und das Heu noch aufgeschichtet wurden. Dafür würde ich eine Stunde Zeit ansetzen und das wäre mE großzügig bemessen.
8. Durchsuchung 1 Schrankes
Die Durchsuchung von einem Schrankes kann maximal nur eine halbe Stunde in Anspruch genommen haben. Angesichts der gezeigten Schränke auf dem Tatortfoto wäre es wahrscheinlich auch mit zehn oder fünfzehn Minuten getan gewesen. Hätte der Täter alle Schränke wirklich gründlich durchsucht, komme ich großzügig berechnet auf eine gute Stunde. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Die Tatsache, dass der Täter die Schränke durchsucht hatte, entnimmt Wiessner den gefundenen Sachen auf dem Bett der Viktoria (
Hervorhebung von mir) und Pielmayer wiederholt das später nur:
"
Durchwühlt war eigentlich in der Wohnung nichts, mit Ausnahme vom Schlafzimmer, wo der oder die Täter einige Zeit herumgesucht haben
müssen.
Denn in dem einen auf der Planskizze blau eingezeichneten Bette lagen vom Oberbett verdeckt mehrere Schlußnoten u. sonst. beschriebene Papiere, ein Notizbuch, eine geleerte Brieftasche u. eine Damenuhr."
Reingruber äußert sich dazu wie folgt:
"Auf dem einen Bette, neben dem Schrank lagen verschiedene Schriftstücke und auch eine leere Geldbrieftasche. Die Kästen waren nicht verschlossen. Spuren von Gewaltanwendung – Erbrechen – an denselben waren nicht ersichtlich. Wie sich nachträglich herausstellte, sind die Schränke bereits am 4.4. von der anwesenden Gend. durchsucht worden."
Auch er konnte also keine Spuren einer konkreten Durchsuchung durch die Täter (mehr) feststellen.
Insofern ist nicht allen Schilderungen eher davon auszugehen, dass wenn überhaupt nur äußerst oberflächlich gesucht wurde und der Täter sich gleich nach dem Fund des Papiergeldes damit zufriedengab, oder es dem Täter gar nicht um Geld oder Wertsachen ging.
9. Verstecken der Reuthaue
Hier kann ich mit Informationen aus eigener Erfahrung aufwarten, da ich beim Umbau eines alten Bauernhauses geholfen habe, das einen Fehlboden hatte, der mit schweren Holzdielen vernagelt war. Angenommen, dass HK auch einen solchen Fehlboden hatte, das heißt mit schweren Dielen belegt und diese mit großen Nägeln fixiert (letzteres ist keineswsegs üblich), bräuchte ein unsportlicher Jurist zum Entfernen einer Diele im schlimmsten Fall eine halbe Stunde, die meisten gingen schneller. Mehr als eine Diele hätte man für die Reuthaue nicht entfernen müssen.
Zusammenfassung: Sicher ist es richtig, dass der oder die Täter den Tatort nicht unmittelbar nach der Tat verlassen haben. Das Abdecken der Leichen, das oberflächliche Durchsuchen und das Verstecken der Reuthaue ist dem Täter als Nachtathandlung zuzurechnen und hat Zeit gekostet. Auch das Verschieben der Ziegel ergibt deutlich mehr Sinn zu einem Zeitpunkt, an dem man etwas sieht, als in der Nacht - sofern es denn nicht der Tatvorbereitung diente.
Es ist daher durchaus denkbar - wenn auch nicht zwingend - dass der Täter bei entsprechend vorgerückter Stunde - auch die Morde brauchten Zeit - sich entschieden hatte, die Nacht noch in HK zu verbringen, um am Samstag in der Früh zu verschwinden. Auch wenn ein längerer Aufenthalt grundsätzlich möglich ist, sind die dazu vorgetragenen Indizien aber nicht ausreichend, um diesen anzunehmen.
LG,
G.