@jaska@margaretha @pensionär Die Rechtslage vor dem Mord gestaltete sich wie folgt:
§ 1776 BGB aF regelte grundsätzlich die Reihenfolge, in welcher Vormünder berufen wurden (Hervorhebungen von mir):
"§ 1776.
(1) Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufen:
1. wer von
dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist;
2. wer von der
ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist;
3. der
Großvater des Mündels von
väterlicher Seite;
4. der
Großvater des Mündels von
mütterlicher Seite."
Das ist die Ausgangslage. Nun hatte J Gr keinen Vater im Rechtssinne gem. § 1589 Abs. 2 BGB aF. Das Vaterschaftsanerkenntnis stellte damals nur ein Geständnis dar, der Mutter im Empfängniszeitraum beigewohnt zu haben und war zugleich ein Verzicht auf die Einrede des Mehrverkehrs.
Damit scheidet Nr. 1 aus.
J Gr hatte auch keine eheliche Mutter, denn V Ga war nicht verheiratet, damit scheidet Nr. 2 aus.
Da J Gr keinen Vater im Rechtssinne hatte, scheidet auch Nr. 3 wieder aus.
Damit bleibt nur Nr. 4 übrig, der Großvater mütterlicherseits, nämlich A Gr. Entsprechend wurde auch A Gr als Vormund bestellt.
Theoretisch hätte man auch die V Ga nach § 1778 Abs. 3 BGB aF. zum Vormund bestellen können:
"Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach § 1776 Berufenen, für ein
uneheliches Kind
darf die Mutter vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden." Aber in dieser sexistischen, patriarchalischen Gesellschaft kam das wahrscheinlich niemandem in den Sinn, solange es andere Möglichkeiten gab.
Hätte nur J Gr nach dem Mord überlebt, wäre die Chance für LS zum Vormund bestellt zu werden, auch eher gering gewesen:
Stirbt A Gr, gibt es zwar zunächst niemanden mehr auf der Liste des § 1776 (1) BGB aF, der in Betracht käme. Auch V Ga, die bei einem Überleben sicherlich beste Chancen gehabt hätte, vgl. § 1778 Abs. 3 BGB aF, scheidet ja bei J Gr als einzigem Überlebenden auch aus. Grundsätzlich wäre das Gericht dann frei gewesen zu entscheiden, wer in Betracht kommt. Grundlegend ist hier § 1779 BGB aF (Hervorhebungen von mir):
"§ 1779.
(1) Ist die Vormundschaft nicht einem nach § 1776 Berufenen zu übertragen, so hat das Vormundschaftsgericht nach Anhörung des Gemeindewaisenraths den Vormund auszuwählen.
(2) [1] Das Vormundschaftsgericht soll eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. [2] Bei der Auswahl ist auf das religiöse Bekenntniß des Mündels Rücksicht zu nehmen. [3] Verwandte und Verschwägerte des Mündels sind
zunächst zu berücksichtigen."
Hiernach wären also Verwandte von J Gr bzw. Verschwägerte vorher zu berufen. Da LS mit J Gr wie bereits dargestellt im Rechtssinne nicht verwandt war, steht er auch da erstmal ziemlich weit hinten in der Reihe. Der Bruder von A Gr, oder auch etwa der Ehemann von C. Starringer wären da naheliegender.
Generell halte ich die Chance für LS in irgendeiner Form doch noch zum Vormund erklärt zu werden, für äußerst gering. Jedenfalls hätte angesichts der Sach- und Rechtslage nicht rechnen können.
@EdgarH Ich nutze die Gelegenheit, um nochmals auf ein handfestes finanzielles Motiv des LS für einen etwaigen Mord zu verweisen. Am 2. März 1922 (also knapp einen Monat vor der Tat) berichtete das Schrobenhausener Wochenblatt, also DIE Zeitung in der Gegend, die ua auch die HKler lasen, über folgendes Urteil des (hiesigen, also örtlich zuständigen) LG Neuburg:
Ein interessantes Urteil hat das hiesige Landgericht gefällt. Es handelt sich darum, ob ein Abfindungsvertrag, in welchem ein Kindsvater sein außereheliches Kind für die Zukunft abgefunden hat, wegen des jetzigen Geldwerts durch ein Urteil abgeändert werden kann. Das Landgericht hat dies für zulässig erklärt und den Kindsvater verurteilt noch eine monatliche Zusatzrente zu zahlen. Dieses Urteil wird wohl viele Prozesse zur Folge haben.
Allein mit diesem Urteil drohte LS erneut die monatliche Zahlung einer Zusatzrente.[1] Dass er davon über die Zeitung Kenntnis erlangte, ist anzunehmen. Über die sich daraus auch ergebenden Probleme für die innerfamiliäre Beziehung im Haushalt des LS hab ich hier und an anderer Stelle auch schon detailliert referiert. Neben dem auf jeden Fall gegebenen finanziellen Motiv sind auch entsprechende zusätzliche emotionale Motive - mithin ein in dieser Situation damals wie heute klassisches Motivbündel bei Alimentezahlungen - äußerst wahrscheinlich.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang im Übrigen, wie weit LS bereit war zu gehen, um Zahlungen für ein Kind zu vermeiden, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seines war. 1919 zeige er - ausschließlich deswegen - die A Gr und V Ga wegen angeblichen Inzests[2] an, wohlwissend, dass dies für beide mit großer Wahrschweinlichkeit die Existenzvernichtung bedeutet hätte. Zu einer Rücknahme dieser Angaben war LS erst bereit, als V Ga ihm erneut die Heirat - sprich HK - anbot. Selbst die Vorauszahlungen der HKler auf die Abfindung allein, hatten LS nicht gereicht, um seine Aussage zurückzuziehen. Diese Option hatte LS aber 1922 nicht mehr, da die HKler jedenfalls für den streitgegenstädlichen Zeitraum vom Vorwurf des Inzests freigesprochen worden waren.
Kurz gesagt: LS hatte definitiv ein Motiv für die Tat, insbesondere auch ein Motiv J Gr selbst zu töten, was über reine Verdeckung der übrigen Morde hinausging.
Wie stets betont macht allein diese Tatsache ihn nicht zum Mörder. Und generell bleibt wieder mal nur festzustellen, dass ein Täter auf der Basis des bisher bekannten Materials nicht - auch nicht annähernd üer Wahrscheinlichkeiten - festgestellt werden kann.
[1] Darüber hinaus war die Angelegenheit aber sowie keinewegs mit dem Abfindungsvertrag abschließend geregelt gewesen. Der Abfindungsvertrag war gleich aus verschiedenen Gründen nichtig.
[2] Ich hege starke Zweifel daran, dass damals dieser Inzest stattgefunden hat, unabhögig davon, ob er überhaupt jemals stattgefunden hat, was ich aus verschiedenen Gründen auch zweifelhaft finde.