jaska schrieb:Mir erschliesst sich noch immer nicht, warum der Inzest wegdiskutiert werden muss.
Es geht nicht darum, irgendetwas "wegzudiskutieren". Was ist das über Haupt schon wieder für ein Ausdruck, "wegdiskutieren"?
Es geht darum, dass es zumindest fraglich, wenn nicht unglaubwürdig ist, dass im Hause Gruber Inzest stattgefunden hat.
Richtig ist, dass Grubers wegen "Blutschande" verurteilt wurden, klar. Für eine Verurteilung reichte aber damals die Aussage eines einzigen Zeugen aus. Wenn dieser einen guten Leumund hatte, bedurfte es schon einer besonderen Begründung, wenn ein Gericht diesen als unglaubwürdig einstufte. Anschauungsmaterial dafür gibt der zweite Prozess gegen Grubers 1919.
Beim ersten Blutschandeprozess 1915 ist der Verdacht naheliegend, dass hier jemand ein konkretes Interesse damit verfolgte, den Grubers Inzest anzuhängen. Wir finden mit Victoria Schlittenbauer da auch jemanden in den Akten, die dafür Anfang 1915 konkret infrage käme. Weitere m.E. weniger wahrscheinliche Möglichkeiten wurden hier im Thread diskutiert.
Das Gericht hat auch im ersten Prozess überhaupt keinen Anhalt dafür gefunden, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung eine inzestuöse Vater-Tochter-Beziehung bestand. Das Urteil bezieht sich auf einen viele Jahre zurückliegenden Zeitraum.
Pfr. Haas hat vorbehaltlos Grubers kommuniziert und wahrscheinlich auch im ersten Blutschande-Prozess zu ihren Gunsten ausgesagt. Außerdem wissen wir von keinen unerklärlichen Schwangerschaften bei Victoria Gabriel. In Aussagen begegnet der Inzest nur als Allgemeinplatz. Zwei Ausnahmen sind bekannt: 1. Kreszenz Rieger, die da irgendetwas im Stall beobachtet haben will; auch sehr vage und dazu auch in sich nicht konsistent. 2. Eben Victoria Schlittenbauer, der Victoria Gabriel als Teenie angeblich ihr Leid geklagt haben soll.
Wenn man sich dieses Thema Inzest anschaut, ist das alles sehr dünn. Selbst Schlittenbauer hat 1919 offenbar keine weiteren Zeugen außer ihm selbst dem Gericht nennen können. Man muss, wenn man sich die Quellen anschaut, bei diesem Thema mehr als sehr, sehr große Fragezeichen setzen.
jaska schrieb:Ich möchte noch an die Quellen für die vielen Fehlurteile in Sachen Blutschande während der Weimarer Republik erinnern...
Ich tue mich hier etwas schwer, weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, es ginge hier nicht um ernsthaftes Interesse an diesem Thema, sondern nur darum, mich als Diskutanten hier zu disqualifizieren.
Trotzdem bin ich jetzt mal so freundlich und bemühe mich, auch im Blick auf die wirklich am Thema interessierten Mitleser, um eine Antwort.
In der Zeit der Weimarer Republik ist die Zahl der Blutschande-Prozesse in die Höhe geschnellt. 1919 waren es um die 200, zehn Jahre hat sich die Zahl verfünffacht, also über 1000 Fälle. Nur mal zum Vergleich: 2014 waren es 9 Fälle. (Quelle: statistisches Bundesamt).
In der wissenschaftlichen Debatte hat Magnus Hirschfeld m.W. das Problem der Glaubwürdigkeit als Argument für die Abschaffung des Blutschande-Paragraphen ins Feld geführt (müsste im Buch "Sexualität und Kriminalität" sein). In der Debatte im Reichstag über §176 von 1929/30 wurde die hohe Zahl strittiger Fälle m.W. von der SPD hier als Argument angeführt. Die Protokolle, Anträge und Beschlüsse dieser Debatte sind einsehbar.