@west_united west_united schrieb:1.) Gibt es Aussagen von Angehörigen ob Lorenz Schlittenbauer während der Tatzeit und an den Tagen nach der Tat zu Hause anwesend war oder besaß er kein Alibi ?
Ein Alibi wird für LS in den überlieferten Akten von den Ermittlern nicht erwähnt. Er wird auch nicht wegen eines Alibis als Täter ausgeschlossen, sondern aus anderen nicht stichhaltigen Gründen. Er selbst behauptet, bei seiner Frau gewesen zu sein. Eine Aussage seiner Frau ist nicht im bekannten Aktematerial enthalten.
west_united schrieb:2.) Welche Streitigkeiten gab es zwischen Schlittenbauer und dem Gruber Clan ?
LS begann mit VGa nach dem Tod seiner ersten Frau (genauer Zeitpunkt ist wegen widersprüchlicher Aussage von LS unklar, entweder Ende Juli oder Ende Oktober 1918) eine Affäre, die zumindest zu einem Zeitpunkt als Gänse geschlachtet und gerupft wurden (entweder um den Martinstag oder vor Weihnachten) noch im Gange war. Noch während diese Affäre andauerte, wurde VGa schwanger. Laut LS wollte VGa ihn zunächst heiraten. Sie beichtete ihm angeblich dann, dass auch ihr eigener Vater der Vater des Kindes sein könne (1915 waren VGa und ihr Vater AGr wegen Inzest im Zeitraum von 1907 bis 1910 zur Mindeststrafe bzw. zur nahezu Mindeststrafe verurteilt worden, die Hintergründe dieses Urteils bleiben unklar, weil das Urteil bereits den damaligen Ermittlern wahrscheinlich nur noch im Tenor vorlag). Laut LS verweigerte AGr ihm schließlich die Heirat, verlangte aber dennoch, dass er die Vaterschaft für das Kind übernehme und dafür auch entsprechenden Unterhalt bezahle. LS drohte seinerseits mit Anzeige wegen Inzests (was angesichts der einschlägigen Vorstrafe eine durchaus existenzbedrohende Maßnahme für AGr und VGa war).
Nach Aussage von LS gab AGr nicht nach und LS zeigte daher diesen kurz nach der Geburt des Kindes, am 10.9.1919 an. Angeblich kam noch am gleichen Tag nachts VGa zu LS und bot ihm Geld an, damit er die Vaterschaft übernehme. LS war damit aber erst einverstanden, nachdem ihm VGa schließlich auch noch die Heirat erneut zugesichert hatte. VGa händigte ihm sofort 5.000 Mark aus. Am 13.9.1919 wurde AGr dann in Untersuchungshaft genommen. Angeblich suchte VGa LS noch einmal auf und bat ihn um Hilfe für den Vater. Daraufhin nahm LS seine Anschuldigungen zurück. AGr wurde wieder aus der U-Haft entlassen. Er erkannte dann am 30.9.1919 die Vaterschaft an. Auf die Unterhaltszahlungen wurde gegen eine Abfindung von 1.800 Mark (was etwa nur einem Viertel der an sich monatlich zu zahlenden Beiträge bis zum Ende des 16. Lebensjahres entsprach) verzichtet. Es kam schließlich aber dennoch zur Gerichtsvehandlung gegen AGr und VGa weil LS von der StA nochmals zur Aussage gezwungen wurde, wobei er dann wieder zu seinen Anschuldigungen zurückkehrte. AGr und VGa wurden aber 1920 freigesprochen, weil LS Aussage aufgrund der wechselhaften Angaben nicht mehr glaubhaft war und andere Belastungsbeweise offenbar nicht vorlagen. Zu einer Heirat zwischen LS und VGa kam es aber nicht mehr. LS heiratete 1921 erneut. 1922 soll es zwischen der Fam. Gr und LS keine Zwistigkeiten mehr gegeben haben. Zumindest mit AGr scheint Ls wieder gesprochen zu haben. Es gibt allerdings Aussagen, nach denen die Frauen auf HK auch zu diesem Zeitpunkt nicht mit LS gesprochen hätten.
Anfang März 1922 erschien im Schrobenhausener Wochenblatt ein Artikel über ein kürzlich ergangenes Urteil des LG Neuburg aD, indem einem Kind, das durch Abfindungsvertrag auf seinen Unterhalt verzichtet hatte, eine inflationsangepasste Zusatzrente zugesprochen wurde. demnach drohte LS eine entsprechende Forderung nach Unterhaltszahlungen. Nach einer eher zweifelhaften Aussage sei VGa auch etwa Mitte März zum (für eine etwaige Unterhaltsklage zuständige) AG Schrobenhausen gefahren. Rein juristisch gesehen war der Abfindungsvertrag zwischen JGr (dem Kind) und LS auch aus mehreren Gründen nichtig. Ob das den Beteiligten in vollem Umfang bewusst war ist unklar. Interessanterweise bewahrte LS angeblich einen Zettel der VGa auf, in dem sie ihm zusicherte, dass er für das Kind finanziell nicht aufkommen müsse. Das wäre grundsätzlich nicht nötig gewesen, wenn LS auf die Bestandskraft des Abfindungsvertrag vertraut hätte.
Insgesamt scheint der Streit um die Vaterschaft und den Unterhalt auch die Familie des LS belastet zu haben, was ein typisches Phänomen bei Unterhaltsforderungen für ein außereheliches Kind ist. So habe nach eigener Aussage von LS sein Sohn ihm deswegen Vorwürfe gemacht. Er selbst habe sich auch "grün und blau geärgert".
Generell hatte LS also ein handfestes finazielles Motiv. Hinzu kommen könnten emotionale Motive wie die Zurückweisung als Ehemannn, Druck innerhalb der eigenen Familie, der Tod des ersten gemeinsamen Kindes mit der neuen Ehefrau kurz vor der Tat und eventuell auch - sofern LS tatsächlich selbst dran glaubte - der Inzest als Verstoß gegen Gottes Gebote.
Instruktiv hierzu ist die Aussge des LS von 1931:
http://www.hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Aussagen:_1931-03-30_Schlittenbauer_LorenzUnd der Bericht Pielmayers von 1926:
http://www.hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Dokumente:_1926-11-06_Zusammenstellung_des_Staatsanwaltes_PielmayerBeste Grüße,
G.