@pensionärZunächst mal vielen Dank für die kompetente Erörterung dieses Problemkreises.
pensionär schrieb am 01.11.2012:Zur Frage einer möglichen Inflationsaufwertbarkeit der bereits erledigten Unterhaltsabfindung im vorliegenden Fall.
Ich habe mir mal die JW geordert - die liegt leider im Archiv und war nicht im Lesesaal griffbereit. Sollte ich am Mittwoch haben. Dann werde ich mir die zitierten Urteile zu Gemüte führen. Derweil habe ich juris bemüht - im Zeitraum 1919 bis 1930 konnte ich genau ein Urteil finden, dass sich mit dieser Problematik befass hat. Mehr sind da leider (noch?) nicht von der Datenbank erfasst.
Wie auch immer, diesen Fund möchte ich nicht vorenthalten:
Das Urteil stammt vom Reichsgericht, 7. Zivilsenat, Az. VII 147/22, und ist vom 23.3.1923. Das Urteil ist auch in der Sammlung RGZ 106 (1923), Nr. 110, auf den S. 396 ff. zu finden.
Der Fall dort stellte sich wie folgt dar:
„Der Beklagte ist der uneheliche Erzeuger des am 16. Juni 1912 geborenen Klägers. Am 20. August 1918 schlossen die Parteien einen privatschriftlichen und sodann vormundschaftsgerichtlich genehmigten Vergleich, inhalts dessen sich der Beklagte zur Abgeltung aller Unterhaltsansprüche des Klägers zur Zahlung von 10 000 M verpflichtete. Die 10 000 M zahlte der Beklagte, und es wurden davon 7 000 M in Deutscher Reichs= (Kriegs=) Anleihe angelegt. Mittels Schreiben vom 31. Januar 1921 wurde seitens des Klägers in Rücksicht auf die Verteuerung aller Lebensumstände der Vergleich als unwirksam angefochten. […] Das Landgericht entsprach dem Klageverlangen. Das Berufungsgericht wies dagegen die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg.“
Wir sehen also zunächst, dass dieser Fall durch den kompletten Instanzenzug ging und auch keineswegs einheitlich beurteilt wurde. Das LG* hatte der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht dieses Urteil jedoch aufgehoben. Das RG hat dann auch die Revision zurückgewiesen. Damit ist vom Ergebnis her eine Aufwertung der Abfindung in diesem Fall ausgeschlossen worden, was den Ergebnissen Deines „Büchleins“ entspricht. Auch die Argumentation des RG entspricht im Wesentlichen der von Dir zitierten.
Allerdings unterscheidet sich dieser Fall doch noch in einigen entscheidenden Gesichtspunkten von Hinterkaifeck:
Im vorliegenden Fall hatte der uneheliche Vater bereits vor der Abfindung Leistungen an den Sohn erbracht. Dies ergibt sich daraus, dass der Vergleich erst 1918 geschlossen wurde, als der Sohn 6 1/2 Jahre alt war, und aus dem Text des Abfindungsvertrages (Hervorhebungen von mir): „Zur Abgeltung aller Ansprüche, welche dem Kinde gegen seinen Vater zustehen, zahlt der letztere die Summe von 10 000 M z. H. des Vormundes; die
bisher bewirkten Leistungen werden
nicht darauf angerechnet.“ Hier wurden dem Sohn also 10.000 M zusätzlich zu den schon erbrachten Leistungen (eventuell eben die vierteljährliche Unterhaltsrente, § 1710 Abs. 1, 2 BGB aF, für 6 Jahre) gewährt. Das RG selbst bezeichnet die Abfindung mehrmals im Urteil als „reichlich“. Das RG wies auch ausdrücklich daraufhin, dass es nicht davon ausgehe, dass die Abfindung lediglich die Kapitalisierung der zukünftigen Rente darstelle, sondern dass dieser Betrag deutlich darüber hinausginge.
Ferner stellte das RG klar, dass die Leistung auch in vollem Umfang bewirkt, dh die Abfindung bezahlt worden sei.
Das Gericht argumentiert weiter mit der Abschlussfunktion gerade dieses Abfindungsvergleichs und betont in diesem Zusammenhang auch nochmals die „reichliche“ Abfindung.
Und schließlich formuliert das RG nochmals generell, dass ein Abfindungsvertrag als "Spekulationsgeschäft" nicht dem Anwendungsbereich der clausula rebus sic stantibus unterfalle.
Das RG weist aber auch darauf hin, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Autoren im Schrifttum den unehelichen Kindern auch bei einem Abfindungsvertrag einen Aufwertungsanspruch aus §§ 242, 157 BGB gewähren will:
Philipp, BayRpflZ 21, 81,
Czolbe, LeipzigerZ 21, Sp. 364,
Fraeb, JW 22, 426,
Behrend, JW 22, 1303,
Gotthard, Dt. RichterZ 22, 77,
Rosenthal und
Dove, JW 21, 1086 flgd. zu Nr. 1,
Krückmann, JW 22, 37 zu Nr. 2,
Günzer, JW 22, 571,
Rosenthal, JW 22, 1213 zu Nr. 1. Auch die zunächst positive Entscheidung des LG, die mit dem Urteil des RG letztlich revidiert wurde, spricht ebenso wie die von dem Schrobenhausener Wochenblatt zitierte Entscheidung des LG Neuburg aD dafür, dass die juristische Diskussion zum fraglichen Zeitpunkt, dh im Frühjahr 1922, keinesfalls abgeschlossen war, sondern ganz im Gegenteil noch intensiv geführt wurde. Allein schon deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vik es in Erwägung zog, ihren Vater (der die Vormundschaft über den Josef innehatte) gegen LS vor Gericht ziehen zu lassen. Das zitierte Urteil des RG ist ja auch erst im März 1923 gefällt worden, konnte also eine entsprechende Entscheidung der Vik noch gar nicht beeinflussen. Umgekehrt bedeutet das auch, dass ein LS durchaus die Gefahr sehen konnte, wegen des Kindes nochmals zur Kasse gebeten zu werden.
Dies gilt umso mehr, als ich im vorliegenden Fall durchaus geneigt bin, trotz der Argumente aus dem „Büchlein“ einer entsprechenden Klage des A.Gr. im Namen des Josef gewisse Chancen einzuräumen:
Im Vergleich zum Urteil des RG hatte der LS eine verschwindend geringe Summe gezahlt. Dies ist auch mehrfach in den Protokollen als auffällig vermerkt worden. Das RG weist in seiner Entscheidung in einem obiter dictum darauf hin, dass eine Aufwertung auch bei geschlossenem Abfindungsvergleich unter bestimmten Umständen möglich sei. Unter Berufung auf die Literatur führt das RG hierzu aus (S. 402): „Es ist zuzugeben, daß bei den bis in das Jahr 1919 hinein abgeschlossenen Abfindungsverträgen die Möglichkeit einer Geldentwertung wie diese seitdem eintrat, regelmäßig nicht in Rechnung gezogen sein wird, und darin mag auch für manche Vertragsfälle, namentlich, wenn die Abfindung des unehelichen Kindes nachweislich einfach durch Kapitalisierung der gesetzlich bis zur Vollendung der sechzehnten Lebensjahres reichenden Rente gefunden ist, ein geeignetes Mittel liegen, dem durch die Geldentwertung benachteiligten Kinde auf dem Wege ergänzender Vertragsauslegung zu helfen.“
Unter diesen Umständen und angesichts der durch die Mauscheleien im Zusammenhang mit dem Abfindungsvergleich eh schon unsicheren Rechtssituation erscheint es mir durchaus im Rahmen des realistisch Möglichen, einen entsprechenden Zahlungsanspruch gerichtlich durchzusetzen. Damit bleibt eine etwaige drohende Klage grundsätzlich auch als mögliches Mordmotiv erhalten. Schließlich kommt es hierfür auf die sogenannte Parallelwertung in der Laiensphäre an: Was dachte der LS, man könnte gegen ihn erreichen? Und was dachte Vik, würde ein Klage vor Gericht bringen? Ob das letztlich mit der – wie oben gezeigt – eh noch unklaren tatsächlichen Rechtslage übereinstimmte, ist insoweit also eher zweitrangig. Gleiches gilt ja auch für die Frage der tatsächlichen Rechtslage hinsichtlich der Erbfolge (wobei hier die Rechtslage zwar eindeutig war, aber eben offensichtlich auch nicht für die Gerichte völlig zu übersehen).
pensionär schrieb am 01.11.2012:Für mich sieht das doch ganz stark nach einem zumindest hinsichtlich der Erfüllung des Vertrages nichtigen Umgehungsgeschäft aus, das dem Rechtsgedanken des § 1714 Abs. 2 a.F widersprach.
Natürlich mußte die Erfüllungsumme des Abfindungsvertrages nicht gerade aus dem eigenen Ersparten von L.S. stammen – [wenn ihm z. B. eine Tante aus Mitleid das Geld zur Abfindung geschenkt hätte und er das dem Vormund zur Begleichung der Abfindung ausgehändigt hätte wäre das okay gewesen]. Aber dass zur Mündelgeldanlage das Geld gerade aus der Tasche von V.G. (welcher Anteil ?/auch deshalb meine Zitate aus den Akten) stammen durfte, die ja das Geld nach und nach erhalten sollte, um den kleinen Josef aufzuziehen – das ging m. E. nicht und wäre ein Nullsummenspiel gewesen.
Aber wenn V.G. damit angefangen hätte, den Vertrag darüber zu anzuknacken, wäre ihr sofort ihr eigenes Vorverhalten entgegengehalten worden.
Ich kann es nicht lösen - aber sicher gibt es ja den einen oder anderen Crack im allgemeinen Vertragsrecht hier, der die Baustelle gleich wieder abräumen kann. (Sollte ich in der Suchfunktion eine Lösung oder eingehende Diskussion hierzu übersehen haben, bitte ich mir das nachzusehen).
Die Situation ist in der Tat recht kompliziert, wenn man sie mal unter diesem Gesichtspunkt näher beleuchtet. Ich werde das hier nur ganz grob skizzieren: Wie
@pensionär hier zutreffend angemerkt hat, tendiere ich auch dazu, dass die Grundlage für die Zahlung der Vik an LS zur Begleichung der Abfindung ein das Nichtigkeitsverbot des § 1714 Abs. 2 BGB umgehendes Geschäft darstellt und insofern selber als Umgehungsgeschäft nichtig war nach § 134 BGB. Eine direkte Anwendung des § 1714 Abs. 2 BGB auf die Vereinbarung zwischen Vik und LS dürfte deswegen ausscheiden, weil die Vik gegenüber Josef nicht vertretungsbefugt war, selbst wenn man in der Vereinbarung der Vik mit LS im Prinzip eine Verabredung der Unentgeltlichkeit des Unterhaltsverzichts sehen wollte. Jedenfalls aber wäre die Leistung der Vik an LS ohne Rechtsgrund erfolgt.
Fraglich ist dann, wie die Zahlung der 1800 M einzuordnen ist. Entweder stellt sie die Erfüllung der Abfindungsverpflichtung dar oder die Erfüllung des Rückgabeanspruchs der Vik aus § 812 BGB. Normalerweise wird da dem Leistenden bei mehreren offenen Ansprüchen ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt. Geht man danach, wäre dann die Zahlungspflicht aus dem Abfindungsvergleich erfüllt gewesen und der Vik würde nur der Anspruch aus § 812 BGB auf Rückzahlung der von ihr geleisteten 1800 M zustehen. Wenn man davon ausgeht, dass der LS seiner Zahlungsverpflichtung aus dem Abfindungsvertrag noch gar nicht nachgekommen ist, dann wird die Situation für Josef noch deutlich besser, weil dann auch das Argument, dass der Vertrag schon erfüllt wurde und deswegen eine Aufwertung nicht mehr in Betracht kommt, wegfällt.
Nochmal anders sieht die Situation aus, wenn die Vik nur Botin des A.Gr. war, und dieser wiederum als Vormund und Vertreter des Josefs gehandelt hat. Dann wäre die Vereinbarung mit LS unmittelbar über § 1714 Abs. 2 BGB nichtig. Dank des Abstraktionsprinzips würde aber auch die Zahlung der 1800 M von A.Gr. an LS zunächst grundsätzlich wirksam bleiben. Was wieder zu den genannten Problemen führt. Es sei denn, das Gericht würde hier eine „Durchschlagen“ auf das Verfügungsgeschäft annehmen, was ich gerade bei direkter Anwendung des § 1714 Abs. 2 BGB ausschließen würde.
Fazit: Aus einer etwaigen Nichtigkeit ließe sich zumindest ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 1800 M konstruieren. Und hier könnte auch eine etwaige Aufwertung dieses Rückzahlungsanspruchs wegen der Inflation möglich sein. Für eine endgültige Beurteilung fehlt es aber an den genauen Umständen der Geschäftsabwicklung Josef-A.Gr.-Vik-LS.
*Theoretisch denkbar wäre sogar, dass das RG hier den Fall des LG Neuburg verhandelt hat. Aus dem Urteil geht das leider nicht hervor. Dagegen spricht dass der Zeitraum zwischen Urteil des LG und Urteil des RG angesichts der zwischengeschalteten Berufungsinstanz mit knapp einem Jahr recht kurz erscheint und die Zeit zwischen erstem Anfechtungsschreiben und Urteil des LG dafür recht lang.