Zur Frage einer möglichen Inflationsaufwertbarkeit der bereits erledigten Unterhaltsabfindung im vorliegenden Fall.
Meine Auffassung war ursprünglich gewesen:
Egal was man vereinbart hatte und ob schon beglichen worden ist oder nicht - was gedanklich zählte war die Unterhaltssicherung im Interesse des Mündels: also war für mich überzeugend, dass bei einer derartigen Inflation eine Aufwertung auch bei einem abgeschlossenen und erfüllten Vertrag durch richterliche Vertragsanpassung auf Antrag möglich und nötig war.
Das hätte einen Eingriff des Gerichts in einen bereits von den Parteien abgeschlossenen und erfüllten Abfindungsvertrag bedeutet, was über eine nachträgliche richterliche Vertragsanpassung über die bekannten Vehikel Wegfall der Geschäftsgrundlage, Zweckverfehlung, Treu und Glauben § 242 BGB usw. den Weg in eine Aufstockung ermöglicht hätte. Das haben andere Forumsteilnehmer hier im Wesentlichen ja auch so gesehen und eingehend behandelt.
Dem eigentlich von den Abfindungsvertragsparteien beim Vertragsabschluß Gewollten – und sie wußten, dass sie sich in der stetig sich verschlimmernden Inflation befanden, das war also kaum ein überraschender Verlauf - hätte das aber weniger entsprochen, denn man wollte die Sache ersichtlich hinter sich bringen. (Falls es den einen Zettel gab, womit V.G. dem L.S. zugesagt haben soll, dass man keinen Unterhalt von ihm verlangen werde, hätte dieser zwar keine rechtsbegründende Wirksamkeit gehabt aber wäre bei einer etwa später notwendig werdenden Vertragsauslegung ein erstrangiges Beweismittel gewesen.
Und nun kam für mich der Antiquariatsfund des Büchleins „Hauptfragen… „ aus dem ich ja ausführlich und hoffentlich ohne Schieflage zitiert habe, dazwischen. Bei den beiden Büchleinverfassern handelt es sich um die Oberlandesgerichtsräte in Düsseldorf C. Schaeffer [wohl Schaeffers Grundrisse]und F. Keidel in München[vermutlich derselbe Keidel, der später an einem FGG Kommentar mitgeschrieben hat]. Es handelt sich also nicht um einen bloßen Sparkassenflyer, sondern den beiden Praktikern traue ich zu, dass sie einen Überblick über die Meinungslage zu jedenfalls dem Zeitpunkt des Erscheinens der 3. mir vorliegenden Auflage -nämlich 1925 hatten. Das umgreift natürlich als Folgeauflage auch einen Wissensstand, der vor 1925 liegt, denn es werden auch einige obergerichtliche Entscheidungen im Buch angeführt, die aus 1922 stammen. Bis in gerichtlich anhängigen Streitfällen die Obergerichte erreicht werden, dauert das ja auch noch mal. Ich habe das Büchlein deshalb für mich als Argumentationshilfe bezeichnet, da es m. E. mit in die Zeit hineinleuchtet, die im vorliegenden Fall relevant ist.
[Was ich nicht gemacht habe und nicht konnte - schon wegen des zeitlichen Aufwands und weil ich die Literatur nicht greifbar habe - war ein Gegencheck und ein Verlaufscheck in der maßgeblichen Rechtsprechung bis zur Ende der Inflation anhand von verschiedenen Großkommentaren alter Auflagen und der Juristischen Wochenschrift (JW) der damaligen Zeit.]
Deshalb habe ich das Büchlein auch als Argumentationshilfe eingestuft.
Aber folgt man dem zitierten Stand zur herrschenden Meinung, ergibt sich für mich im vorliegenden Kontext verkürzt dargestellt, das was im Ergebnis schon
@Heike75 anhand unseres Falles abgearbeitet hat - ein Ergebnis was m. E. jedenfalls wesentlich näher an dem wirklichen Willen der Vertragsschließenden liegt:
1.) Bei einem Unterhaltsabfindungsvertrag, bei dem der Abfindungsbetrag bereits bezahlt wurde, ist die verbliebene Möglichkeit einer Aufwertung durch Vertragsauslegung zu ermitteln.
2.) Zu ermitteln ist, ob zwischen die Parteien eine endgültige Lösung des Unterhaltskomplexes gewollt war (echte Abfindung), was nach herrschender Meinung als Normalfall gelten darf.
3.) Im vorliegenden Fall hatten m. E. doch alle was sie – soweit wir es wissen können - wollten: das Kind hatte in L.S. einen Zahlvater aber L.S. war nicht finanziell belastet – A.Gr. wurde Vormund- die Rolle, die er bei der Erzeugung des kleinen J.Gr. gespielt hatte brauchte nicht hinterfragt zu werden. V.G hatte die Personensorge.
4.) Das Ganze wurde weit in der 2. Jahreshälfte 1919 vereinbart und abgeschlossen – die Inflation war schon deutlich.
5.) Fazit: die Parteien haben mit vormundschaftsrichterlicher Genehmigung in Kenntnis der inflationären Risiken den Vertrag abgeschlossen und es gibt keine hinlänglichen jedenfalls mir bekannten Argumente, dass da etwas offen geblieben war.
Fazit: nach Meinungslage in der Literatur, unterfüttert aber auch mit etwas Rechtsprechung (die abweichenden Meinungen habe ich zitiert) : keine inflationsbedingte Aufwertung mehr möglich.
6.) Soweit so gut.
Aber hier stocke ich schon:
Breche ich dieses Ergebnis auf unseren konkreten Fall runter, stehe ich bereits vor dem nächsten Problem:
Gegen die so hergeleitete Lösung spricht durchaus die von
@Hauser gefundene Zeitungsnotiz über ein Urteil des Landgerichts Neuburg a.D. (das Datum habe ich jetzt nicht parat aber es war zeitnah zum Mord) : „Ein interessantes Urteil hat das hiesige Landgericht gefällt. Es handelt sich darum, ob ein Abfindungsvertrag, in welchem ein Kindsvater sein außereheliches Kind für die Zukunft abgefunden hat, wegen des jetzigen Geldwerts durch ein Urteil abgeändert werden kann. Das Landgericht hat dies für zulässig erklärt und den Kindsvater verurteilt, noch eine monatliche Zusatzrente zu zahlen. Dieses Urteil wird wohl viele Prozesse zur Folge haben.“ [Zit. nach der Verschriftung von
@margaretha ]
Das klingt tatsächlich so, als dass man jedenfalls am Landgericht Neuburg a. D. in der kritischen Zeit unseres Falles –ob es uns passt oder nicht- halt anderer Meinung war. Wir kennen den dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt nicht, wissen nicht wie der Abfindungsvertrag lautete und wie die erste Instanz entschieden hatte. Wir wissen auch nicht wie weit im zugrundeliegenden Fall bei Vertragsabschluß die Inflation schon blühte.
Aber wiederum –ob es und passt oder nicht- ist doch wenigstens die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass ebenso wie
@Hauser jetzt halt auch damals eine alleinerziehende Mutter diese Meldung gelesen haben konnte oder darauf hingewiesen wurde und daraus günstige Schlüsse für sich selbst ziehen zu können glaubte.
Und unter den unterhaltsrechtlich tätigen Anwälten in dem Bezirk dürfte dieses Urteil zumindest als Zeitungsnachricht kursiert sein und wenn es schon abgesetzt war, auch in Tatbestand und Entscheidungsgründen. Von einem beratenden Rechtsanwalt aus dem in Betracht kommenden Bezirk hätte man das mit einiger Wahrscheinlichkeit zum damaligen Zeitpunkt wohl auch so zu hören bekommen. (Ich weiss, es hat sich später keiner gemeldet; ich weiß auch daß die sog. Schrobenhauser Fahrt samt dem dazugehörigen Gesprächsinhalt eher sehr wackelig ist.)
Aber konnte es denn überhaupt für die Parteien rätlich sein, genau diesen Unterhaltsabfindungsvertrag (der uns nicht vorliegt), aber gebilligt worden war, weil er im allseitigen Interesse schien), nochmal einem Gericht - jetzt für die Erlangung einer Zusatzrente vorzulegen: damit das Gericht die Gelegenheit bekam, nochmals genau hinzuschauen und nachzufragen. Clever vielleicht - ich hätte das für ein sehr riskantes Unternehmen gehalten, bei der m. E. riskanten Vertragsgestaltung tat man die Füße besser stillhalten.
Denn alle unmittelbar Beteiligten (außer dem Vormundschaftsrichter, wie ich annehme), wußten ja wohl noch, dass man hinsichtlich der Vertragserfüllung eine sehr merkwürdige und kreative „Lösung“ gefunden zu haben glaubte.
[Jetzt wird’s etwas länglich, ich weiß, aber ich will heute in einem Rutsch durchkommen und es soll auch für die Neuleser aus sich heraus nachvollziehbar sein].
[Dokumente: 1926-11-06 Zusammenstellung des Staatsanwaltes Pielmayer, Hinterkaifeck Wiki]
„Trotzdem hat L.S. [Abkürzungen auch im Folgenden jeweils von mir] zu Protokoll des Vormundschaftsgerichts Schrobenhausen vom 30.September 1919 die Vaterschaft zu diesem Kinde anerkannt und sich zur Zahlung einer Abfindungssumme von 1800 Mark verpflichtet, offenbar nur deswegen, weil ihm A. Gr.und V. G. die nur zum Schein verlangte Abfindungssumme von 1800 Mark selbst zur Verfügung gestellt haben. Als Vormund wurde der Vater der Kindsmutter, A.Gr. bestellt, der das Abfindungsangebot mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts angenommen hat.
(Vormundschaftsakten des Amtsgerichts Schrobenhausen betreffend Gruber Josef V.V.216/19). „…Damit erklärt sich auch die bei der im Jahre 1919 schon bestehenden Geldentwertung auffallend niedrige Abfindungssumme von 1800 Papiermark“.
[Bewertung der Person L.S. durch den ermittelnden Kriminalinspektor Riedmayr [Riedmayer] vom Februar 1931]:
„Eine Abfindung aus Eigenem hat L.S. demnach überhaupt nie bezahlt.“
[Auszug aus der Zeugenvernehmung L.S. durch Riedmayr vom 30.3.1931]:
„Am dritten Tage nach der Geburt kam dann die V. G. zu mir, bot mir an, sie zahle das ganze Geld, was die Vaterschaft ausmacht, wenn ich die Vaterschaft übernehme. Da sie auch dazu setzte, daß wir trotzdem noch heiraten könnten, war ich schließlich damit einverstanden. Sie brachte mir dann auch gleich 2.000 Mk., damit ich dann bei der Vormundschaft die Abfindung bezahlen konnte.
Frage: Haben Sie niemals mehr Geld bekommen als 2000 Mk.?
Antwort: Nein, nur 2000 Mk. Und sie sagte damals noch, wenn es nicht lange, so zahle sie noch drauf.
Frage: Haben Sie auch später nicht mehr Geld bekommen?
Antwort: Nein, niemals, ich habe nur 2000 Mk. bekommen, die Abfindung, die ich bezahlen hatte, hat 1800 Mk. ausgemacht und die restlichen 200 Mk. Habe ich dann nach einigen Monaten der G. wieder zurückgegeben, weil ich kein Geld haben wollte.
Frage: Sie haben früher angegeben, daß Sie 5000 Mk. Von Gr. bekommen haben?
Antwort: Halt, Halt, jetzt fällts mir ein, ich habe 2000 Mk. In Bargeld bekommen und außerdem 3000 Mk. Bayerische Hypotheken- und Wechselbankpfandbriefe, damit ich Geld habe, wenn Auslagen kämen. Diese 3 Pfandbriefe habe ich der G. auch nach einigen Monaten wieder retour gegeben.
Frage: Sind diese Pfandbriefe von ihnen zurückgefordert worden?
Antwort: Nein, freiwillig. Ich habe diese Pfandbriefe nicht gewollt.“
Meine Bedenken:
Unterhalt und sei er noch so gering (Abfindung oder Rente) dient doch dem Zweck, den Lebensbedarf des unehelichen Kindes, für dessen Personensorge zumindest mit sichern zu helfen. Ein unentgeltlicher Unterhaltsverzicht für die Zukunft wäre nicht gegangen. Nun liegt hier zwar kein wortwörtlicher Unterhaltsverzicht gem. § 1714 Abs. 2 BGB vor, der wäre unentgeltlich nichtig gewesen. §1714 Abs. 2 BGB „Ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist nichtig.“
Was wäre denn gewesen wenn man davon ausginge, das L.S. keinen Cent bezahlt hat und die Kindesmutter hätte belegen können, daß die 1800 Mark aus ihrer Privatschatulle stammten? Wirtschaftlich hätte man dadurch doch genau das erreicht, was die ratio des § 1714 Abs. 2 a. F. gerade verhindern will, nämlich keinerlei Unterhaltsverpflichtung für L.S. in alle Zukunft ggf. auch lt. Zettel. Gratis. Nur so dürfte L.S. allerdings überhaupt zur Vaterschaftsanerkennung zu bewegen gewesen sein.
Für mich sieht das doch ganz stark nach einem zumindest hinsichtlich der Erfüllung des Vertrages nichtigen Umgehungsgeschäft aus, das dem Rechtsgedanken des § 1714 Abs. 2 a.F widersprach.
Natürlich mußte die Erfüllungsumme des Abfindungsvertrages nicht gerade aus dem eigenen Ersparten von L.S. stammen – [wenn ihm z. B. eine Tante aus Mitleid das Geld zur Abfindung geschenkt hätte und er das dem Vormund zur Begleichung der Abfindung ausgehändigt hätte wäre das okay gewesen]. Aber dass zur Mündelgeldanlage das Geld gerade aus der Tasche von V.G. (welcher Anteil ?/auch deshalb meine Zitate aus den Akten) stammen durfte, die ja das Geld nach und nach erhalten sollte, um den kleinen Josef aufzuziehen – das ging m. E. nicht und wäre ein Nullsummenspiel gewesen.
Aber wenn V.G. damit angefangen hätte, den Vertrag darüber zu anzuknacken, wäre ihr sofort ihr eigenes Vorverhalten entgegengehalten worden.
Ich kann es nicht lösen - aber sicher gibt es ja den einen oder anderen Crack im allgemeinen Vertragsrecht hier, der die Baustelle gleich wieder abräumen kann. (Sollte ich in der Suchfunktion eine Lösung oder eingehende Diskussion hierzu übersehen haben, bitte ich mir das nachzusehen).