Mordfall Hinterkaifeck
22.06.2011 um 02:17
Hallo allerseits,
dieser Fall ist einfach irgendwie total faszinierend, aber auch frustrierend wegen dem letzten fehlenden Beweis. Ich komme aus der weiteren Umgebung von HK (ca. 30 km), und in meinem Elternhaus stand ein Buch darüber im Schrank. Zufällig bin ich darauf gestoßen (ich glaube ich war 9 oder 10), und beim Anblick der Tatortfotos war ich natürlich schockiert. Ich habe dann später immer mal wieder in das Buch geschaut und mich gefragt, wer denn so etwas getan haben konnte. Ich glaubte damals, die Täter waren Raubmörder und haben die HKler auf dem Heuboden so gut versteckt, dass man sie erst nach 4 Tagen gefunden hat. Als ich 2010 im ZDF den Film sah, in dem die angehenden Kriminalpsychologen der Kripo-Hochschule Fürstenfeldbruck den Fall durchleuchtet haben, hat mich das Thema wieder interessiert und ich habe alles gelesen, was dazu im Internet zu finden war. Kürzlich kam ich irgendwie wieder auf das Thema (leider!) und habe mir Gedanken gemacht, wie man die vielen rätselhaften Dinge vielleicht erklären könnte. Bitte entschuldigt, falls eine Theorie hier schon mal diskutiert worden ist, aber ich kann mir leider nicht alle 1500 Seiten durchlesen. Ich gebe zu, dass manches etwas um die Ecke gedacht ist, aber es erscheint mir dennoch plausibler als viele andere Theorien.
Der mitgelesene Brief und der Russische Offizier
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Der ehemalige Kriegsgefangene Matthäus Eser hatte 1951 einem Journalisten des Donaukurier berichtet , dass er als Kind mit ca. 10 Jahren öfters mit seinem Großvater auf den Hof der HKler kam. Kurz nach der Entdeckung der Tat sei er - wie viele andere Neugierige auch - im Haus gewesen und habe dabei einen ihm unbekannten Mann beobachtet, der ein Kästchen mit Briefen durchwühlte. Er habe sich heimlich hinter den Mann gestellt und konnte einige Wörter in einem Brief mitlesen, den der Mann aufmachte und durchlas. Dabei habe er sich die zwei
Halbsätze "Wenn das stimmt, was ich erfahren habe ..." und "... die ganze Gesellschaft ausrotten." eingeprägt, bevor der Mann ihn bemerkte und schimpfend den Brief zeriss und einsteckte. Er habe die Sache seinem Großvater erzählt, der ihm aber streng verbot, jemals irgendjemand etwas über diese Beobachtung zu erzählen.
Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 geriet er in der Tschechei in russische Kriegsgefangenschaft. Als er einen russischen Offizier oder Kommisar um Trinkwasser gebeten habe, habe ihn dieser im perfekten bairischen Dialekt gefragt, woher er komme. Er antwortete, aus Schrobenhausen, worauf der Russe sagte, das kenne er auch und ihn weiter fragte, ob er auch Waidhofen, Wangen, Gröbern und Hinterkaifeck kenne. Als Eser dies bejahte und die Sprache auf den immer noch ungeklärten Mordfall kam, habe der Russe lange geschwiegen und dann plötzlich seine Freilassung angeordnet und ihm einen Passierschein ausgestellt, mit dem er zurück nach Deutschland kam. Bei der Verabschiedung von dem "bayerischen" Russen habe dieser zu ihm gesagt, "geh' zurück in deine Heimat und sag' dort, der Mörder von Hinterkaifeck hat dich entlassen." Auf die Frage des Journalisten, ob der Offizier Karl Gabriel gewesen sein könnte, meinte Eser, aufgrund des Alters und des Aussehens könnte er es gewesen sein, aber er sei doch mit ziemlicher Sicherheit schon 1914 im Ersten Weltkrieg gefallen.
Im November 1951 wurde Eser von einem Staatsanwalt vernommen, ein paar Wochen später hat er aber seine Aussage widerrufen und erklärt, er habe die ganze Geschichte nur erfunden und sich alles selbst zusammengedichtet.
Hier stellt sich natürlich die Frage, ob die Geschichte nun tatsächlich wahr ist oder nicht. Wenn sie wahr ist, warum hat Eser sie dann widerrufen? Natürlich hatte er eine Verleumdungsklage seitens der Familie Gabriel zu erwarten bzw. ist diese bereits erfolgt und er wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Aber was hat einer zu befürchten, der die Wahrheit sagt? Eser hat ja auch angegeben, dass der Offizier ausser ihn auch noch eine Krankenschwester aus Regensburg und einen Kameraden aus Magdeburg entlassen habe, weil er ihn bei seiner Freilassung angelogen und gesagt habe, dass diese beiden auch aus Schrobenhausen stammen würden. Man hätte die beiden doch evtl. ausfindig machen können oder es hätten sich weitere Kriegsgefangene gemeldet, die sich an den bairisch sprechenden Russischen Offizier erinnert hätten.
Andererseits glaube ich aber auch nicht, dass die Geschichte komplett erfunden ist. Sie besteht ja aus zwei Teilen - dem ersten mit dem mitgelesenen Brief in HK und dem zweiten mit dem Offizier - und die beiden Teile liegen zeitlich und räumlich weit auseinander; wie könnte man sich denn so etwas ausdenken? Wenn Eser alles erfunden hätte und sich mit der Geschichte wichtig machen wollte, so hätte doch dazu auch nur der zweite Teil genügt; der erste trägt nichts Wesentliches mehr dazu bei.
Meine Erklärung für das Ganze ist folgende: Der zweite Teil der Geschichte (Russischer Offizier) ist erfunden, der erste Teil (mitgelesener Brief) ist wahr. Eser wusste etwas über den rätselhaften Mordfall und wollte es immer loswerden, er traute es sich aber wegen dem Verbot des Großvaters nie zu erzählen und hat es vielleicht in den Kriegswirren auch vergessen. Als 1951 der Donaukurier eine Artikelserie über den Mordfall veröffentlichte, erinnerte er sich wieder daran. Weil aber seine Beobachtung von damals keine neuen Erkenntnisse gebracht und wohl niemanden interessiert hätte, hat er die Geschichte mit dem Offizier dazugedichtet. Als ihm die Sache zu heiss wurde und sogar eine Freiheitsstrafe wegen Falschaussage drohte, hat er zur Sicherheit auch den eigentlich wahren Teil der Geschichte mit dem Brief zurückgenommen.
Von wem aber stammte dann der Brief? Wohl kaum vom Täter, denn der hätte sich ja durch die Preisgabe des Motives (Rache) verdächtig gemacht und damit gerechnet, dass die Kripo den Brief nach der Tat findet und die Handschrift mit der von den Tatverdächtigen vergleicht (eine Schreibmaschine hatte damals auf dem Land wahrscheinlich niemand, und man hätte auch da das Schriftbild vergleichen können, und falls der Brief mit ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeitungsbuchstaben gedruckt worden wäre, hätte Eser dies erwähnt). Ausserdem war der Täter ja noch 3 - 4 Tage lang nach der Tat auf dem Hof, da hätter er den Brief mit Sicherheit gesucht, gefunden und vernichtet.
Meine Theorie ist auch hier, dass der Täter eine weitere falsche Spur legen wollte. Der L. S. hat den Brief nach der Tat von einem Familienmitglied schreiben lassen; evtl. wurde als Absender auch noch Karl Gabriel angegeben. Eigentlich sollte die Kripo den Brief finden oder - noch besser - einer der beiden anderen Auffindungszeugen oder einer der vielen Neugierigen, die der L. S. nach Entdeckung der Tat ins Haus gelassen hat. Vermutlich hat er das eben genau zu diesem Zweck getan. Er rechnete damit, dass der Finder ihm oder der Kripo den Brief geben und den anderen davon erzählen würde, aber stattdessen hat dieser den Brief zerrissen und eingesteckt. Vermutlich kannte er die Familie Gabriel gut und wollte nicht den Beweis für die Täterschaft des Karl Gabriel liefern, oder er hatte Angst, dass er selbst in die Sache hineingezogen wird, weil er mit den HKlern im Streit lag und den Brief zerrissen hat, als er vom kleinen Eser beim Lesen überrascht wurde.
Denkbar und noch plausibler wäre auch, dass der Finder des Briefes gar nicht - wie Eser sagte - ein ihm unbekannter Mann war, sondern sein Großvater, mit dem er auf den Hof gekommen ist. Denn welcher Opa würde bei einem solch brutalen Mordfall seinen 10-jährigen Enkel alleine im Haus herumlaufen und die Toten ansehen lassen, und welcher 10-jährige würde da von der Seite seines Opas weichen und alleine durchs Mordhaus gehen? Eser hat evtl. die Geschichte umgedichtet, weil er sie einerseits unbeding loswerden, andererseits aber nichts Negatives über seinen Großvater sagen wollte (Vernichtung von Beweismitteln); vermutlich war er selbst auch gar nicht im Haus, sondern sein Großvater hat ihm erst viel später anvertraut, dass er damals diesen Brief gefunden und vernichtet hat.
Vielleicht erklärt der Brief auch, warum der mutmaßliche Täter die Entdeckung der Tat noch so lange hinausgezögert hat. Damit zur perfekten Täuschung der Brief einen Stempel bekommt und mit der Post zugestellt wird, wurde er noch am Samstag im benachbarten Waidhofen aufgegeben und der Täter musste warten, bis er am Montag oder Dienstag zugestellt wurde. Damals hatte ja jeder größere Ort eine Poststelle und es konnte durchaus sein, dass Briefe bei so kurzen Entfernungen schon am nächsten oder übernächsten Tag ankamen. Falls nicht, könnte der Brief auch schon die Tage vorher aufgegeben worden sein - um den HKlern Angst zu machen oder als vorsorglich gelegte falsche Spur.
Jetzt bin ich gespannt auf euere Kommentare und habe auch zu den 700 Mark im Beichtstuhl eine vielleicht noch nie diskutierte, aber plausible Theorie, die ich aber noch etwas ausbauen muss...