@allDen Ablauf der Blutschandeanklage sehe ich wie AngRa.
Im Übrigen bin auch ich der Ansicht, dass Renner die Akte von damals zumindest nicht genau kannte.
Zunächst ist Renners Hinweis auf die 1.800 Mark kein Beweis dafür, dass er die Akte gekannt hatte. Denn das ist grundsätzlich eine rein zivilrechtliche Angelegenheit, die vor dem Vormundschaftsgericht in Schrobenhausen abgehandelt wurde. Wenn überhaupt ist dies ein Indiz dafür, das Renner diese zivilrechtliche Akte kannte. Für wahrscheinlicher halte ich aber, dass dies eine Information ist, die Renner entweder von LS oder einer anderen Person informell - dh ohne erhaltenes Zeugenprotokoll - mitgeteilt wurde.
Ferner widerspricht Renners Angabe hinsichtlich der Strafen für Vik auch den Angaben von Pielmayer (der immerhin in der Lage ist, wie es sich für einen nachvollziehbaren Bericht gehört, die Aktenzeichen der Verfahren zu zitieren). Pielmayer sagt, dass Vik zu einem Monat Gefängnis verurteilt wurde. Das halte ich für realistischer als das eine Jahr, das Renner angibt. Denn AG wurde (hier stimmen beide Aussagen überein) zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Das ist aber "nur" die Mindesstrafe für den Aszendenten gewesen (Strafrahmen: 1 - 5 Jahre). Weniger ging nicht. Deszedenten hatten einen viel geringeren Strafrahmen, nämlich bis zu 2 Jahre Gefängnis.Bei 1 Jahr Gefängnis hätte man den Strafrahmen bereits zu 50 % ausgeschöpft gehabt. Das wäre also eine relativ hohe Strafe für Vik im Vergleich zu ihrem Vater. Zwar gab es 1915 noch keine gesetzlich festgelegten Strafzumessungsregeln, wie wir sie heute im StGB finden. Jedoch kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei einem solch gewaltigen Ausschöpfens des Strafrahmens, der Richter bei Vik ein erhebliches Schuldpotential gesehen haben müsste, gerade im Vergleich zu A.G. Das halte ich doch für recht unwahrscheinlich, nachdem das Gesetz ja schon eine gewisse Vorverurteilung zu ungunsten des Aszendenten vornimmt.
Was man dem Urteil noch entnehmen kann: Die beiden sind ausschließlich wegen Inzest, § 173 StGB aF, verurteilt worden. Wäre bei A.G. noch sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung hinzugekommen, dann hätte seine Strafe durch das Prinzip der Gesamtstrafenbildung, das auch damals schon galt, auf jeden Fall etwas höher ausfallen müssen. Ferner - und das ist wahrscheinlich nur für Juristen interessant - sind die beiden entweder nur wegen eines einzigen nachweisbaren Falles des GV verurteilt worden, oder aber bei mehreren Akten hat das Gericht damals einen Fortsetzungszusammenhang bejaht. Für den Fortsetzungszusammenhang spricht auch, dass das Gericht wohl nach Aussage von Pielmayer den Zeitraum von 1907 bis 1910 abgeurteilt hat, obwohl alle vor 1910 liegenden Straftaten schon verjährt gewesen wären. Wenn das Gericht einen Fortsetzungszusammenghang angenommen hat, bedeutet das aber auch, dass es vor und nach diesem Zeitraum zumindest keine erwiesenen Akte mehr gegeben haben kann.
Renner scheint außerdem davon auszugehen, dass LS auch schon für die erste Anzeige verantwortlich war:
Im Sepember 1919 hatte der oben erwähnte Ortsführer Schlittenbauer von Gröbern, der natürliche Vater des ermordeten 2 1/2 jährigen Knaben, nachdem er wegen Anerkennung der Vaterschaft und Alimentierung des Kindes in Anspruch genommen war, abermals gegen Gruber und seine Tochter Strafanzeige wegen Blutschande erstattet; [...]
Möglicherweise drückt er sich aber auch nur ungenau aus und das "abermals" bezieht sich nur auf den Umstand, dass es generell eine zweite Anzeige gab. Das einzige, was noch für Schlittenbauer als Anzeiger sprechen würde, ist diese Aussage, dass Vik sich bereits damals gegenüber seiner Frau entsprechend geäußert hatte.
Zum Ablauf der Anzeige 1919:
07. September 1919 - Geburt von Josef
10. September 1919 - Anzeige durch LS
13. September 1919 - Festnahme des AG
25. September 1919 - Rücknahme der Aussage des LS vor dem Ermittlungsrichter
27. September 1919 - Entlassung des AG
30. September 1919 - Anerkennung der Vaterschaft für Josef von LS vor Gericht
08. Oktober 1919 - Antrag der StA zur eidlichen Vernehmung des LS
23. Oktober 1919 - eidliche Vernehmung des LS
31. Dezember 1919 - Erhebung der Anklage durch die StA gegen AG
irgendwann 1920 - Freispruch aus Mangel an Beweisen
Was die Anzeige übrigens so bedrohlich machte: Angesichts der Tatsache, dass beide schon einschlägig virbestraft waren, konnte man eigentlich damit rechnen, dass das Strafmaß jetzt bei einer erneuten Verurteilung schlimmer ausfällt.
Auch noch interessant: In einem anderen Forum hatte der User
@jerrylee Zeitungsausschnitte zu Aburteilungen von Inzest eingestellt. Da hatte der Vater mit der 21jährigen Tochter verkehrt und 3 Kinder mit ihr gezeugt. Er wurde zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt.
@VercingetorixVercingetorix schrieb:Es zeichnet sich in der Zusammenschau vieler Beiträge der letzten Wochen doch einiges ab. Lorenz Schlittenbauer hatte ein recht schweres Leben. Er mußte 10(11?) Geschwister und seine Eltern durchbringen. Er war gesundheitlich angeschlagen. Ein besonderer Hang zur Religion mit starren Ansichten wie der Glauben zu leben ist, scheint mir durchaus auch in der Familie Schlittenbauer präsent gewesen zu sein. Eine schwer zu beurteilende Mischung aus religiösem Hilfebedürfnis, materiellem Kalkül und – warum nicht – Verlangen nach der schönen Nachbarin, dürfte zu dieser unschönen Geschichte mit dem Heiratsversprechen und dem Kind, dass wohl nicht seines war, geführt haben. Dies wurde sicherlich mit Befremden bei den Nachbarn registriert.
Grubers / Gabriels Ansehen, eben das vom Hk, hatte seit der Verurteilung wegen Blutschande einen Tiefpunkt erreicht. Nach der ganzen Vaterschafts-, Abfindungs- neuer Blutschandeverhandlerei, nicht zu vergessen das gebrochene Heiratsversprechen, sank das Ansehen derer von Hk gegen Null. Viel wird auch nicht mehr berichtet. Ein wenig von der Rieger und ein paar kryptische Sätze wie „das hat so kommen müssen“.
Also Lorenz Schlittenbauer war nicht der Vater, Andreas Gruber kann schlecht der Vater gewesen sein (das wäre in den mehr als 10 Jahren davor schon schief gegangen – bei dem anzunehmenden Inzest). Es gibt jemanden dritten der der Vater von Josef gewesen sein muß.
Kann es nicht sein, das genau das auch die Gedankengänge der Ermittler waren?
Zum Teil sehr nachvollziehbar, was Du da schreibst und auch sehr interessant. Aber warum sollte das Kind nicht von LS gewesen sein. Nach dessen eigener Aussage begann die Affäre zwischen ihm und Vik etwa 14 Tage nach dem Tod seiner Frau, den er mit dem 15.10.1918 angibt (zwar ein falsches Datum, denn das war der Geburtstag seiner verstorbenen Frau). Geht man aber davon aus, dass das Datum stimmt und das zugeordnete Ereignis nicht richtig ist, scheint doch die Affäre den November über auf jeden Fall angedauert zu haben. LS erwähnt zB auch das Gänseabstechen - weiß da jemand Bescheid, wann das stattfand? Ich vermute ja kurz vor dem Martinstag. Wie auch immer, der Empfängniszeitraum bei einer normalen Schwangerschaft muss zwischen dem 17. November und 21. Dezember gelegen haben. Ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass LS in dem Zeitraum mit Vik noch verkehrt hat. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte er doch sicher gewusst, dass er nicht der Vater ist. Statt dessen hat er sich - auch in seiner späteren Aussage - primär darauf berufen, dass AG zur gleichen Zeit ein Verhältnis mit Vik hatte.
Damit kann ich natürlich nicht ausschließen, dass ein Dritter der Vater ist. Durchaus möglich. Hast Du da noch weitere Ideen, wie das dann alles zusammenhängen könnte?
Beste Grüße,
G.