@AngRaAngRa schrieb:Hat sich StA Renner nicht darüber gewundert, dass L.S. dann so etwas wie eine Zeugungsprämie erhalten hat? Das hätte ihm doch auch recht sittenlos, zumindest sittenwidrig vorkommen müssen?
Um nochmal auf den Text aus dem Buch einzugehen, den ich gestern hier eingestellt habe: der Autor hat mit seinem Buch "Deutschland von unten - Reisen durch die proletarische Provinz 1930" auf ergreifende Weise Zeugnis von den damaligen Verhältnissen in der Unterschicht abgelegt. Diesen Aussagen nach zu urteilen, war ein Staatsanwalt in dieser Zeit in der Stadt mit sogar noch wesentlich schlimmeren Zuständen konfrontiert, als sie der Inzest auf HK darstellt.
Auch wenn diese Verhältnisse sicher nicht 1:1 auf die doch recht wohlhabenden Bauernfamilien Gruber/Gabriel und Schl. zu übertragen sind, denke ich doch, dass die Menschen in der damaligen Zeit eine völlig andere Sicht auf Dinge wie Geschlechtsverkehr und Inzest hatten, als wir in der heutigen Zeit. Sicher, man war katholisch, die Kirche verurteilt die Blutschande, aber dass zu Hause im stillen Kämmerlein bei vielen Leuten ganz andere Sitten herrschten, war wohl den meisten Menschen durchaus bewusst.
Gerade die weibliche Sexualität war meilenweit davon entfernt, was in unserer Gesellschaft als "normal" definiert wird. Die Frau hatte dem Manne gefügig zu sein - Vergewaltigung in der Ehe war die Norm, man hat sich halt genommen, was einem zusteht. Das war auch bei meinen Großeltern (beide JG. 1905 und, hm, sagen wir mal, untere Mittelschicht) nicht anders. Als Frau hatte man einfach die ehelichen Pflichten zu erfüllen, wenn er gerade mal Lust hatte.
In Bezug auf die Viktoria denke ich, wird das ähnlich gewesen sein, nur war's da halt nicht der Ehemann, sondern der Vatter, dem man gefügig zu sein hatte. Schliesslich war er der Herr im Haus.
Ich denke, wir sehen die ganzen sexuellen Aspekte der traurigen Geschichte viel zu sehr aus dem Blickwinkel
nach der sexuellen Revolution, die Menschen damals haben das mit Sicherheit ziemlich anders empfunden. Die Erzählungen meiner Großeltern und das von mir zitierte Buch helfen mir da ein klein wenig weiter, mich einzufühlen, wie das wohl damals so erlebt wurde.