CurlySue_ schrieb:Und welche Konsequenzen hätten sie bei einer möglichen Zivilklage zu erwarten? Hat jemand mehr dazu gefunden?
Es geht um eine klassische Schadenersatzklage, im Amerikanischen ein "tort."
Die Klage behauptet, das Verhalten der Beklagten, der Eltern Laundrie, habe bei den Klägern, den Eltern von Gabby, "schweren emotionalen Schaden" angerichtet, und deshalb stehe ihnen Schadenersatz, in Form einer Geldzahlung, zu.
Das ist klassisches anglo-amerikanisches Recht, hier im Einzelnen eine Klage wegen "intentional infliction of emotional distress," also "absichtliche Zufügung emotionalen Schadens." Die Rechtsprechung hat bestimmte Elemente entwickelt, die erfüllt sein müssen, um mit einer solchen Klage erfolgreich zu sein:
1) ein absichtliches Handeln
2) eine Handlung, die alle moralischen Normen der Gesellschaft verletzt, die "outrageous" sein muss und dem, wie es im deutschen Recht so schön heisst "billig und gerecht denkenden Menschen" absolut unannehmbar erscheint - der Standard ist hier ein objektiver, also nicht, ob die Eltern Gabbys so empfanden, sondern ob jeder Bürger dieses Verhalten der Beklagten als solch ein unannehmbares Verhalten empfinden würde
3) ein tatsächlicher emotionaler Schaden
Als amerikanischer Jurist empfinde ich diesen Fall durchaus als spannend, da er in gewisser Weise Neuland betritt: bisher war es meist ein "aktives" Verhalten, das Grund zu so einer Klage hervorruft, ein rein passives Verhalten ist normalerweise nicht genug. Darauf bezieht sich auch der Hauptteil der Anhörung, die hier dankenswerter Weise verlinkt wurde:
ghita schrieb:Ich möchte gerne mehr auf die Anhörung eingehen und besonders auf den Punkt der Grausamkeit aus Sicht von Gabbys Eltern. Sie werfen den Laundries vor, dass diese, wohl wissend, dass Gaby schon lange tot ist, ihr Sohn Brian Gabby getötet hat und wo ihre Leiche liegt, nichts unternommen haben..sondern.. und das ist das Grausame, ihnen noch Hoffnungen gemacht haben, indem sie öffentlich geäußert haben "sie hoffen, dass Gabby bald wohlbehalten gefunden wird", was Gabbys Eltern Hoffnung machte und sie erst nach dem Fund der Leiche ihrer Tochter erfassten.
Hier die gesamte Anhörung von beiden Anwälten .. und ab Minute 37:35 kann man sich die Argumente vom Anwalt, der Gabbys Eltern vertritt, anhören.
Es geht bei dieser Anhörung um den Antrag der Verteidigung, die Klage abzuweisen. Würde die Klage zugelassen, muss am Ende eine Jury darüber entscheiden, ob die Kläger überzeugend dargelegt haben, dass die oben genannten Elemente vorhanden sind, und falls ja, welcher Schadenersatz den Klägern zusteht.
Das Gericht aber kann und muss eine Klage abweisen, wenn der Kläger nicht überzeugend darlegen kann, dass überhaupt eine juristische Grundlage besteht, so einen Vorwurf zu erheben. Darüber entscheidet nicht eine Jury, sondern der Richter. An dieser Stelle im Verfahren befinden wir uns hier.
Der Anwalt der Beklagten argumentiert, dass passives Verhalten, hier "nichts zu sagen, nicht zu sagen, ob Gabby tot ist und nicht zu sagen, wo sie sich befindet," kein schuldhaftes Verhalten sein kann. Amerikanisches Recht geht normalerweise davon aus, dass jeder das Recht hat, zu schweigen.
Die Kläger haben daher den Vorwurf erweitert: sie sagen, die Beklagten haben mehr getan als "nur zu schweigen," sie haben in einem statement, also aktiv, "so getan, als wüssten sie nicht, dass Gabby tot ist und als wüssten sie nicht, wo sie zu finden ist, und haben so bei den Klägern fälschlich die Hoffnung geschürt, man könne sie noch lebend finden. Das habe den Klägern besonderen emotionalen Schaden zugefügt.
Der Verteidiger windet sich hier ein wenig, und beruft sich auf das Recht aller Amerikaner, sich nicht selbst einer Strafverfolgung auszusetzen ("fifth amendment right") und das Recht, der freien Meinungsäusserung ("first amendment right"), das das Recht auch nichts zu irgendwas zu sagen einschliesse.
Der Kläger aber sagt, das sei hier nicht angebracht: erstens haben die Eltern Brians keinen Anlass gehabt, sich eventuell einer Strafverfolgung auszusetzen, und zweitens haben sie eben nicht "nur geschwiegen," sondern durch ihr statement falsche Hoffnung gemacht, obwohl sie genau wussten, dass die Sachlage anders war.
Beide Anwälte zitieren einige Präzedenzfälle, wie das im amerikanischen Recht üblich ist, aber keiner dieser umfasst genau den gleichen Sachverhalt, können also nur analog interpretiert werden. Das macht den Fall juristisch interessant.
Und das ist hier der Punkt: es geht nicht um ein moralisches Urteil, ich denke die grosse Mehrheit der Beobachter empfindet das Verhalten der Beklagten als unmoralisch, sondern es geht um juristische Prinzipien.
Ich persönlich denke, die Argumente der Kläger sind durchaus überzeugend. Der aus dem alten englischen "common law" stammende Tatbestand des "intentional infliction of emotional distress" umfasst meiner Meinung nach auch das Verhalten der Beklagten. Von daher bin ich gespannt, was der Richter und ggf. Revisionsgerichte hier entscheiden werden.